“Danke für die milde Gabe!”

Von Frank Benedikt
Nun ist also die Katze aus dem Sack: Erwachsene ALG-II-Empfänger sollen künftig fünf Euro mehr an Regelleistung im Monat erhalten, bei den Kindern bleibt es beim alten Satz. Wer sich im Vertrauen auf das Karlsruher Urteil mehr erhofft hatte, wurde damit bitter enttäuscht, aber war das nach der jahrelangen Stimmungsmache gegen “Langzeitarbeitslose und Arbeitsscheue in der sozialen Hängematte” nicht zu erwarten? Inzwischen ist laut Umfragen eine Mehrheit der Bundesbürger gegen jegliche weitere Anhebung der Regelsätze und es wäre ihr nur schwer zu vermitteln gewesen, hätte man das ALG II merklich erhöht.
Daß der tatsächliche Bedarf nach Berechnungen bspw. der Wohlfahrtsverbände deutlich höher liegt als bei den nun anvisierten 364 Euro – wen kümmert das? Daß diese geplante Erhöhung nicht einmal die Inflation ausgleicht, obwohl dies von den Verfassungsrichtern zur Auflage gemacht wurde?  Peanuts! Diese Entscheidung ist klar erkennbar eine politische, es ist “Politik nach Kassenlage”, wie es manch kritischer Kommentator in der Presse so richtig nennt. Die Staatskassen sind – spätestens nach der spektakulären “Bankenrettung” – nicht nur leer, sondern gleichen einem Schwarzen Loch, das dank der Schuldendienste an Masse zunimmt und alles verschluckt.
Auch aus einem zweiten Grund, der bei der Diskussion leider gerne unterschlagen wird, ist diese Entscheidung hochpolitisch: Sie ist, ganz im Sinne der Wirtschaft, eine klare Absage an Mindestlöhne. Obwohl von verschiedenen Seiten immer wieder gefordert, sind diese für die schwarz-gelbe Koalition ein rotes Tuch, hat doch gerade die FDP die Interessen ihrer Klientel wahrzunehmen. Eine spürbare Anhebung der Regelsätze würde das Lohnabstandsgebot durchbrechen und die ALG-II-Empfänger weiter in die Nähe der Niedriglöhner und prekär Beschäftigten rücken, was – gemäß der gängigen Theorie – entweder in Lohnerhöhungen oder aber verstärkter Arbeitslosigkeit resultieren würde. Da aber der Wirtschaft zufolge auch Lohnerhöhungen den Standort gefährden und zu Arbeitsplatzverlusten führen würden, handelt diese wirtschaftsfreundliche Regierung nur konsequent. Daß sie dabei das Wohl eines nicht unbeträchtlichen Teils der ihr anvertrauten Bürger mißachtet, steht auf einem anderen Blatt. Man kann eben nicht Diener zweier Herren sein, ohne dabei zumindest in ernste Erklärungsnöte zu geraten.
Für die Betroffenen, immerhin weit über 6 Millionen Bürger, bringen derlei theoretische Betrachtungen freilich nicht viel; sie müssen sich Tag für Tag durchschlagen, sich der gelegentlichen Willkür von “Fallmanagern” und “PAPs” stellen und sich in der Öffentlichkeit auch noch als faule Schmarotzer am schaffenden Volkskörper darstellen lassen. Dafür sollen sie für ‘die milden Gaben’, die vom Tisch für sie abfallen, auch noch dankbar sein, statt dreiste Forderungen zu stellen. Bezeichnend da die Diskussion um ‘das Recht auf Rausch’, wie sie sich zuletzt im Vorfeld der ministerialen Entscheidung in den Medien abspielte: Allen voran titelte natürlich die unsägliche Zeitung mit den vier Buchstaben etwas zwangsgereimt “Kein Hartz IV für Tabak und Bier” – suggerierend, daß ‘die Hartzer’ überwiegend alkohol- und nikotinabhängige Personen wären, deren Suchtverhalten man nicht auch noch mit seinen Steuergroschen subventionieren soll, auch wenn der noch unsäglichere F. J. Wagner scheinbar eine Lanze für ‘kleine Laster’ brach. Wäre es ehrlich gemeint gewesen – er hätte sich der generellen Sozialproblematik angenommen und nicht nur auf die Tränendrüse gedrückt. So aber bleibt nur ein schaler Nachgeschmack.
Sind die Meinungen im Hause BILD auch nur scheinbar geteilt, so liegt der Fall bei der SZ schon etwas anders: hier versucht der einschlägig bekannte Marc Beise, unter Bezug auf ‘leere Kassen’ und das Lohnabstandsgebot den Entwurf von der Leyens zu rechtfertigen, während sich Heribert Prantl ein weiteres Mal darauf besinnt, daß er in erster Linie Mensch und ‘gelernter’ Jurist ist, und nicht nur den Anzeigenkunden verpflichtet. So findet er in seinen Kommentaren “Nur der Staat ist sozial schwach” und “Fünf Peanuts für die Armen” deutliche Worte und nimmt recht klar Stellung – etwas, was allen Vertretern der ‘vierten Gewalt’ zu wünschen wäre.
Unsere Gesellschaft ist nicht nur finanziell aus dem Gleichgewicht geraten, sondern auch moralisch/solidarisch: Der Wert einer Gesellschaft zeigt sich nämlich auch stets darin, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht. Diese Gesellschaft muß noch viel lernen.

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