Comeback des Geschichtsrevisionismus?

Von Markus Weber
In Deutschland haben in den letzten Jahren geschichtsrevisionistische Bestrebungen wieder Aufwind bekommen. Die Einrichtung eines Gedenktages für die deutschen Vertriebenen ist dabei nur ein Beispiel.Der Deutsche Bundestag möchte den 5. August zu einem nationalen Vertriebenen-Gedenktag machen. Die schwarz-gelbe Mehrheit beschloss dies letzte Woche Donnerstag gegen die Stimmen der Opposition. Besonders heikel ist, dass sich Union und FDP dabei auf die “Charta der Heimatvertriebenen” von 1950 berufen: Sie wird als ein “Gründungsdokument der BRD” bezeichnet und der angedachte Gedenktag soll auf den Jahrestag ihrer Unterzeichnung gelegt werden. Es handelt sich bei dieser Charta um ein krudes Dokument, in dem die deutschen Vertriebenen sich als “die vom Leid dieser Zeit am schwersten Betroffenen” bezeichneten, das die Grenzen Nachkriegs-Deutschlands nicht akzeptierte und von NSDAP-, SA- und SS-Funktionären mitverfasst und unterzeichnet wurde. Die Deutschen werden darin nur als Opfer behandelt, die unfassbaren Verbrechen der Nationalsozialisten werden vollkommen verschwiegen. Weiterhin verzichten die Vertriebenen in dem Dokument auch noch feierlich auf Rache und Vergeltung – ganz so, als stünde diese ihnen zu.
Dieses Vorgehen ist nur ein Teil einer höchst bedenklichen Entwicklung, die man in den letzten Jahren verstärkt beobachten kann, einer geschichtsrevisionistischen Umdeutung der Epoche des Nationalsozialismus, in der die Deutschen von Tätern zu den eigentlichen Opfern gemacht werden und ihre Verbrechen verharmlost werden sollen. Als hätte der Historikerstreit in den 80ern nicht gerreicht: der Geschichtsrevisionismus scheint einen neuen Auftrieb zu erfahren.
Nehmen wir einige weitere Beispiele: Vor ein paar Wochen liefen im Deutschlandradio mehrere Sendungen über neue wissenschaftliche Erkenntnisse über Helfer im Nationalsozialismus (Radiofeuilleton: Thema; Studiozeit – Aus Kultur- und Sozialwissenschaften; Kultur heute). Vor allem kann man dabei festhalten, dass es sehr wenige waren, absolute Ausnahmen, Einzelfälle. Dazu kommt, dass die Strafen für die Rettung von Juden und anderen Verfolgten längst nicht so drastisch waren, wie dies im Nachhinein behauptet wurde. Mit der Ausrede “wir konnten ja nichts tun” verschafften sich viele Mitläufer und Täter in der Nachkriegszeit eine (oft wohl auch vor allem für sich selbst gedacht) Absolution. “Die Deutschen werden den Juden Auschwitz niemals verzeihen.” Dennoch waren es, wie die Forschungen aufzeigen, nur ganz Wenige, die halfen, die der Barbarei Menschlichkeit entgegensetzten.
Nichtsdestotrotz kamen in letzter Zeit immer wieder Forderungen nach einer “neuen Erinnerungskultur” auf, in der mit der Betrachtung von Tätern und Opfern nun “endlich auch mal Schluss sein müsse” und man stattdessen die “zahlreichen” Helfer in den Mittelpunkt stellen möchte. Man will endlich wieder stolz auf Deutschland sein dürfen. Und dazu sind auch Geschichtsfälschungen rechtens. Vor allem der deutsche Film und populärwissenschaftliche Fernsehsendungen der letzten Jahre zeigten die Deutschen während der NS-Zeit vor allem als Opfer. Die Täter werden reduziert auf einen winzig kleinen Kreis. Und so werden Lügen zur Wahrheit, wie die, dass die Mehrheit der Deutschen gegen die Nazis gewesen – ja, eigentlich ja fast alle Widerstandskämpfer gewesen seien.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sprechen freilich in fast allem eine deutlich andere Sprache, als die beschriebene – die, in der das Thema in breiten Teilen der Öffentlichkeit jedoch inzwischen gesehen wird. Wie weit geschichtsrevisionistische Ansichten im deutschen Mainstream verbreitet sind, zeigte sich etwa auch in der erstaunten Reaktion auf die “sensationelle neue Erkenntnis”, dass es im Auswärtigen Amt während der Nazi-Zeit tatsächlich auch Nazis gab, bis hin zu solch abstrusen Vorfällen, dass in Deutschland heute selbst jemand wie Filbinger als Widerstandskämpfer bezeichnet wird.
In regelmäßigen Abschnitten gibt es ein Herunterspielen oder Entschuldigen der Verbrechen Deutschlands, Relativierungen des Holocaust, Leugnungen der deutschen Kriegsschuld. Auf diese wird dann nicht mit der gebotenen Abscheu reagiert, nein, sie werden als ernstzunehmende “Thesen” behandelt. “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!” Die Zielrichtung ist klar: “Es war doch nur eine kleine Bande Nazis, die die Deutschen verführt hat. Sie haben ja alle nichts gewusst! Und denken sie doch mal an die Vertreibungen! Und die Fliegerbomben! Warum mussten die Deutschen denn nur so leiden? Deutsche Schuld? Verantwortung? Irgendwann muss doch auch mal Schluss sein! Wegen dieser 12 Jahre!”
Hinzu kommen in jüngster Zeit ein Revival sozialdarwinistischer und eugenischer Anschauungen (vor allem in Folge der Sarrazin-Debatte, aber auch durch andere “Intellektuelle” wie Sloterdijk oder Heinsohn), neue Formen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz, neue Formen des Antisemitismus (siehe etwa das Geleichsetzen der Politik Israels mit der Nazi-Deutschlands) oder die Extremismustheorie (die auch bei Programmen der Bundesregierung Pate stand), die Links- und Rechtsextremismus gleichsetzt und damit letzteren verharmlost.Es ist höchst bedenklich, wenn die bürgerlichen Parteien und die großen Medien solchen Bestrebungen Vorschub leisten – wodurch sie dann auch noch Rechtsextremisten Legitimationsgrundlagen für einige ihrer Ansichten verschaffen könnten.
Und diese Gefahr besteht. Nach dem 13. Februar wollen Rechtsextreme aus ganz Europa am 19. Februar wieder durch Dresden maschieren, die deutsche Kriegsschuld leugnen und ihre Opfermythen zelebrieren. Die Bündnisse Dresden Nazifrei und No Pasarán mobilisieren dagegen, organisieren Gegenveranstaltungen und wollen die Züge der Nazis blockieren.Wir dürfen die Straße nicht den geistigen Nachfahren derer überlassen, die für das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit verantwortlich sind. Und die Geschichtsbücher nicht denjenigen, die dieses Verbrechen relativieren wollen.

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