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Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde die Welt zu tiefst erschüttert und mit Grausamkeit konfrontiert, wie sie bis dato nicht vorstellbar war. Es geht um den Fall Fritzl, den Mann, der seine eigene Tochter 24 Jahre in einem Kellerverließ einsperrte und sieben Kinder mit ihr zeugte. Drei Kinder ließ er im Keller, drei zog er mit seiner Frau auf.
Der Fall hat uns erschüttert und an vielem Zweifeln lassen. Wir wussten nicht mehr was wir glauben können, und ob so was wirklich sein kann. Doch jetzt ist ein bisschen Zeit vergangen, Fritzl für immer weggeschlossen und die Tochter versucht mit den Kindern irgendwie ins Leben zurück zu finden.
Doch, jetzt gibt es ein Buch mit dem Titel 'Room' von Emma Donoghue. In dem Buch schreibt sie über den Fall aus Amstetten, zumindest irgendwie. Er war die Grundlage für ihre ganz eigene Geschichte.
Der Roman hat bereits in der Branche für viel Aufsehen gesorgt und böse Stimmen wurden laut, denn nicht jeder ist damit einverstanden, dass ein Buch über diese Geschichte geschrieben wird. Zuerst stritten sich die Verlage um dieses Buch, dann hörte man von einem unglaublichen Gehalt und dann schaffte es das Buch irgendwie auf die Shortlist für den Booker-Preis. Der wird am 12. Oktober verliehen. Noch immer werden die Stimmen um diesen Roman nicht leise und er wird wild diskutiert.
Donoghue ist dafür bekannt, aus historischen Ereignissen einen Bestseller zu machen. Ihr Talent liegt darin, bereits Geschehenes in einer eigenen Geschichte neu zu verpacken. Ihr Roman "Slammerkin" war überraschenderweise ein Bestseller und die Idee für diesen Roman zog sie aus einem Mordfall von 1763. Ihr nächstes Buch "The Sealed Letter", dass sie 2006 veröffentlichte, bezog sich inhaltlich eine heiß diskutierte viktorianische Scheidung.
Der neue Roman "Room" ist noch nicht ins Deutsche übersetzt, und zieht seine Grundlagen aus dem Fall Amstetten. Dass Donoghue darüber schreibt, nahmen ihr viele übel: "Für viele Leute galt es als ausgemacht, dass ich das Leiden der Opfer ausschlachte. Ich dachte: So ist es nicht, aber solange die Leute das Buch nicht gelesen haben, werden sie es auch nicht erfahren."
Sie selbst ist darauf erpicht aufzuklären: "Zu sagen, 'Room' basiere auf dem Fall Fritzl, wäre zu stark formuliert. Ich würde sagen, der Fall war Auslöser. Die Berichte über Felix Fritzl (Elisabeths Sohn), der mit fünf Jahren eine Welt betritt, von der er nichts wusste, haben mich inspiriert. Die Vorstellung dieses Kindes, das mit großen Augen die Welt erreicht wie ein Marsianer die Erde: Das hat mich gepackt."
Sie selbst hat der Fall Fritzl damals stark mitgenommen. Ihr eigener Sohn war damals vier Jahre alt, und im Alter eines der Kinder im Verließ.
Die Erfahrungen ihrer eigenen wimmelnden Kindheit könnten denen Jacks, des fünf Jahre alten Erzählers in "Room", ferner nicht sein. Mit seiner Mutter lebt Jack in einem drei mal drei Meter großen Verschlag und kennt von der Welt da draußen nicht mehr als die Bilder auf dem Fernsehschirm. Wie eine verzerrte Version von Maurice Sendaks Max aus "Wo die wilden Kerle wohnen" ist er ein Junge, für den die Wände die ganze Welt darstellen. Jacks materielle Bedürfnisse erfüllt der "alte Nick", der nachts mit Lebensmitteln und "Sonntagsguttis" (Schmerzmitteln, neuen Kleidern) kommt und die Bettfedern zum Quietschen bringt.
Doch während eine solche Existenz uns grauenhaft vorkommt, erscheint sie Jack ganz einfach. Weil ihm jeder Vergleich fehlt, ist sein Raum weder klein noch, im psychologischen Sinn, ein Gefängnis. Und die Gegenstände, die Jack seine Freunde nennt (Pflanze, Oberlicht, Teppich), wachsen im Bewusstsein über sich hinaus, bis sie weit mehr Raum einzunehmen scheinen als physisch möglich. Mit Jack bringt Donoghue Licht und Luft in eine Zelle, aus der sexuell aufgeladenen Horrorgeschichte wird eine Erzählung über das Durchhalten und die Erlösung.
Die Schlichtheit der alltäglichen Obsessionen eines Fünfjährigen (Was gibt es zum Essen? Wohin verschwindet das Aa, wenn man abzieht?) verhindert das Abrutschen des Textes ins Widerliche. "Ich war mir sicher, dass nichts Voyeuristisches daran wäre, solange ich an der Kinderperspektive festhalten würde", sagt sie, "der Mutter ist es gelungen, Jack die sexuelle Seite so gut wie gar nicht bewusst werden zu lassen – dass das Bett quietscht, macht ihn unruhig, aber viele andere Sachen, grüne Bohnen zum Beispiel, reizen ihn noch viel mehr. Ich wusste, dass die Schauer, die einem über den Rücken laufen, gerechtfertigt sein würden."
Der zentrale Aspekt in seinem Buch ist die Mutter-Kind-Beziehung. Die Liebe zwischen den dem Sohn Jack und seiner Mutter wird in den Vordergrund gerückt und nimmt einen großen Teil des Buches ein. Nie formulieren die beiden ihre tiefe Liebe füreinander, eine platonische, ABER es ist die Liebe, die die beiden am Leben hält. Nur durch diese Liebe schaffen sie es, stark zu sein. Doch natürlich ist eine solche Liebe und Beziehung nicht ohne Probleme. Denn wie soll eine Mutter ihrem Kind die ausweglose Situation erklären? Jack ist frustriert, findet keine Antworten und seine Mutter kann oder will ihm keine geben.
"Eigentlich ist alles in 'Room' eine Verfremdung normaler Elternschaft", sagt Donoghue. "Die Idee war, sich ganz auf das Urdrama der Elternschaft zu konzentrieren: Wie man von einem Augenblick zum nächsten vom Tröster zum Peiniger wird, so wie Kinder uns zugleich erleuchten und in den Wahnsinn treiben. Ich wollte das seltsame, schizophrene Wesen der Elternschaft einfangen. Elternschaft ist eine statistische Normalität, aber psychologisch ist nichts daran gewöhnlich. Sie löst die extremsten Gefühle aus."
Jack hat natürlich zwei biologische Eltern. Mit seiner Mutter lebt er dort unten versteckt, und sein Vater ist lediglich ein Mann, "der alte Nick", der hin und wieder auftaucht und eine dunkle Gestalt ist. Er kommt aus der Dunkelheit und verschwindet schnell wieder in ihr, und doch ist er irgendwie die ganze Zeit anwesend und umgibt die beiden.
"'Room'", sagt Emma Donoghue mit einem Grinsen, "wird in den Internetforen denunziert. Eine so leidenschaftliche Diskussion über Literatur will man doch haben. Man will doch, dass Literatur zählt."
Der Artikel ist bereits vor ein paar Tagen erschienen, aber ich habe mir erst selbst ein paar Gedanken dazu gemacht. Welche? Lest ihr hier!
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