Bombastverfilmungen von unverfilmbaren Büchern sind selbst nach solch grandiosen Erfolgen, wie „Der Herr der Ringe“, oder „Watchmen“ ein streitbares Thema in der Filmwelt. Immer wieder erscheinen Filme, die beim Versuch, ein schwieriges Buch zu adaptieren, kläglich scheitern. Zu den prägendsten Beispielen der letzten Jahre gehört sicher die Verfilmung von Patrick Süskinds „Das Parfüm“ von Tom Tykwer. Weder inhaltlich, noch stilistisch konnte dieser Film der Vorlage gerecht werden. Tykwer selbst ist wohl wenig vor zu werfen. So ist das nun mal, wenn man sich an unverfilmbaren Stoff heran wagt.
Sein Experimentiergeist ist jedoch längst nicht erloschen. Nun hat er sich an die Umsetzung von David Mitchells „Wolkenatlas“ gewagt, ein Buch, welches durch seine unkonventionelle Erzählstruktur hervor sticht und schon so manchen Leser – also mich – vergrault hat. Das Buch bespielt eine Zeitspanne von 500 Jahren Menschheitsgeschichte, spielt mit sämtlichen Genrefacetten der zeitgenössischen Literatur und will obendrein noch eine essentielle Botschaft über das Schicksal vermitteln, die jedem Theologen und Sozialwissenschaftler schlaflose Nächte bescheren dürfte. Zusammen gefasst: Etwas, was ein einzelner Mensch kaum stemmen kann, weshalb Tykwer auch noch die Wachowski-Geschwister mit ins Boot holte.
Die Story ist das Hauptelement des Films und präsentiert sich sehr komplex. Los geht’s mit einem alten Mann, der in einer merkwürdigen Sprache spricht und den Anfang einer großen Geschichte erzählt. Nach einem Schnitt sind wir im 19. Jahrhundert an einem Strand und werden Zeuge, wie der junge Anwalt Adam Ewing einen Dotor kennen lernt. Eigentlich bekommt er aber bald die Schrecken des Sklavenhandels während der Besiedlungsgeschichte Nordamerikas zu sehen. Dann geht es um einen jungen und talentierten Komponisten, der mit Hilfe eines Altmeisters seiner Zunft die Karriereleiter nach oben klettern will. In den 70ern begleiten wir eine junge Journalistin, die ein großes Komplott aufdeckt. In der Gegenwart lernen wir Timothy Cavendish kennen, dem als Verleger viel Glück und später großes Pech widerfährt. Im Jahr 2144 werfen wir einen Blick in die Zukunft. Hier dreht sich alles um eine geklonte Kellnerin, die eine größere Bedeutung zu haben scheint, als sie denkt. Welche Bedeutung das ist, könnte sich in einer noch weiteren Zukunft einer nahezu steinzeitlichen Version der Erde zeigen. Hier begleitet man Zachery, dessen Glauben auf sehr harte Proben gestellt wird.
Im Zentrum jeder Geschichte steht immer entweder ein Verbrechen oder eine gute Tat, welche gravierende Auswirkungen auf die Zukunft zu haben scheinen. Ebenso hängen alle Figuren irgendwie zusammen. Die Story adäquat zusammen zu fassen, ist nahezu unmöglich, was aber nicht einer Unübersichtlichkeit zu schulden kommt, sondern einfach der schieren Masse an Erzählsträngen.
Wie kann dieser Film funktionieren? Wie können die vielen Stränge zusammen laufen, so dass man alles nachvollziehen kann? Das Buch kann man zur Seite legen und nach einer Pause das Lesen fortsetzen. Man kann im Buch zurückblättern, wenn man etwas nicht mitbekommen hat, oder sich der Zusammenhang zwischen zwei Strängen nicht sofort ergibt. Bei einem Film kann man das nicht. Hier gibt es sechs ausgeklügelte Einzelgeschichten, die irgendwie mit einander verbunden werden müssen. Tom Tykwer und die Wachowskis haben genau das tatsächlich geschafft und gemeistert. Die Story wird durch zahlreiche Schnitte voran getrieben und zu keiner Zeit im Film hat man das Gefühl, nicht zu wissen, worum es gerade geht. Die unterschiedlichen Settings sind so gut ausgearbeitet und entwickelt, dass man sich sofort wiederfindet und die Breaks werden an Stellen gemacht, die auch inhaltlich sinnvoll sind, so dass man selten lange überlegen muss, an welcher Stelle wir unterbrochen wurden. Muss man allerdings aufs Klo – was bei einer Laufzeit von fast 3 Stunden nicht ganz unrealistisch scheint – wird es schwierig. Während man sich von einem anderen Kinogast berichten lässt, was in der Zwischenzeit passiert ist, läuft der Film ja schon wieder weiter und die Handlung geht gnadenlos voran. Dieses – eher blasentechnische – Problem schlägt jedoch nicht all zu sehr ins Gewicht. Durch die dichten Schnitte bekommt der Film nämlich einen starken Flow und langweilt nicht für eine Sekunde. Technisch haben sich sowohl Tykwer mit seiner Vorliebe für eindrucksvolle Menschenbilder, als auch die Wachowskis mit ihrer Affinität zu wahren Orgasmen zünftiger Actionfeuerwerke ausgetobt und eine stimmige Mischung geschaffen. Überhaupt ist alles aus einem Guss und zeigt, dass das Drehbuch das Rückgrat des Ganzen bildet. Das Schauspielensemble zeigt eine enorme Spielfreude und Wandlungsfähigkeit, denn durch Drei- bis Vierfachbesetzungen wird ebenfalls eine Verbindung zwischen den einzelnen Elementen geschaffen. Bei einigen reicht ein neuer Bart, oder eine Perücke und schon sind sie jemand anderes. Besonders auffällig ist Hugo Weaving, der in der Episode um Timothy Cavendish einen mehr als denkwürdigen Auftritt feiert und Tom Hanks. Ich hatte in den letzten Jahren den Eindruck gewonnen, Tom Hanks sei fertig und hätte seine Fähigkeiten als Schauspieler einschlafen lassen. Hier nun prägt er die unterschiedlichen Charaktere nicht nur durch ein neues Kostüm oder einer bekloppten Frisur, sondern spielt total überzeugend die unterschiedlichsten Figuren. Man kann sagen, Tom Hanks allein liefert schon genug Gründe, sich diesen Film anzusehen.
„Cloud Atlas“ ist ein überaus gelungener Film. Die Message mag einen leichten Eso-Touch haben, spielt aber eigentlich keine große Rolle, da der Kern des Ganzen viel zu weit weg ist. Eine viel größere Stärke ist die komplexe Struktur des Films, die packende Inszenierung und die einzelnen Geschichten. Außerdem ist der Film in erster Linie Unterhaltung und großes Kino und Vergleiche mit dem bedeutungsschwangeren „Tree Of Life“ hinken ab der ersten Minute. Während Terence Malick tiefreliegös verankerte Ansichten über das Leben in all seiner Form auf eindrucksvolle und poetische Art und Weise inszenierte, will „Cloud Atlas“ diese Tiefe gar nicht erreichen. Vielmehr ist dieses Machwerk eine Verbeugung vor allen Filmgenres, die es überhaupt geben kann und der Beweis dafür, dass sich auch gutsituierte Hollywoodgrößen einfach mal kopfüber in ein Herzensprojekt stürzen können. Bei derartigen Aktionen sind bis jetzt auch immer die besten Filme entstanden.
Cloud Atlas (D, USA, 2012): R.: Tom Tykwer, Andy & Lana Wachowski; D.: Tom Hanks, Halle Berry, Hugo Weaving, u.a.; M.: Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer; Offizielle Homepage
In Weimar: CineStar, lichthaus
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