Gestern Abend, ein Screenshot einer Nachricht erreicht mich.
“Hallo, wir sind Eltern und wir sind überfordert von all den Jobs, die wir jetzt neben unserem Elternjob machen sollen, und zwar 24/7 und noch für weitere Monate, ohne Ausgleich: Versorger*innen, Lehrer*innen, Köch*innen, Arbeiter*innen usw.
Und bei all dem fühlen wir uns von der Politik im Stich gelassen. Wir wollen nicht weiter unsichtbar sein und als Familien politisch vergessen werden.” Wir wollen mit dem Hashtag #CoronaEltern darauf aufmerksam machen, wie es ist, und wie es nicht weitergeht.
Geschickt hat mir meine Freundin Sarah diese Info, während sie mit der Bahn zur Nachtschicht fährt. Und ich habe beschlossen, einige Geschichten meiner Freundinnen zu teilen, ihnen hier eine Stimme zu geben. Ich schreibe diesen Artikel für uns alle. Habe meine Freundinnen gebeten, mir Sprachnachrichten zu schicken mit ihren Nachrichten an die Politik. Was sie bewegt, was sie brauchen, sich wünschen. Einige Geschichten habe ich aus Sprachnachrichten abgetippt, weil Kinder einem kaum Zeit und Luft zum schreiben lassen, nicht mal auf dem Handy.
Weder so spaßig wie es aussieht, noch produktiv: Mit Kleinkind im Homeoffice.
Sarah schreibt:
Meine Haut juckt und spannt vom Tragen der OP-Masken, meine Kolleginnen und ich sind schnell außer Atem und hatten am Anfang eigentlich alle einen trockenen Husten, der natürlich im Kliniksetting sehr verdächtig wirkt. Als ich mich selbst mit Fieber, Husten und Halsschmerzen krankmelden musste, riet mir das Gesundheitsamt „viele Vitamine“ zu essen und „mich aus(zu)ruhen“.
Sobald es mir besser ging, sollte ich wieder arbeiten gehen. Das war noch vor der Mundschutzpflicht im gesamten Krankenhaus. Mein Kind hat seit über einem Monat keine anderen Kinder mehr gesehen, es vermisst seine Freundinnen und neben dem Vollzeitjob habe ich kaum Gelegenheit es pädagogisch so zu fördern wie es notwendig wäre. Ich bin erschöpft und schlafe seit Wochen meist nur 4-5h/Nacht. Denn es gibt keine Pause für mich oder meinen Partner. Für die klinikinterne Notbetreuung ist unser Kind noch zu klein, unsere eigene Kita bietet erst gar keine an. Also müssen wir das alleine tragen, ohne Großeltern oder andere Bezugspersonen, die das „Dorf“ für unser Kind gerade mitbilden könnten.
Manchmal habe ich Angst bei der Arbeit einen schwerwiegenden Fehler zu machen, weil ich so müde und kraftlos bin. Deswegen zu fehlen kann ich mir nicht leisten. Sicherlich hätten meine Kolleg*innen Verständnis, doch da ich nur 60 Fehltage in der gesamten Ausbildung haben darf, muss ich mich zusammenreißen und trotzdem weitermachen um für 7€/h 40 Stunden in der Woche – im Schichtdienst – Zuhause zu fehlen. Mein Partner arbeitet als Erzieher in einer Jugend-WG und kann ebenso wie ich kein Homeoffice machen. Wir werden gebraucht. Außer Haus, wo wir uns konstant der Gefahr der Ansteckung aussetzen, und bei unserem Kind, dessen einzige sozialen Kontakte wir momentan sind. Es ist zu viel und, wie bei Care-Arbeit üblich, unbezahlt. Ich habe keine konkreten Ideen, aber ich weiß, dass es so nicht weitergehen kann.
Sarah hat ein fast 3jähriges Kind und ist werdende Hebamme in Berlin. Sie arbeitet in ihrem Schichtdienst ganz normal, in dieser Ausnahmesituation.
Susanna sagt:
Ich bin jetzt erst dazu gekommen, etwas darüber nachzudenken. Hier war Chaos. Was ich sehr schade finde und abwertend, dass so unglaublich viel von Politiker*innen darüber gesprochen wird, wie der Wirtschaft geholfen werden kann, aber dass überhaupt nicht darüber gesprochen wird, wie man Leuten, die hauptsächlich (oder auch nebensächlich) Care-Arbeit leisten, unter die Arme greifen kann. Sowohl was strukturelle als auch finanzielle Entlastung angeht, insbesondere für Alleinerziehende.
Ich finde aber auch, dass es den Kindern gegenüber langsam nicht mehr zu verantworten ist, so lange auf ihre sozialen Kontakte zu verzichten.
Ich sehe wie (auch mein U-3) Kind darunter leidet, seine Freunde nicht zu sehen. Den Kindern fehlt auch die Struktur, die es in der Kita gibt.
Es wird einfach von mir erwartet, dass ich diese Struktur zu Hause nachbilden kann, aber es fällt mir schwer, das jeden Tag zu leisten.
Susanna hat 3 Kinder, 4 und 3 Jahre alt, sowie ein 2 Monate altes Baby. Sie ist Doktorandin der Erziehungswissenschaften in Elternzeit.
Dora schreibt:
Das Gemeine ist: eigentlich habe ich mich gefragt, ob ich überhaupt wütend sein darf. Denn ich bin in einer privilegierten Situation – d.h. in einem gerade systemrelevanten Beruf mit der höchsten Qualifikation (der Approbation), in dem die Menschen immer noch ihre Rezepte für Dauermedikation einlösen und Medikamente einkaufen. Was bedeutet, dass ich mein Gehalt als Angestellte im Moment weiter bekomme. Aber dann denke ich, dass ich in einem Vorstellungsgespräch gefragt wurde, wie ich das denn mit dem Kind machen würde. Und wie selbstverständlich ich beteuern musste, dass ich genügend Sicherheitsnetz hätte: die Nachbarin, die Tante meines Partners und die Oma, die bald in Pension gehen würde.
Dazu bezahlten wir eine Babysitterin, damit ich nachmittags arbeiten und meine Chance auf dem Arbeitsmarkt erhöhen konnte. Nun fallen alle diese Betreuungsmöglichkeiten auf Grund von Kontaktverbot und Alter 65+ sowie die KiTa Betreuung aus. Seit 4 Wochen bin ich teilweise 13 h am Tag weg, da ich einen langen Fahrweg habe und wir im Schichtdienst arbeiten – damit wollen wir am Arbeitsplatz die Wahrscheinlichkeit eines Covid-19 bedingten Ausfalls des ganzen Teams minimieren. Mit einem Notdienst kam ich einmal auf 52 h die Woche plus 2 h Autofahrt pro Tag.
Mein Partner ist selbstständig in der Kreativ/Medien-Branche und übernimmt nun mehr Care-Arbeit als vorher – was ich grundsätzlich gut und gleichberechtigt finde aber als Selbstständiger verdient er eben nichts, wenn er nicht lohn-arbeitet. Er ist freiwillig gesetzlich versichert und zahlt mehr als 700 € im Monat an Krankenversicherung. Wir wissen nicht, wie lange unsere Rücklagen reichen, sollte es ihm auf Grund der wirtschaftlichen Lage dann an Auftraggeber_innen fehlen. Ich arbeite schon 30 h pro Woche und kann selbst mit 40 h pro Woche und übertariflichem Gehalt nicht die Alleinversorgerin sein.
So sollen also Eltern nicht nur ihre eigene Rente erwirtschaften, sondern auch mit ihrem Nachwuchs die Rente der kinderfreien Menschen sichern. Wir zahlen für die U3 Betreuung monatlich rund 550 Euro, wir werden steuerlich benachteiligt als nicht-verheiratete Eltern. Wir haben unser Kind mit 13 Monaten zur Tagesmutter gegeben und mit 2 Jahren in die Kita. Die Eingewöhnungen waren schrecklich und es hat wochenlang beim Abgeben geweint. Ich habe es neulich gefragt, welche Kinder sie von ihrer Gruppe vermisst und was das Schönste am Kindergarten sei. Es sagte: „Das Abholen.“ Unser Kind genießt die viele Zeit mit uns sehr und eigentlich würde ihm viel weniger KiTa gut tun.
Es war teilweise 13 h am Tag „familienerweitert“ betreut an zwei Tagen der Woche. Aber wir haben wirtschaftlich keine andere Wahl gehabt – die Mieten in Hamburg sind astronomisch und im Speckgürtel ebenso. Dazu sitzt mir immer die Angst im Nacken, zu wenig Rente zu bekommen oder bis mit über 70 Jahren arbeiten zu müssen.
Und das alles tippe ich, lösche ich, formuliere es um während mein Kind wieder bereits seit einer Dreiviertelstunde TV guckt, weil es sich mit 2 ¾ Jahren keine 3 Minuten alleine beschäftigen kann, weswegen ich wieder ein schlechtes Gewissen bekomme und SCHEISSE ICH HABE JEDES RECHT WÜTEND ZU SEIN dass die Politik und die Gesellschaft Familien und ihre Bedürfnisse nicht mitdenkt und ihre kostenlose Care-Arbeit nicht sichtbar macht bzw. in alternativen Konzepten finanziell honoriert. Wir sind erschöpft, nicht nur körperlich sondern auch emotional – wir sind ungeduldiger mit dem Kind, wir meckern viel zu viel. Ich bin so froh, dass das Kind ab dieser Woche wieder 2-3 Tage für einige Stunden in die Notfallbetreuung der KiTa darf. Allerdings werden die kleinen Gruppen auch durch Nicht-Bezugs-Erzieher_innen betreut. Wenn das Kind nun wieder so schlimm weint beim Abgeben, bricht mein Herz endgültig.
Dora hat ein Kind das fast 3 Jahre alt ist, und ist approbierte Apothekerin.
Inka, das bin ich.
Was Dora schildert, diese Frage, darf ich überhaupt wütend sein? Die kenne ich, die fühle ich sehr.
Ich arbeite eigentlich im Home Office, hatte nach meiner Elternzeit so langsam wieder Fahrt aufgenommen und diverse Projekte für 2020 geplant. Themenabende zur Menstruation mit meinem Tassenfinder und Fuck Yeah, dem Hamburger Sexshopkollektiv. Einige Aufträge aus meinem klassischen Medienschaffenden Bereich (u.a. Geschäftsausstattung für eine Berliner Gastro usw…) Ich war auf nem guten Weg, und jetzt bin ich wieder raus.
Und nun sitzt mein Mann in meinem Büro. Und ich mit dem Kind im Wohnzimmer – die letzten 5 Wochen haben gezeigt, dass ich nach 4 Stunden eine Pause brauche, sonst leidet darunter massiv die Beziehung zwischen uns allen. Ich sollte dankbar sein, denke ich, der Job meines Mannes ist null systemrelevant und trotzdem ist die Auftragslage gut und ich würde seinen Job als sicher bezeichnen.
Jedoch zu sehen, wie sich die Firma, für die er schon so lange arbeitet, nur die minimalsten Zugeständnisse an Flexibilität macht, das nehme ich persönlich. Ich trage aktuell aktiv durch meine Rückkehr an den Herd zum wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens bei, das mich nicht mal sieht.
Genauso wie unsere Politik. Unseren ersten Bürgermeister wäre ich letzte Woche gerne mit dem Arsch ins Gesicht gesprungen, als er die Frage, ob geplant sei einzelne Straßen zu sperren um für mehr Ausweichfläche zwischen den Menschen zu sorgen, schlichtweg mit “nein, das ist nicht geplant” antwortete. Unsere Kanzlerin, die momentan ganz viele schlaue Sachen sagt, gestehe ich ihr zu, uns mit keinem Wort erwähnt.
Journalisten (bewusst nicht gegendert) nicht für uns Fragen stellen. Sich Boomerinnen weinend auf Twitter aufregen, dass die Freibäder im Sommer vielleicht nicht geöffnet sind, während meine Freund*innen-Eltern Nachtschichten schieben.
Ich schäme mich, mich zu ärgern, mir geht es finanziell ganz gut. Meine Krankenkasse und die laufenden Firmenkosten kann ich dank der Hamburger Soforthilfe tragen für die nächsten Wochen. Aber wenn ich diesen Artikel fertig habe, werde ich weiter am Rechner sitzen und meinem Mann einen Schreibtisch bestellen, an dem er richtig arbeiten kann. Das ist Mentale Last, Mental Load, Care-Arbeit, die niemand sieht und bei der ich nur froh bin, dass wir in diesem Haushalt Care-Arbeit als Arbeit definieren und die Wertschätzung entsprechend ist.
Meine Kind geht es nicht gut. Es vermisst seine Freund*innen. Und mein Kind, so habe ich jetzt gelernt, ist eines, das seine Traurigkeit versteckt. Das macht mir Angst, denn was ist, wenn ich nicht aufmerksam genug bin, und nicht rechtzeitig handle? Und wie soll ich handeln? Kann nicht auf den Spielplatz, kann nicht in den Zoo. Früher haben wir uns manchmal einen Nachmittag beim Einkaufen aufgehalten, gemeinsam alles ausgesucht.
Jetzt hasten der Kindsvater und ich abwechseln durch den Supermarkt, während das Kind zu Hause bleiben muss.
Uns sind ALLE Möglichkeiten zur Beschäftigung genommen. Und Kinder brauchen Kinder. Sie lernen soziale Fähigkeiten durch den Kontakt mit anderen Kindern. Sie müssen sich ausprobieren können. Ich habe Angst davor, was weitere Monate der Isolierung mit dieser Generation (Klein)Kinder machen wird. Wir brauchen dringend sinnvolle Lockerungen für die sozialen Kontakte von Kleinkindern, insbesondere Einzelkindern.
Und strukturelle sowie finanzielle Lösungen, die Eltern jetzt ermöglichen, die sichere Betreuung ihrer Kinder zu stemmen, zum Beispiel mit einer Sonder-Elternzeit. Und bitte finanzielle Hilfen aus dem Progressionsvorbehalt raushalten, und auch aus der Berechnung für zukünftige Elterngeldzahlungen.
Ich bin Inka, habe ein Kind das fast 3 Jahre alt ist und bin selbständige Mediengestalterin und unfreiwillige Hausfrau mit Vorerkrankungen.
Esther sagt:
Ich weiß nicht genau, wo ich anfangen soll – ich hatte keine Zeit mir etwas zu überlegen. Der Tag war einfach zu kurz, ich bin müde, und leer, und mir fällt nicht mehr viel dazu ein – ich kann nur sagen:
Es geht so nicht! Wir haben zu zweit 3 Jobs, die uns normalerweise unter der Woche schon gut beschäftigen und ausfüllen. Dazu kommt natürlich Hausarbeit und Care-Arbeit, und neben diesen 3 Jobs betreuen wir jetzt in Vollzeit ein zweijähriges Kind. Das kann nicht aufgehen, und das merkt man. Die Belastung ist bei allen extrem hoch, und diese Situation zementiert strukturelle Ungleichheiten, die vorher immer irgendwie mitliefen.
Diese werden jetzt noch offensichtlicher. Kinder sind ein privates Problem, mehr nicht. Wir sind dadurch extrem benachteiligt und überlastet.
Und wir werden nicht gehört, weil niemand Zeit hat, sich nebenbei für uns einzusetzen, stark zu machen oder gar Lobbyarbeit zu betreiben.
Esther hat ein zweijähriges Kind. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer Universität sowie Trageberaterin und theoretisch auch Doktorandin, aber das nur vor Corona.
Karo erzählt:
Ich bin noch eine von den privilegierteren. Mein Mann ist Lehrer und derzeit aber nicht in der Notbetreuung eingesetzt, kann deswegen den Kleinen betreuen, während ich meine Tage relativ unplanbar in Kurzarbeit verbringe. Problematisch wird es jetzt, wenn er als Lehrer wieder startet, und wir aber noch keine Info darüber haben, wie und wann wir vielleicht Notbetreuung kriegen könnten. Wie genau das dann laufen soll, ist unklar, denn wir hatten genau einen regulären Tag Kita-Zeit nach 6 Wochen Eingewöhnungszeit, bevor das Kontaktverbot kam. Im schlimmsten Fall muss ich dann in der Notbetreuung nochmals eine Eingewöhnung machen.
Es hat sich einfach offensichtlich niemand Gedanken gemacht, was mit Kitakindern oder Krippenkindern passiert. In Thüringen heißt es “eine schrittweise Eröffnung der Betreuung” aber keiner sagt, was schrittweise bedeutet, wir fallen einfach hinten runter.
Dabei geht es nicht mal um die sozialen Kontakte, sondern darum, wie man sein alltägliches Leben organisiert kriegt, mit Jobs, in Probezeit, die man nicht im Homeoffice machen kann, weil kundensensible Daten das Büro nicht verlassen dürfen. Wir hocken also seit 5 Wochen zu dritt auf 60qm, mit einem Kleinkind das noch nicht richtig läuft, also auch nicht spazieren gehen kann. Das Kind findet Kinderwagen fahren aber langweilig und vermisst das Straßenbahn-Fahren. Ihm scheint auch einfach der Alltag zu fehlen, mit anderen Menschen zu interagieren. Dabei geht es gar nicht nur unbedingt um die Kinder, sondern um ganz generelle Kontakte.
Mein Mann wird als Lehrer nächste oder übernächste Woche wieder in den Schulbetrieb einsteigen, an einer Schule die hygienisch sehr schlecht ausgestattet ist, an der es schon Corona-Fälle gab, auch im Kollegium.
Ich muss ins Büro, kann kein Homeoffice machen und weiß nicht, wie ich dann noch das Kind erneut eingewöhnen soll. Mein Job ist es, zu planen, und ich hasse es, dass ich nichts planen kann.
Karo, mit einem kleinen Krabbler daheim, in Kurzarbeit in der Veranstaltungsbranche und einem Mann als Lehrer in einer völlig verunsichernden Lage an den Schulen.
Ich bedanke mich ganz herzlich bei meinen Freundinnen, die sich die Zeit herausgezuppelt haben, mir Sprachnachrichten mit schreienden Kindern im Hintergrund geschickt haben. Danke für Eure Arbeit!
Und bevor jetzt jemand fragt, warum ich keine Väter befragt habe: Die sind mitgemeint und Cis Männer kommen eh genug zu Wort. Und was dabei rumkommt, ist wie wir sehen, nicht so viel.