Bisher hatte ich nur zweimal das zweifelhafte Vergnügen, einem Zahnarzt bei der Behandlung eines anderen Patienten (oder sollte ich besser “Opfers” sagen ?) zuzusehen. Meine Kinderzahnärztin hatte die üble Angewohnheit, das jeweils nächste Kind im Behandlungszimmer warten zu lassen. Bis heute denke ich jedes Mal an das schmerzverzerrte Gesicht des Mädchens, das vor mir an der Reihe war, wenn ein Zahnarzt mir eine Spritze geben will. Das andere Mal war vor 15 Jahren hier in Peramiho. Ich reparierte den Computer von Dr.Mushi, während er direkt neben mir einen weißen Jungen behandelte. OK, dachte ich mir, ich mag zwar keine Zahnärzte, aber Dr.Mushi könnte ich vertrauen. Am Dienstag war es dann so weit: Um punkt 8 sitze ich auf den Holzbänken vor dem Eingang mit der Aufschrift „Dental“. Zwei Frauen sitzen schon da, die eine sagt mir, „Wir warten auf den Schlüssel“, offensichtlich ist sie eine Arzthelferin und keine Patientin. Beide gehen kurz darauf wieder. Dann kommt von innen das Geräusch eines Schlüssels, was mich etwas wundert, weil der große Riegel mit dem Vorhängeschloss außen angebracht ist. Dann lässt die Arzthelferin innen den Schlüssel einfach fallen, so dass er in der großen Spalte zwischen Tür und Fußboden liegt. Ich verstehe das als Aufforderung, das Vorhängeschloss zu öffnen. Aber eigentlich ist es ja nicht der Sinn von Schlüsseln, dass man sie Wildfremden anvertraut, die man nicht einmal sehen kann. „Der Arzt kommt um halb Neun,“ informiert sie mich. Bis er dann um Viertel nach Neun kommt, wartet schon eine stattliche Zahl von Patienten. Dr.Mushi ist inzwischen als zweiter Afrikaner (und als dritter Mann, denn die ersten Chefärzte waren Chefärztinnen, Benediktinerinnen aus Tutzing) Chefarzt des Krankenhauses, und insofern ist es schon eine Ehre, dass er mich gleich mit Handschlag und Namen begrüßt. Da ich ihn kenne, Mönch und Weißer bin, ist es nach hiesigen Vorstellungen selbstverständlich, dass er mich als ersten zur Behandlung ruft. Immerhin habe ich auch am längsten gewartet, sonst wäre mir das richtig peinlich. Ich befürchte, dass afrikanische Zahnärzte Zähne schon ziehen, bevor sie dem Patienten auch nur die Diagnose mitgeteilt haben, aber weit gefehlt: Er schaut sich den Zahn an, von dem am Vortag die innere Hälfte einfach weggebrochen ist. Dann macht er eine kleine Zeichnung, um mir zu erklären, wo die Füllung sitzt, die für den Bruch verantwortlich ist. Dann macht er sich ans Abschleifen und Anbringen von Zahnzement, über das er dann eine Krone setzen will. „Manche mögen es lieber ohne Betäubung, manche lieber mit,“ sagt er mir noch, und als ich mich trotz meines frühkindlichen Traumas (siehe oben) für die Spritze entscheide, setzt er noch hinzu, „Ich bin auch schmerzempfindlich.“ Die Spritze spüre ich dann gar nicht. Trotz allem hat die Behandlung auch ihre irritierenden Seiten. Dreimal nimmt er mit der linken Hand ein Gespräch auf seinem Handy an, während er mit der rechten in meinem Mund rumstochert. Zwischendurch gibt es eine halbe Stunde Pause, weil er im Schacht unter dem Fußboden nach der Ursache für das Versagen der Absaugmaschine sucht. „Dann muß es eben ohne Absaugen gehen“, sagt er schließlich, und lässt mich den Kopf zur Seite legen, damit der Speichel hinauslaufen kann.
Ich verlasse ihn mit der vorläufigen Krone, zwei Tage später, vorgestern, bin ich wieder da. Aber es ist keine Behandlung möglich, weil das Krankenhaus kein Wasser hat. Die Trockenzeit geht (hoffentlich !) dem Ende entgegen, jetzt ist überall das Wasser knapp. Da Br.Dominik, der Cellerar, in Deutschland ist, hängt es jetzt an mir, zur Installateurswerkstatt zu gehen, Meister Damian Ngonyani zu erklären, dass die Versorgung des Krankenhauses Vorrang hat, mit ihm und drei weiteren Handwerkern (die eigentlich nicht gebraucht werden, aber der Meister kann ja schlecht alleine arbeiten) zum Pumpenhaus im Garten zu gehen, die Wasserleitung des Klosters zu schließen und die des Krankenhauses zu öffnen. Als das geschehen ist, bedankt Dr.Mushi sich sehr herzlich bei mir und erklärt mir, dass es nach dem Zeitverlust jetzt leider zu spät ist, weil das Labor die endgültige Krone nicht mehr am selben Tag fertig stellen kann. Also geht der Spaß am kommenden Dienstag weiter.
Chefarztbehandlung
Autor des Artikels : rsk6400
Zum Original-ArtikelErlebnisse eines deutschen Mönchs im Alltag auf Kuba.