Ihre Hassplatte (nicht: die schlechteste Platte, die sie kennt) stellt uns @httr_ vor: …But Alive – Hallo Endorphin (1999)
Hass? Gut. Die Platte, an die ich mich mit meinem Groll wende, die Schulter, der Boxsack, das Überdruckventil. Der Soundtrack zum freien Fall der personen- und umfeldbezogenen Negativassoziationen. Also: Wohin mit dem Hass? Eine vermeintlich existentielle* Frage, mit audiovisuellen Beantwortungsversuchen beispielsweise eines rebellisch-solitären Distelmeyer. Ich folge hingegen dem Erstimpuls, „Instrumentale Hirndröhnung“, krame Apocalyptica aus dem Regal, das totenschädelige Album Inquisition Symphony, mein Begleiter durch den gymnasialen Oberstufen-Endspurt. Sammle düster-wüste Wörte, huldige den martialischen Sound der sägenden Jungs, schwadroniere von Todesfaltern, widme mich der Instrumentenkunde. Doch dann, die Erkenntnis: Alles außer damals. Alles außer Mama und Mathe-Matura.
2009. Der galoppierende Wahnwitz. Aber es gibt nun mal Zeiten, in denen man seine Gewaltphantasien imaginär ausleben sollte, um längere Haftstrafen zu vermeiden. Unmut und Wut haben ihre Daseinsberechtigung, aber Hass? Hass kommt daher wie ein *existentieller und somit per Definition lebenserhaltender Instinkt, zerrt an den Eingeweiden, hämmert gegen die Schädeldecke, überbrüllt das Rauschen der Gegenmaßnahmen – ist aber tatsächlich eine rein menschliche Mutation von Aggressivität, unnatürliche Übersteigerung selbiger. Schlecht. Also im Sinne der Psychohygiene einen Blitzableiter suchen: I put the hate in whatever! Die folgende 45 min.-Summe der einzelnen Teile wirkt zu diesem Zweck auf mehreren Ebenen gleichzeitig, ist Auffangbecken der Wut und Verkopfung der Antipathie, weist die Trivialität von Befindlichkeiten in die Schranken, sagt:
1999. Die vierte und letzte Platte von …But Alive erscheint. Der finale Release beim bandeigenen Label B.A. Records (später: Grand Hotel van Cleef), bevor die Fanbasis meutert, KOMMERZ! schreit, sich die Truppe auflöst, …But Alive stirbt. Und damit eine der, Zitat Fanseite, „einflussreichsten deutschen Punk-Bands“. Mir fällt jedenfalls ebenjenes Album 2009 in Form einer digitalen Freundschaftskopie aus längst vergangenen Tagen in die Hände, 13 Nummern und ein Bonustrack, und trifft irgendeinen losen Nervenstrang. Der nicht mehr ganz so räudige Marcus Wiebusch, mit ersten musikalischen Vorboten der Ära Kettcar, aber noch einem Rest Scheißdrauf, schmeißt Songzeilen á la „Popmusik ist Bürgerkrieg für dich und deine beknackten Freunde mit viel zu viel Zeit“, „Wir alle finden immer für alles eine Lüge“, „Probleme der Ästhetik hältst du für politisch. Ach Gott wie niedlich“ und zeichnet zehn Jahre nach Veröffentlichung immer noch treffende Bilder unserer Generation X, Y, Z an die bröckelnde Hausmauer: „Sie kommen von überall her, mit Sätzen wie: ‘Ja die Ideale, die sind geblieben, nur der Idealismus, der ist weg.’ Der Kartoffelsalat, der schmeckt.“
Wer’s rougher will, möge sich das Demo-Tape der Burschen aus dem Jahre 1991 mit dem klingenden Titel Krawehl!Krawehl! zu Gemüte führen (Download hier), mit Rotz-Refrains wie „Hass: Ich spreng Beyer weg. Das Geilste ist: Ich bin im Recht.“ Aber mit feiner Klinge den gepflegten Wahnsinn artikulieren, die Inkonsistenzen dieser Welt in Worte fassen, und irgendwie einfach total drüber stehen – das macht Hallo Endorphin zu meiner meistgeliebten Hass- & Post-Hass-Platte. Und somit zur, trotz 10+ Jahre zurückliegenden VÖ-Datums, zeitgeistigsten Vertonung of my personal Chaos der jüngst ausgelaufenen Dekade eines neuen, nun ja, Jahrtausends. Und alles weird gut.
(…But Alive – Ein sozialkritisches Schlagzeugsolo später…, aus: Hallo Endorphin, erschienen 1999 bei B.A. Records, erhältlich u.a. im GHvC-Shop.)
Dieser Text entstand im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts „31 Tage – 31 Platten“. Mehr dazu gibt es an dieser Stelle.