Darf man eigentlich schon wieder »Iwan« »zum Russen« sagen?

Wer jetzt noch einen Beleg dafür braucht, dass die deutsche Sozialdemokratie nicht mehr ins linke politische Spektrum gehört, der muss nur der Rhetorik der letzten Tage lauschen. Denn auch wenn sie nicht direkt von »vaterlandslosen Gesellen« spricht, so meint sie genau dieses traditionelle Schimpfwort des Konservatismus gegen den linken Internationalismus, wenn sie auf »Die Linke« zu sprechen kommt.
Darf man eigentlich schon wieder »Iwan« »zum Russen« sagen?Ob nicht auch die Konservativen vor hundert Jahren dem pazifistischen Flügel der Sozialdemokraten »ignorante Argumente« und nachgeplapperte »dumme Propagandalügen« attestiert hatten? Damals ging es selbstverständlich mit patriotischeren Trara ab. Das kann man heute nicht mehr machen, zumal man einen Europatriotismus beschwören müsste, der so richtig nicht in Schwung kommen will. »Schließt euch dem Burgfrieden an!«, ist die Parole, die Gabriel jetzt »Die Linke« an den Kopf knallt. Wie damals die Konservativen alle fremden Elemente im Staat fürchteten, so keift jetzt Gabriel gegen die, die er als potenzielle Überläufer versteht, die »Spiegel Online« aber noch gemäßigt »die Putin-Versteher« nennt. Während Gabriel der Partei vorwirft, sie würde auf Seiten Russlands argumentieren, laden SPD-Abgeordnete Gysi von parteiübergreifenden Gesprächen aus. Sie stören sich an seiner letzten Bundestagsrede, in der er sagte, dass es unglaubwürdig sei, wenn »Völkerrechtsverletzer einem Völkerrechtsverletzer« moralisch kämen. »Spiegel Online« spricht gar von einer »DDR-Staatsräson«, die da durchscheine. Aber sagte Gysi damit nicht auch, dass auch Russland etwas falsch gemacht hat? Können diese aufgeschreckten Hühner eigentlich noch dialektisch denken?

Der Tenor der Krim-Debatte wird ohnehin immer schärfer. Teilweise erinnert das, was man jetzt zum Lesen vorgesetzt bekommt, an eine von der Obersten Heeresleitung instruierten Presse, die auf Entbehrungen einschwört. Ob die dann durch Krieg oder gegenseitige wirtschaftliche Sanktionen zustande kommen, sei mal dahingestellt. »Die Welt« tönte »So entreißen Sie Putin die Macht über Ihre Heizung« und scheint schon mal auf die übliche Kriegsautarkie einzuschwören. Gott sei Dank beziehen wir nicht auch unsere Lebensmittel von Russland, sonst müssten wir gar noch Empfehlungen lesen, wie man aus Kastanien gutes Mehl gewinnt. Und was soll das eigentlich heißen »Macht über die Heizung«? Sind es nicht deutsche Energieunternehmen, die dem Endverbraucher Wärme verkaufen? Welche Propaganda ist das, die solche profitorientierten Zwischenhändler einfach ausblendet, weil es besser in die Stimmungsmache passt? Drängen wir schon wieder alle in Nationalboot? Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Der, der die Heizung aufdreht und der, der dadurch Profite erwirtschaftet?
Fleischhauer nannte Putin flapsig den »obersten Goldkettchenträger« und bediente damit das primitive Klischee vom proletenhaften Russen, dessen »Hemd immer einen Knopf zu weit geöffnet« ist und der »die Beine immer etwas zu breit« positioniert. Wie der Türsteher einer Disko mit vorwiegend russischer Klientel. So viel Oberflächlichkeit gehört wohl zum radical chic dieser Tage. Darf man eigentlich schon wieder »Iwan« »zum Russen« sagen?
Im ZDF präsentierten sie vor einigen Tagen eine Psychologin, die die Körpersprache Putins analysierte und kalkulierte Erkenntnisse präsentierte. Sinngemäß sagte sie, dass der Mann zwar Entschlossenheit zeige, aber das nicht mit der letzten Entschlossenheit. Er sei auch verunsichert und gerade das sei im Grunde gefährlich. Dass er verrückt sei, sagte sie nicht. Aber man konnte sich das ja denken. Irgendwo las ich einen Artikel über die Regierungserklärung der Kanzlerin zur Lage in der Ukraine. Früher hielten Kanzler solche Erklärungen über die Lage in Deutschland und taten sich da schon mit der Wahrheit schwer. Jetzt will sie sich an ein Krisengebiet heranwagen, in dem nach einem berühmten Bonmot, die Wahrheit das erste Opfer ist. Ist das Größenwahn oder doch nur Naivität? Jedenfalls ging es in dem besagten Artikel auch um die Körpersprache der Kanzlerin. Ich war beeindruckt, als ich las, dass die Frau Stärke und Entschlossenheit gezeigt habe. Ohne Hinweis wäre mir das nie aufgefallen.
Man könnte ja jetzt vom Treppenwitz der Geschichte sprechen, dass ausgerechnet die Sozialdemokraten von den »vaterlandslosen Gesellen« schwafeln. Und es wäre ja durchaus auch so ein wundersamer Zeitpunkt. Denn vor genau hundert Jahren blaffte man die Sozialdemokraten noch immer so an. Aber vor 99 ½ Jahren sah es dann schon etwas anders aus. Problem ist nur, dass diese Zahlenspielerei nur eine Legende wäre. Denn schon 1904 erklärte Bebel, dass er die Flinte schultern würde, wenn es gegen Russland in den Krieg ginge. Man glaubte es ihm damals nicht richtig. Und in einer zeitgenössischen Karikatur sagt er dann auch »Pssst! Es ist ja nicht geladen!« Ob Gabriels metaphorische Flinte geladen ist, scheint indes beantwortet. Er schießt ja schon mit unlauteren Unterstellungen auf alles, was nicht im Takt wiegt. Und die Stimmung im Lande gibt ihm dabei Feuerschutz.
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