Christine And The Queens
Support: Lauren Auder
Columbiahalle, Berlin, 15. Oktober 2018
Bayern zu entfliehen ist dieser Tage nur schlecht möglich: Erst der vom Rest der Republik mit einer Mischung aus Neid und Fremdscham bestaunte Trachtensuff des Oktoberfestes (Disneyland für Dauerdichte, SZ), dann hustet der einst so stolze und jetzt ziemlich irdische Ballsportverein aus München und stürzt das ganze Land samt La Mannschaftnix in eine schlimme Depression – und nun auch noch diese Laptop-Lederhosen-Landtagswahl samt volkstümelnder Politkasper, roter Dystopie und spaßiger, grüner Allmachtsfantasien. Selbst die ehrenwerte FAZ liest sich plötzlich wie eine Lokalausgabe des bedrohlich trudelnden Freistaates – ist da denn kein Entkommen!? Doch, schon. Oder besser: fast. Denn selbst auf dem einzigen Deutschlandkonzert von Frankreichs Musikexport Nummer eins Christine And The Queens in Berlin werden am Eingang ein paar schwammige Brezn gereicht. Tagsüber hatte man schon einen Kreuzberger Hipster mit Weißbier aus der Flasche flanieren sehen (dafür gäb’s in Bayern mit Recht eine strenge, amtliche Abmahnung), aber sonst ist hier alles angenehm unbayerisch – die Hauptdarstellerin ja ohnehin und sowieso.
Héloise Letissier ist nicht ohne Grund dort, wo sie jetzt so frenetisch umarmt und bejubelt wird – niemand bringt das neue Gefühl der sexuellen Selbstbestimmung so locker und bestimmt auf den Punkt wie sie, niemand vermählt klassischen Pop und verschwitzten Tanz auf so beeindruckend perfekte Weise wie diese schmale, trotzige, sympathische Frau aus Nantes. Wer ihre Lieder hört, mitsingt und -schwingt, der kann damit auf gänzlich einfache, weil eingängige Art (wie sie das eben auch tut) eine sehr gegenwärtige Lebenseinstellung verinnerlichen und transportieren. Christine And The Queens schaffen auch an diesem Abend das, was Politik mit dem oft angestrengten Ringen der Worte nicht vermag: Mit einem Fingerschnippen, einem Hüftschwung, einer herausfordernden Geste, einem lauten Lachen hat sie die Halle sofort hinter sich und somit auch in dem Gefühl vereint, dass sich das, was da auf der Bühne passiert, mühelos im sonst so beschwerlichen Alltag zwischen Vorsicht und Vorurteil unterbringen ließe.
Auch wenn es wohl Schwerstarbeit ist, was Letissier da mit ihrem Tanzensemble vor dem Bühnenbild aus Bergkulisse (Bavaria, haha) und schwerer See veranstaltet, auch wenn dahinter eine bis ins letzte Detail verplante Choreografie stecken mag – es wirkt so verteufelt leichtfüßig, so selbstverständlich und locker, wie es wohl nur die Verbindung von Können und Leidenschaft vermitteln kann. Die an Fame oder die Westside-Story erinnernden Tänze, das Auf und Ab mal geschmeidiger, mal wilder Bewegungsabläufe, wie man es schon aus ihren Videos kennt, das Ineinander von Körper, Sound und Gesang ist unglaublich, ist ansteckend. Und makellos – was sicher ein ungewollter Eindruck ist, denn gerade die Akzeptanz des Makels, der Unebenheit, der Anders- und Unartigkeit ist Letissier ja in ihren Liedern ein immerwährendes Anliegen. Jeder ihrer zahlreichen, aktuellen Hits lässt sich von dieser Seite lesen, ob nun „It Doesn’t Matter“, „5 Dols“, „Damn, Dis-Moi“ oder „La Marcheuse“ – sie alle sprechen ein und dieselbe Sprache.
Und sind andererseits natürlich ganz nah bei den Idolen der Zeit verortet, die sie musikalisch offenbar am meisten schätzt: Queen, Michael Jackson, Madonna, sie alle werden mehr oder weniger deutlich zitiert. Sie internationalisieren quasi ein Programm, was ausschließlich in französischer Sprache wohl schwerer möglich wäre (und sicher ein Grund für die konzeptionelle Zweisprachigkeit ihrer Alben ist). Der große Magier (und Vereinnahmer) Pop ist also allgegenwärtig, man nimmt es gern in Kauf, versteht sich prächtig und genießt den Auftritt auf und später auch als szenische Überraschung vor der Bühne. Wenn sich Letissier dann ausgepumpt, mit glücklichen und dankbaren Worten aus dem Publikum von selbigem verabschiedet, dann meint man zu verstehen, was diese Frau so einzigartig macht wie nur wenige vor ihr: Wer die Mühe vorher und die Nähe danach mit solch beseelter Freude auf sich nimmt, kann das nur aus Berufung tun. Und spielt sich so auf direktestem Weg mitten hinein in die Herzen der Zuhörer. Die Brezn gingen am Ende übrigens nicht mal für den halben Preis weg, was als schöne und gerechte Schlusspointe irgendwie auch bestens paßt.
Support: Lauren Auder
Columbiahalle, Berlin, 15. Oktober 2018
Bayern zu entfliehen ist dieser Tage nur schlecht möglich: Erst der vom Rest der Republik mit einer Mischung aus Neid und Fremdscham bestaunte Trachtensuff des Oktoberfestes (Disneyland für Dauerdichte, SZ), dann hustet der einst so stolze und jetzt ziemlich irdische Ballsportverein aus München und stürzt das ganze Land samt La Mannschaftnix in eine schlimme Depression – und nun auch noch diese Laptop-Lederhosen-Landtagswahl samt volkstümelnder Politkasper, roter Dystopie und spaßiger, grüner Allmachtsfantasien. Selbst die ehrenwerte FAZ liest sich plötzlich wie eine Lokalausgabe des bedrohlich trudelnden Freistaates – ist da denn kein Entkommen!? Doch, schon. Oder besser: fast. Denn selbst auf dem einzigen Deutschlandkonzert von Frankreichs Musikexport Nummer eins Christine And The Queens in Berlin werden am Eingang ein paar schwammige Brezn gereicht. Tagsüber hatte man schon einen Kreuzberger Hipster mit Weißbier aus der Flasche flanieren sehen (dafür gäb’s in Bayern mit Recht eine strenge, amtliche Abmahnung), aber sonst ist hier alles angenehm unbayerisch – die Hauptdarstellerin ja ohnehin und sowieso.
Héloise Letissier ist nicht ohne Grund dort, wo sie jetzt so frenetisch umarmt und bejubelt wird – niemand bringt das neue Gefühl der sexuellen Selbstbestimmung so locker und bestimmt auf den Punkt wie sie, niemand vermählt klassischen Pop und verschwitzten Tanz auf so beeindruckend perfekte Weise wie diese schmale, trotzige, sympathische Frau aus Nantes. Wer ihre Lieder hört, mitsingt und -schwingt, der kann damit auf gänzlich einfache, weil eingängige Art (wie sie das eben auch tut) eine sehr gegenwärtige Lebenseinstellung verinnerlichen und transportieren. Christine And The Queens schaffen auch an diesem Abend das, was Politik mit dem oft angestrengten Ringen der Worte nicht vermag: Mit einem Fingerschnippen, einem Hüftschwung, einer herausfordernden Geste, einem lauten Lachen hat sie die Halle sofort hinter sich und somit auch in dem Gefühl vereint, dass sich das, was da auf der Bühne passiert, mühelos im sonst so beschwerlichen Alltag zwischen Vorsicht und Vorurteil unterbringen ließe.
Auch wenn es wohl Schwerstarbeit ist, was Letissier da mit ihrem Tanzensemble vor dem Bühnenbild aus Bergkulisse (Bavaria, haha) und schwerer See veranstaltet, auch wenn dahinter eine bis ins letzte Detail verplante Choreografie stecken mag – es wirkt so verteufelt leichtfüßig, so selbstverständlich und locker, wie es wohl nur die Verbindung von Können und Leidenschaft vermitteln kann. Die an Fame oder die Westside-Story erinnernden Tänze, das Auf und Ab mal geschmeidiger, mal wilder Bewegungsabläufe, wie man es schon aus ihren Videos kennt, das Ineinander von Körper, Sound und Gesang ist unglaublich, ist ansteckend. Und makellos – was sicher ein ungewollter Eindruck ist, denn gerade die Akzeptanz des Makels, der Unebenheit, der Anders- und Unartigkeit ist Letissier ja in ihren Liedern ein immerwährendes Anliegen. Jeder ihrer zahlreichen, aktuellen Hits lässt sich von dieser Seite lesen, ob nun „It Doesn’t Matter“, „5 Dols“, „Damn, Dis-Moi“ oder „La Marcheuse“ – sie alle sprechen ein und dieselbe Sprache.
Und sind andererseits natürlich ganz nah bei den Idolen der Zeit verortet, die sie musikalisch offenbar am meisten schätzt: Queen, Michael Jackson, Madonna, sie alle werden mehr oder weniger deutlich zitiert. Sie internationalisieren quasi ein Programm, was ausschließlich in französischer Sprache wohl schwerer möglich wäre (und sicher ein Grund für die konzeptionelle Zweisprachigkeit ihrer Alben ist). Der große Magier (und Vereinnahmer) Pop ist also allgegenwärtig, man nimmt es gern in Kauf, versteht sich prächtig und genießt den Auftritt auf und später auch als szenische Überraschung vor der Bühne. Wenn sich Letissier dann ausgepumpt, mit glücklichen und dankbaren Worten aus dem Publikum von selbigem verabschiedet, dann meint man zu verstehen, was diese Frau so einzigartig macht wie nur wenige vor ihr: Wer die Mühe vorher und die Nähe danach mit solch beseelter Freude auf sich nimmt, kann das nur aus Berufung tun. Und spielt sich so auf direktestem Weg mitten hinein in die Herzen der Zuhörer. Die Brezn gingen am Ende übrigens nicht mal für den halben Preis weg, was als schöne und gerechte Schlusspointe irgendwie auch bestens paßt.