„Dann verurteile ich dich auch nicht“, erklärte Jesus. „Geh und sündige nicht mehr.“ – Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis (23.06.2013)

© Dieter Schütz  / pixelio.de

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Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Gemeinde: Amen.

Liebe Gemeinde,

der heutige Predigttext steht bei Johannes im 8. Kapitel:

Da brachten die Gesetzeslehrer und Pharisäer eine Frau herein, die sie beim Ehebruch ertappt hatten. Sie stellten sie in die Mitte. „Meister“, sagten sie zu Jesus, „diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt worden. Nach dem Gesetz Moses muss sie gesteinigt werden. Was sagst du dazu?“ Damit wollten sie ihn zu einer Aussage verleiten, die sie gegen ihn verwenden konnten. Doch Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger in den Staub. Aber sie ließen nicht locker und verlangten eine Antwort. Schließlich richtete er sich auf und sagte: „Wer von euch ohne Sünde ist, der soll den ersten Stein auf sie werfen!“ Damit bückte er sich wieder und schrieb weiter in den Staub. Als die Ankläger das hörten, machten sie sich einer nach dem anderen davon, die Ältesten zuerst. Schließlich war Jesus allein mit der Frau, die noch immer an der gleichen Stelle in der Mitte stand. Da richtete Jesus sich wieder auf und sagte zu ihr: „Wo sind sie? Hat dich keiner von ihnen verurteilt?“ „Niemand, Herr“, antwortete sie. „Dann verurteile ich dich auch nicht“, erklärte Jesus. „Geh und sündige nicht mehr.“

Herr, segne unser Reden und Hören durch deinen Heiligen Geist. Amen.

Lassen Sie mich zu Beginn zwei weitere Geschichten erzählen:

Am 3. Tag des Kirchentages in Hamburg. Mein Sohn Max will gerne an einer Mitmachaktion für Kinder teilnehmen. Wir kommen eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung an der Freiluftbühne an. Die 200 Plätze sind schon voll, wir und andere finden keinen Platz mehr. Die vor dem Zaun stehenden Kinder sind enttäuscht.

Drinnen macht ein Ordner den vor der Bühne sitzenden Personen den Vorschlag, dass doch die Erwachsenen ihre Plätze für die traurigen Kinder vor der Tür geben sollen. Tatsächlich, mindestens 120 der 200 Plätze sind von Erwachsenen besetzt. Nach dreimaliger Bitte stehen gerade mal 6 Erwachsene auf. Ich denke an das Motto des Kirchentages „Soviel Du brauchst“, dann schäme ich mich für diejenigen, die sitzen geblieben sind.

Am Abend danach: auf der Rückfahrt ins Hotel steigt ein Obdachloser zu uns in die S-Bahn: er bettelt um Geld, ich weise ihn stumm mit einer Kopfbewegung ab. Dann beobachte ich ihn: noch recht jung, offensichtlich nüchtern, die Kleidung schäbig, aber sauber – nicht der typische „Penner“. Mir fällt wieder die Losung des Kirchentages ein: „Soviel du brauchst“. Als er ein zweites Mal an uns vorbei kommt, gebe ich ihm doch etwas Geld, er bedankt sich höflich.

Er hat wenig Erfolg bei den anderen Fahrgästen, die er um ein Almosen. Am Ende hockt er sich an der Waggontür auf den Boden, obwohl noch viele Sitzplätze frei sind. Er wirkt sehr traurig und sehr müde. Ich gebe meinem Sohn ein paar Bonbons, die ich zuvor acht- und kostenlos im Hotel eingesteckt habe, Max bietet sie dem Obdachlosen an; der nimmt sie dankbar mit einem kleinen Lächeln. Er wählt sorgfältig eines der drei Bonbons aus, die beiden anderen steckt er genau so sorgfältig in seine Hosentasche. Ich schaue ihm zu, wie er das Bonbon lutscht und dabei das Papier immer wieder glatt streicht. An der nächsten Station steigt er aus – und ich schäme mich, doch dieses Mal für mich selbst.

Was diese Geschichten mit dem Predigttext zu tun haben?

Nun, eine Frau hat also eine Sünde begangen, sie ist beim Ehebruch erwischt worden.

Moses Gesetz ist da knallhart, auf Ehebruch steht die Todesstrafe.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie das hören? Ich empfinde großes Unbehagen über die Selbstverständlichkeit, mit der da jemand wegen der Übertretung eines Gebotes sterben soll. Ich erschrecke über den Anspruch auf Vollkommenheit, über die Grausamkeit, mit der dieser Anspruch durchgesetzt werden soll, über diese völlige Gefühllosigkeit gegenüber einem lebendigen Menschen.

Kann es richtig sein, dass die Frau gesteinigt wird? Dürfen Menschen anderen Menschen so etwas antun – und das auch noch im Namen Gottes?

Und dabei ist der Wunsch nach Steinigung für die Männer, die die Frau zu Jesus schleifen, eigentlich nur Mittel zum Zweck. Ihnen geht es nicht um den Ehebruch, sondern um die Bedrohung, die von Jesus ausgeht. Das Volk hört auf ihn und nicht mehr auf die alten Autoritäten. Die alte Ordnung, ihre Ordnung ist bedroht – und damit ihre Macht über die Menschen.

Deswegen stellen die Männer Jesus eine Falle. Die Ehebrecherin ist ihnen egal. Es geht ihnen um wichtigere Dinge. Es geht ihnen ums Prinzip!

Und die Pharisäer triumphieren schon: Jetzt haben wir Jesus! Wenn er sagt: “Nein, steinigt sie nicht” – dann verrät er Gottes Gesetz, dann kann er nicht von Gott sein.

Wenn er aber sagt: “Ja, steinigt sie”, dann hetzen sie ihm die Römer auf den Hals, denn die verbieten den Juden, die Todesstrafe auszusprechen.

Hart wie Stein sind ihre Gesichter, als sie zu Jesus kommen. Hart wie Stein sind ihre Herzen, steinhart das Misstrauen, die Ablehnung, die Unversöhnlichkeit ihm gegenüber.

Und was sagt Jesus: “Wer von euch noch nie gesündigt hat, soll den ersten Stein auf sie werfen!”

Und damit schlägt er sie in ihrer Scheinheiligkeit, er trifft sie mit der steinharten Logik der Gesetze: denn die müssen ja zu 100 Prozent erfüllt werden, wer den kleinsten Fehler macht, ist draußen, ist ausgestossen aus der Gemeinschaft.

Da wird den Männern klar: Nach außen ist vielleicht alles in Ordnung mit ihnen. Aber in ihnen drin wissen sie genau, wie oft sie es selbst nicht schaffen. Wie oft sie den Ansprüchen nicht gerecht werden. Sie müssen sich ihrer eigenen Schuld stellen und zugeben, selbst nicht vollkommen zu sein. Sie können nicht über andere richten, denn – wenn von ihnen alles rauskäme – wie viele Leute hätten wohl gegen sie Steine in den Händen?

Am Ende bleiben nur die Frau und Jesus. Er sieht auf und fragt: “Wo sind jetzt deine Ankläger? Hat dich denn keiner verurteilt?” Nein, die Pharisäer haben sie nicht verurteilen können, denn die sind nach ihren eigenen Maßstäben selbst bei Gott durchgefallen.

Und das Urteil über die Ehebrecherin? Das spricht der Einzige, der das Recht dazu hat: “Dann verurteile ich dich auch nicht”, sagt Jesus, und schenkt damit nicht nur der Frau, sondern auch uns einen neuen Anfang: “Gehe, ohne verurteilt zu sein, aber sündige nicht mehr!”

Vergebung der Sünden und die Chance auf einen Neuanfang – mir geht es auch manchmal so: “Könnte Jesus doch dieses Kunststück auch in meinem Leben fertig bringen.”

Denn auch bei mir sind viele Steine wegzuräumen, die mein Leben hart und schwer machen.

Da ist die Härte, mit der ich manchmal andere beurteile.

Da ist mein eigenes Versagen, das mich bedrückt, das ich nicht abschütteln kann.

Da ist meine Gedankenlosigkeit, mit der ich am Schicksal anderer vorbeigehe.

Da ist mein Versagen gerade auch in Beziehungen. Wie viel bleibe ich oft den Menschen schuldig, mit denen ich zusammenlebe. Wie viel verpasste Gelegenheiten, wie viele Worte, die ich nicht zurückholen kann. All das, was besser keiner wissen sollte.

Und da sind die Fragen, die mit diesen Steinen an mich heranrücken:

Was macht Religion mit uns Menschen? Macht sie uns vielleicht gefühllos anderen Menschen gegenüber?

Und jenseits einer schnell zur Kenntnis genommenen und genau so schnell wieder vergessenen Kirchentagslosung „Soviel Du brauchst“ bleibt der Zweifel: in welche Richtung schlägt denn bei uns Christen das Pendel aus? In Richtung Gefühllosigkeit, Gleichgültigkeit, Grausamkeit? Oder in Richtung Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Geduld?

Nehmen wir wirklich nur „soviel wir brauchen“ – und nicht viel, viel mehr?

Im Galater-Brief steht, wie wir ja schon gehört haben:

“Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.”

Und im Evangelium lasen wir:

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.“

Wie oft lassen wir Christen uns hinreißen, zu richten, zu verdammen. Im Grossen wie im Kleinen – bei der Vergabe der besten Plätze im Leben und auf dem Kirchentag, bei der Frage, wer Almosen verdient hat und wer nicht.

Natürlich, richtig zu handeln ist schwer, und schwer ist es, sich ein Urteil über einen anderen Menschen zu verkneifen. Schnell ist man dabei mit seinem, dem einzig richtigen Gedankengut, besonders dann, wenn man eine Entscheidung nicht selbst treffen muss.

Und es ist so leicht, mit den Wölfen zu heulen, zB. mit anderen Menschen über einen Obdachlosen herzuziehen. Das ist doch auch wirklich ein lästiger Mensch, da haben wir alle doch das Recht, das mal offen auszusprechen! So einen kann man ruhig abweisen, zurückstossen, soll der doch froh sein, wenn wir ihn nur ignorieren! Ein Mensch, und doch schnell abgeurteilt und zum Abschuss freigegeben!

Wie viel schwerer ist es da, die Last dieses anderen auch nur ein kleines bisschen mitzutragen: dass heißt natürlich nicht, Fehlverhalten zu verschweigen, aber das heißt: Fehlverhalten so ansprechen, dass der Mitmensch im Blick bleibt, als geliebter Mensch Gottes.

Nein, viel bequemer ist es, zu sagen: Der hat es doch verdient. Und überhaupt: warum soll ich mich da einmischen, was geht der mich an?

Zwingen wir uns zu der Ehrlichkeit, zu der auch die Pharisäer gezwungen wurden: eigentlich gibt es keine Situation, in der uns ein Mitmensch “nichts angeht”. Wenn jemand von Gewalt oder Herabsetzung, von Schaden oder Verleumdung bedroht wird, dann geht uns das als Nachfolger Christi automatisch etwas an.

Und es gibt kein Unrecht, das ein Mitmensch leiden muss, das ihm “recht geschieht” und das er verdient hätte.

Wir sind Geschwister in Christus. Und Geschwistern darf nicht gleichgültig sein, was mit dem anderen passiert. Deswegen gehen die anderen uns sehr wohl etwas an! Freude und Gelingen, Krankheit und Unglück, aber auch Glaube und Segen gehen uns etwas an! Zuhause, in unserer Familie, in der Schule, im Beruf, in der Gemeinde, auf dem Kirchentag, in der S-Bahn, eben überall in der Welt.

Es ist nicht immer leicht, die richtige Entscheidung zu treffen und das zu sagen und zu tun, was dem anderen wirklich dient. Jesus hat sich die Zeit gelassen, nachzudenken, während er mit dem Finger auf die Erde geschrieben hat. Dann aber hat er sich zu der bedrängten Frau gestellt und so gesprochen, dass ihr geholfen wurde.

Wir dürfen auch nachdenken. Wir sollen sogar überlegen, was wir als nächstes sagen und tun. Aber dann müssen wir auch den Mund aufmachen und für die reden, die Beistand brauchen. Und wir sollen handeln und helfen.

Wenigstens ein kleines bisschen: für ein trauriges Kind, für einen müden Obdachlosen, für eine Sünderin.

Die Steine des Lebens lösen sich nicht einfach in Wohlgefallen auf. Aber Jesus packt sie sich selbst auf. Für uns hält er all das aus, das wir nicht tragen können. Und dann nimmt Gott selbst die Steine weg und wirft sie ins tiefste Meer.

In diesem Vertrauen wünsche ich uns einen klaren Blick und offene Ohren für das, was Gott uns zu sagen hat, ich wünsche uns ein lebendiges Herz, das sich von Christi Barmherzigkeit anstecken lässt.

Stehen wir einfach auf beim nächsten Mal, wenn andere benachteiligt werden, auch wenn wir damit unseren Vorteil verlieren, urteilen wir nicht zu früh über einen Menschen und helfen, wenn ein Anderer uns braucht – und wenn wir wieder einmal sündigen, seien wir trotzdem gewiss wie die Ehebrecherin: Gott wird uns auch in der Sünde seinen Geist schenken, unseren Herrn Jesus Christus werden wir auch dann auf unserer Seite haben.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft,

bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Grundlage der Predigt:

15.06.2008, 4. Sonntag nach Trinitatis
Prediger Uwe Gieflelmann (Bielefeld)

(Klick)


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