Chandigarh

Chandigarh6:32 Uhr. Nun stehe ich hier also auf dem Bahnsteig des Zentral-Bahnhofes in Delhi, der exakt so riecht, wie er aussieht. Mein Zug steht bereits 15 Minuten vor Abfahrt bereit und dampft vor sich hin. Hätte ich so nicht erwartet. Die Kontraste auf einem so kleinen Flecken Bahnsteig in einer Stadt wie Delhi, können größer nicht sein. Hier präsentieren sie sich, als zur Schau getragenes, schlechtes Gewissen derer, die Glück im Leben hatten. Allerlei finstere Gestalten starren mich aus dunklen Ecken an und ich tu so, als würde ich sie nicht sehen. Überhaupt hab ich gerade das Gefühl, das mich der ganze Bahnsteig anstarrt und ich werde permanent  von Typen angequatscht, die meinen Koffer tragen wollen, obwohl ich direkt vor dem Zug stehe. 

Vor der Tür meines Waggons liegt ein Typ in seiner eigenen Pisse und sieht aus als wäre er tot. Ein Typ in Uniform versucht ihn mit Fusstritten zu wecken, was den Pisselieger aber nicht sonderlich zu stören scheint. Ich kümmere mich zunächst um meine Sitzplatzreservierung. Vor jeder Tür klebt eine, mit 9-Nadel Drucker auf Endlospapier ausgedruckte Liste mit  Vor- und Zunamen der Mitfahrenden und deren Sitzplatznummer. Wow! In Deutschland undenkbar. Die Datenschützer würden sich allein bei der Vorstellung die Bäuche vor Lachen halten.

Ich hatte mich, so wie mir geraten wurde, bereits frühzeitig um eine Sitzplatzreservierung bemüht. Wozu man allerdings meinen Namen, mein Alter und das Geschlecht auf die Fahrkarte druckte, schien mir fragwürdig. Jetzt weiss ich es. Ok, ich hab mich auf der Liste gefunden! Faszinierend! Ich will einsteigen, als plötzlich der Pisselieger neben mir steht und mir auf dem Kopf rumtatscht. Meine blonden Haare faszinieren ihn. Er hinterlässt eklige, grüne Spuren einer öligen Flüssigkeit auf meinem Kopf und meiner Hose. RIESIG! Dafür krieg ich aber auch ein Foto von Dir du Strolch!  Ich fotografiere ihn und mache, dass ich reinkomme. So! Ich bin drin und hab einen Gangplatz. Neben mir sitzt ein nervöser Inder, der sich auch noch als penetranter “Aufsteher-und-Klogänger” entpuppt. All seine Bewegungen sind explosionsartig und sein Rumgezappele macht mich bereits nach 3 Minuten wahnsinnig. Seine Ellenbogen drücken sich ohne jedes Gefühl von Distanz in meine Rippen und er riecht nach Erbrochenem. Jipiiee! So wollte ich es immer haben! Genau dafür hatte ich die erste Klasse gebucht. Willkommen in meinem Leben ihr nächsten Stunden der Endlosigkeit. Ich atme durch den Mund und ignoriere einfach alles um mich. Kopfhörer auf, läuft!

Die Sitze in dieser Klasse sind durchaus bequem und das Catering toppt das von Langstreckenflügen der Lufthansa. Permanent bekommt man warmes und kaltes Essen und Getränke. Ich rühre allerdings aus Angst vor schlimmen Bauchweh-Dingen nichts an. Wie die Inder am frühen Morgen dieses superscharfe Hühnerzeug herunterkriegen, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben.

Ich beginne ein Buch zu lesen. Dieter Moor “Was wir nicht haben, brauchen sie nicht.”  und plötzlich sind wir da! Chandigarh! Öööhm! Das Buch war so lustig und spannend, dass ich doch glatt die Zeit um mich komplett ausgeblendet habe. Einzig der Pisselieger und die Stinke-Nase neben mir, war ein Tiefpunkt, ansonsten kann ich der indischen Bahn 10 von 10 Punkten geben (was die erste Klasse betrifft).

Carmen und Ingo schicken mir pünktlich zur Ankunft per SMS eine Adresse zu der ich kommen soll und 10 Minuten später stehe ich vor einer beeindruckenden Villa.  Chandigarh ist im Gegensatz zu Delhi fast schon “clean”. Überall sind Parks, Springbrünnen, Papierkörbe (!) und sogar ein “Rose Garden” für Verliebte, in dem diese sich küssen dürfen (was in der Öffentlichkeit eigentlich nicht erlaubt ist). Ok, hier liesse es sich wohnen.

In den nächsten beiden Tagen folgen skurrile und nachhaltig beeindruckende Momente, in denen ich mich im Auto des Polizeipräsidenten wiederfinde, vor mir ein mit Maschinengewehr bewaffneter Polizist, ein Locationcheck für die Hochzeit in einer Art Wüste mit kleinem Shoot mit Carmen und Ingo, eine wunderschöne Hindi-Zeremonie in einem riesigen, stylischen Restaurant, das sich später als das Wohnhaus der Familie des Bräutigams herausstellt, eine Henna-Zeremonie, eine Hochzeit auf einer indischen Farm, die mich, ob ihrer Buntheit und Freude fast zum Heulen bringt, eine beeindruckende Braut, eine Bildflut, derer ich erst wirklich glaubhaft werde, als ich sie mir später am Rechner anschaue. Ich bin mitten im Roadmovie eines Fotografen, der ein paar Tage nach Indien geflogen ist.  Ich weiss nicht, wie ich diese beiden Tage jemals sammeln und niederschreiben kann und werde. Gebt mir Zeit. Es war der Hammer!

Nach zwei Tagen stehe ich wieder am Bahnsteig und warte auf den Zug nach Delhi. Eine Horde Kinder steht im Halbkreis um mich und begafft mich. Ich trete die Flucht nach vorn an und fotografiere sie, was ihnen sichtlich Spaß macht. Ein Affe klaut mir mein Sandwich von der Bank und streckt mir die Zunge raus. Arschloch! Die 4 stündige Fahrt zurück nach Delhi, vergeht, dank eines ruhig vor sich hindösenden Sitznachbars, wie im Flug. Und dann hat mich dieser stinkende Moloch Delhi wieder. Der Zug spuckt mich nach diesen zwei Tagen, sauberen Indiens aus und schickt mich hinein in diese abgewrackte und überladene Kulisse eines Films, dessen Kulissenbauer “Gotham City” lieben, es aber nicht so richtig geil nachbauen konnten. 3 ungewaschene Inder pro Quadratmeter von denen mich mindestens 2 anstarren, anquatschen oder einfach antatschen – und das auf kilometerlangen Strassen. Ich wühle mich durch diesen Brei und laufe direkt zum 500m entfernten Hotel “Ajanta”  in der Arakashan Road, das ein herrliches Delhi-Feeling bietet: Laut, lebhaft aber sehr freundlich und halbwegs sauber. Die Megacoole Dachterasse hier, ist ein Grund allein, sich hier für umgerechnet 20€ einzuquartieren.

Ich kann nicht genau sagen warum, aber ich fühle mich wohl in Indien, obwohl es angesichts meiner Eindrücke keinen Sinn macht. Morgen flieg ich wieder zurück nach Deutschland. Den Beutel voller unwirklicher Eindrücke, verrückter Geschichten und einer gehörigen Portion Erdung. Indien hat mir ne Menge gegeben, ohne sich über mich zu beugen und mir den Kopf zu streicheln. Indien haut dir in die Fresse, rüttelt dich wach und macht dich nachdenklich. Und ja, ich fliege fasziniert zurück.

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Hier geht es zu Teil 1 und 2 meiner Reiseberichte aus Indien.


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