Marokko ist ein Land von betörender Farbenfreude. Landschaftlich und städtebaulich bieten schon die vielen verschiedenen Ocker-, Braun- und Rosttöne, die das Land prägen und die sich mit dem Tageslicht stets verändern, eine Kulisse wie in einem Film mit Überlänge. Das Farbspektrum erweitert sich aufs Überraschendste, wenn man sich von Fez aus in den Bus nach Norden setzt. Gleich nach Verlassen der nouvelle cité von Fez erwartet die Reisenden endloses, tiefes Grün. Eine so satte Frühjahrsfarbe, dass Allgäu und Irland kaum mithalten können. Unser Ziel ist die Stadt, die sich auf einer Art Zwischenebene zwischen diesem grünen Land und den majestätischen Gipfeln des Rifgebirges befindet, die wahrhaft blaue Stadt Chefchaouen.
Auf der vierstündigen Busfahrt stimmen wir uns ein in ein entspanntes Lebensgefühl. Vorbeizieht mal in sanften Wellen, mal mit kugeligen Hügeln verziert, von kleinen Flüssen durchzogen und Schafen bewohnt die wundersame Landschaft. Die Region ist wenig besiedelt aber auch nicht verlassen. Hier wird gerade ein Haus gebaut, dort ein Pferd oder ein Traktor in Gang gebracht, marokkanische Familien setzen sich zum Picknick auf eine Decke, Kinder spielen Fußball. Und eben so lieblich und entspannt erwarten wir auch die Atmosphäre von Chefchaouen, denn so steht es überall geschrieben: Ein Ruhepol in klarer Luft.
Sababa ist ein Wort, das für Völkerverständigung und Wohlbefinden steht. Mit arabischen Wurzeln ist es heute auch im israelischen Slang zuhause und bedeutet: Alles gut, no problem, coole Sache. Im Dar Sababa in der Medina von Chefchaouen finden wir den Komfort eines liebevoll geführten Familienhotels in Kombination mit der ungezwungenen Atmosphäre eines international besuchten Hostels. Und einen grandiosen Ausblick von der Dachterrasse über die Stadt und auf die mächtigen Berge.
Easy going: Minztee frisch gebrüht, wann immer wir Lust darauf haben, entspannen auf der Dachterrrasse, wo tibetische Fähnchen im Wind flattern und sich die Sprachen mischen.
Und doch wirkt Chefchaouen zunächst wilder als gedacht. Wir kommen an einem Sonntag Nachmittag an und die kleine Stadt ist voller Menschen. Auf dem Hauptplatz Outa El-Hammam ist schwer was los, tanzende und musizierende Derwische (?) verstehen sich im sprunghaften multitasking aus ihren Darbietungen und dem geschwinden Geld einsammeln in den gut besuchten Cafés. Während sich die Sonne dranmacht, hinter den Bergen zu verschwinden, schieben sich unerwartete Menschenmassen durch die Gassen. Ich will nicht übertreiben, aber der unerwartete Besucherandrang, die vielen touristischen Waren – zunächst wirkt die Stadt auf uns, so schmuck, so gefüllt, wie ein marokkanisches Rothenburg ob der Tauber. Oder Heidelberg: Denn wie so manchen romantischen Ort auf der Welt haben Japaner*innen ganz sichtbar Chaouen, wie es in der Kurzform auch genannt wird, für sich entdeckt. Hier sind sie jung, haben nur kleines Gepäck und bilden auch höchstens kleine Gruppen – das macht den Unterschied zu unserem Bild vom japanischen Reiseverhaltens. Und doch schieben sich die Menschen dann auch durchs Stadttor raus aus der Medina, es war der Sonntagsansturm auch einheimischer Ausflügler. Am Morgen danach hat Chefchaouen zur Ruhe zurück gefunden und gibt dann auch den Blick frei auf sein fast rauschhaftes Blau.
The big Blue – Manchmal fühlt man den „Rausch der Tiefe“, wenn man in diese schmalen Gassen schaut, die ganz von ihrem blauen Anstrich dominiert sind. Die Augen werden kaum müde in dieser einzigartigen Umgebung – und Fotograf*innen sicher erst recht nicht.
Immer wieder sehen wir Bewohner, die den Anstrich der Häsuer zum wahrscheinlich xten Mal nachbessern, wo abgeblätterte Farbe ein Fitzelchen Weiß sehen lässt. Das soll nicht sein. Gestrichen wird aber meist nur der untere Teil der Gebäude, weswegen die Stadt von oben gar nicht so blau aussieht.
Und auch, wenn es eine plausible Idee gewesen wäre, Chaouen der extravaganten Schönheit wegen oder als Einladung für Touristen so blau zu streichen – überliefert ist viel mehr, dass der Volksglaube sich mit der blauen Farbe einen wirksamen Abwehrzauber versprach gegen etwas, dass im Orient der böse Blick genannt wird – und sich in unserer Kultur nur schwer nachvollziehen lässt.
Mit dem Verstand fällt es mir jedenfalls schwer, eine Bedrohung durch Blicke oder gar Dschinns, geisterhafte Zwischenwesen, deren Einfluss unberechenbar sei, zu begreifen. Und doch scheint gerade die Lage von Chefchaouen, dem zentralen Marktflecken für die Bewohner*innen des umgebenden Rif-Gebirges, ein sowohl erhabenes als auch“ausgesetztes“ Lebensgefühl hervor zu bringen. So hochgeschlängelt aus dem Tal, wie auf einem Podest den Blick in die Tiefe freigebend, von thronenden Gipfeln andererseits mächtig umzingelt … wer käme da nicht auf die Idee eines Zwischenreiches, in dem sich auch Zwischenwesen wohlfühlen.
Geradezu körperlich erfahre ich dies in der ersten Nacht in Chafchaouen, denn ich bin unruhig wie selten. In einem großzügigen, ruhigen Zimmer unter einer samtig weichen Decke will der Schlaf nicht zu mir kommen, ich fühle mich wie auf einer Nadelspitze
balancierend, dem Himmel so nah. Das hat man dann von großartigen Panoramablicken und der eigenen blühenden Phantasie. Aber keine Angst: Dem Begleiter ging es gar nicht so, ich selbst schlief schon die nächste Nacht wie ein Baby … und als morgens die Welt noch stand und mit einem perfekten Frühstück auf der Terrasse begrüßt werden konnte, war sie sowas von „sababa“.
Marokko meets Österreich Aziz Hsissen, mit dem ich im Vorfeld unserer Reise im allerflüssigsten Deutsch kommunizieren konnte, betreibt mit seiner Familie das Dar Sababa und pendelt selbst zwischen Marokko und Österreich. Und auf einmal schien mir diese Verbindung fast augenfällig. Landschaftlich und architektonisch. War Herr Hundertwasser hier? Wir sehen Gebäude, die es vermuten lassen, als habe deren Verspieltheit die Inspiration abgegeben für Kreationen in Wien.
Die Menschen in den Bergen sind anders … haben aber vielleicht eine kulturübergreifende Verbindung. Die Frauen auf dem Markt in Chefchaouen tragen Strohhüte, die weniger oreintalisch wirken, sondern man hätte sie eher in den Anden vermutet oder in ihrer Variation als Bollenhüte im Schwarzwald. Ich fotografiere die Frauen nicht, denn nicht nur gilt auch für Marokanner*innen das Recht aufs eigene Bild – gerade hier in Chefchaouen fordern sie häufig das Recht auf gar kein Bild. Und sie haben Recht! Doch freundlich blickt die schwesterliche Kunstfigur von einer – natürlich! – blauen Tür. Sie scheint mit uns ein Wiedersehen zu verabreden in dieser ganz besonderen Stadt.
Tipps für die Reise nach Chefchaouen
Das kleine familiengeführte Hotel Dar Sababa liegt zentral in der Medina. Taxitransfer vom Busbahnhof in der unteren Stadt wird organisiert und kostet 2 €. Von Fez aus fahren komfortable CTM-Busse nach Chefchaouen. Eine wunderbare Art zu Reisen für 9 € pro Person. Ticket sollte am Vortag gebucht werden.
Wir bedanken uns für einen großzügigen Bloggerinnen-Rabatt für unseren Aufenthalt im Dar Sababa. Und dafür, dass wir dieses so angenehme Hotel kennenlernen durften!
Grün inmitten des Blauen: Die alte Kasbah am zentralen Platz mit ihrem lauschigen Garten kann für ein paar Münzen Eintrittsgeld besucht werden. Pure Pflanzenpracht vor Gebirgskulisse und eine kleine Ausstellung im Gebäude. Leider gibt es im Garten keine Bänke, sonst könnte man lange verweilen.
Das Grüne rund ums Blaue: Ein kleiner Spaziergang durch die Medina bis an ihr Ende führt in die Natur. Zunächst kommt man an eine Quelle, die munter über Steine hüpft. Hier wird heute noch gemeinsam von den Frauen die Wäsche gewaschen. Im nahen Café ist der frisch gepresste Orangensaft besonders billig und die Atmosphäre lauschig. Wer will geht noch den Berg hoch zur spanischen Moschee.
Wochenmarkt: Direkt vorm Stadttor, also auf kurzem Weg erreichbar ist der Marktplatz. Hier bieten montags und donnerstags Händler Gemüse und Fisch an. Der Duft der Erdbeeren war betörend. Ende Februar die ersten Erdbeeren, herrlich süß (und deutlich besser als in die Fez übrigens.)
Essen gehen: Die Restaurantpreise waren schon in Fez moderat. In Chefchaouen ist alles noch ein bisschen günstiger. Für ca. 5 € bekommt man eine schmackhafte Tajine.
Wir waren am ersten Abend im Lala Mesouda, ganz in der Nähe vom Dar Sababa. Hier gibt es viele Tajine-Variationen und hervorragendes hausgemachtes Olivenöl zum Dippen.
Leider verpasst haben wir indes den Besuch im Restaurant Sofia. Das traditionelle Restaurant wurde uns vom Gastgeber im Dar Sababa ausdrücklich empfohlen. Am ersten Abend war ich zu dünn gekleidet, denn hier kann man nur draußen essen. Und am Montag war dann geschlossen! Wenn es noch eines Grundes bedürfte … wir müssen wieder kommen.