Vorurteile sind eine hilfreiche Krücke im alltäglichen Miteinander. Rein sozialpsychologisch betrachtet, erfüllen sie zunächst mal den Zweck, uns das Leben überschaubar und verstehbar zu machen und uns und unseren kleinen Gehirnskasten nicht dauerhaft in Synapsensalat zu versetzen. Blöd wird es nur dann, wenn sich Vorurteile hartnäckig wie alter, klebriger Kaugummi an Schuhsohlen, in unseren Köpfen halten.
Spätestens dann ist es soweit, durch Kontakt zu relevanten Vertretern der Vorurteilsgruppe, diese auszuräumen. Auch so sagt die Sozialpsychologie. Somit war ich im allerbesten Dienste der Forschung kürzlich zur Champagner Gala in Berlin, bei der es für mich auch darum ging, dem alten, angestaubten Image, Champagner wären teuer, nur was für elitäre Snobs und Möchtegerns und mehr Schein als Sein, auf die Spur zu kommen und es zu entkräften.
Eingeladen von Tjorben Montefury, der am WSET seine Weinweihen erhielt, war ich als Besucher geladen ins Schlosshotel Grunewald, um Bläschen aus Champagner-Häusern zu degustieren. Trefflich begleitet, vor allem auch im fachlichen Sinn, wurde ich von Stefanie, einer lieben Freundin und Kollegin, die maßgeblich zu meinem tieferen Verständnis beitrug.
Das Schlosshotel Grunewald hatte sich ordentlich rausgeputzt – wir auch. Wir starteten bei Taittinger und probierten auch gleich den offiziellen Champagner für die Fußball-WM, der in gelb-grüner Bouteille daherkommt – geschmacklich gut, Design hm…
Bei Charles Heidsieck überraschte mich der Heidsieck Rosé Vintage 1999, der an exotische Gewürze und Meersalz erinnerte und hervorragend zu meinen Wasabi-Waffeln passen würde. Gosset kannte ich bis dahin nicht, dort erwarteten uns nicht nur zwei charmante Herren, die meine Begleiterin mit ihren Fachfragen stark beschäftigte, sondern auch sehr zugängliche Champagner. Neu, sehr elegant und mit Aromen von Wiesenblumen, Litschi und Mirabellen, ist der Grand Blanc de Blancs ein toller Apéro. Für Rosé-Liebhaberinnen war auch etwas dabei – der Grand Rosé erfreute sich am Stand wirklich großer Beliebtheit.
Für mich war spätestens bei Billecart-Salmon klar – ich bin nicht für „Frauen-Champagner“ (hallo neues Vorurteil) zu haben, also Rosé, beerig, frisch, spritzig, nicht zu kräftig – sondern das Gegenteil. Monsieur Calzolari gab eine so lebhaft-französische Einführung in die Welt des Champagner-Hauses Billecart-Salmon, dass es eine Wonne war. Mein Highlight dort – Coup de Foudre- also Liebe auf den ersten Schluck – und gleichzeitig mein Sieger der Veranstaltung, war der Brut Sous Bois. Sous Bois heißt soviel wie Unterholz und meint hier auch auf dem Holz. Der 2007 Brut Sous Bois kommt aus den sogenannten piéces, kleinen Fässern mit 228 l Fassungsvermögen, anstatt der gängigen Barrique. Nicht nur das Holz hinterlässt eine deutliche, kraftvolle Note, ich schmeckte auch Brioche und Karamell.
Sehr kräftige Champagner wie diese, sind weniger als Apéritif gedacht, sondern entfalten sich erst richtig, wenn sie zu einem Menü getrunken werden. Ähnlich war es mit den Bläschen von Lenoble. Diese wurden uns als „männlich“ vorgestellt. Hier waren meine Geschmacksknospen besonders von der Cuvée Grand Cru Blanc de Blancs angetan.
Das Haus Moutard liegt im Süden der Champagne und galt als wagemutig – zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat die Familie den Schritt zur eigenen Herstellung gewagt. Bis dato war die Champagnerherstellung den Adligen vorbehalten. Wagemutig waren auch die Cuvée des 6 Cépages Millésime 2008 ( aus 6 Rebsorten – Arbane, Petit Melier, Pinot Blanc, Chardonnay, Pinot Noir, Pinot Meunier) und die Cuvée Vieille Vigne Cépage Arbane 2008 - Doch das hat sich gelohnt! Besonders letztere Cuvée aus 100% alten Arbanerebstöcken hat uns aus den Socken gehauen. Sehr starke Holznoten fanden sich auch hier. Champagner zu kreieren und sich dabei im wahrsten Sinne des Wortes auf seine Wurzeln zu verlassen, ist ein Anspruch, dem die Familie folgt.
Nicolas Feuillattes Palmes d’Or Brut Vintage ist die Reminiszenz an eine geheimnisvolle Operndiva und war mein Abschluss. Ein Champagner mit Aromen von weiße Blüten und Honig, die sanft die Zunge streichelten und trotzdem kraftvoll und würzig wirkten.
Das Schmecken kann man lernen, man muss nur üben und dafür müssen wir uns wieder auf unsere archaischen Sinne verlassen.
Champagner ist nicht per se teuer. Ein gutes Produkt, welches in harter Arbeit und mit den besten Methoden entstanden ist, muss auch seinen Preis haben. Und ein Champagner kann und darf doch gern was Besonderes sein. Natürlich gibt es genügend Zeitgenossen, die gern herumpranzeln und bei denen unter der Hülle nicht viel mehr als heiße Luft ist – oft kann man genau bei denen aber auch den Sinn für Gutes nicht erkennen. Aber um die geht es hier auch nicht.
Meine Highlights in Kürze:
1. 2007 Brut Sous Bois von Billecart-Salmon
2. Cuvée Vieille Vigne Cépage Arbane 2008 von Moutard
3. Heidsieck Rosé Vintage 1999 von Charles Heidsieck
Mein Fazit:
Per se teure Champagner gibt es nicht. Die Frage ist vielmehr, was einem persönlich etwas wert ist. Wenn ich auf der Suche nach etwas Besonderem für einen mir wichtigen Anlass bin, dann bin ich bereit, dafür einen angemessenen Preis zu bezahlen.
Der Kontakt zu den Vertretern der Champagner-Häuser war erhellend, kurzweilig und die Gespräche unterhaltsam.
Fernab von Mainstream-Geschmäckern erwarten einen durchaus überraschende, unerwartete, sehr vorzügliche Champagner.
und zum Schluss…Etwas müsste verboten werden auf Verkostungen – aufdringliche Parfums! Wenn man ständig schwere, süßliche Patschouli-Noten in der Nase hat, dann kann das Riechorgan einfach die feinen Nuancen nicht mehr herausfiltern.
Zu dieser Veranstaltung wurde ich als Fachbesucher unentgeltlich eingeladen. Meine Meinung bleibt von davon unberührt.