Bundespräsident Wulff: Eminenz in der Grauzone

14.12.2011 – Nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler am 31. Mai 2010 musste alles sehr schnell gehen. Der Bundesversammlung standen per Gesetz nur 30 Tage zur Verfügung, um einen neuen Präsidenten zu wählen.

Bundespräsident Wulff: Eminenz in der Grauzone

Als Besetzung für das Amt war Christian Wulff insofern ein Schnellschuss der Union. Angeblich soll er sich sogar selber vorgeschlagen haben, nachdem sich zuvor Ursula von der Leyen „charmant“ ins Gespräch gebracht hatte und entsetzt abgelehnt wurde.

 

Schnellschuss

Für Angela Merkel war die Versuchung groß, sich auf Christian Wulff einzulassen. Schließlich gehörte er zu den letzten prominenten CDU-Politikern in Deutschland, dem zugetraut wurde, sie ab 2013 im Kanzleramt abzulösen. Vielleicht hat man es in der damals gebotenen Eile versäumt, sich hinreichend mit dem Kandidaten zu beschäftigen.

Andernfalls hätte man bereits 2010 absehen können, dass Wulff früher oder später über seine ausgeprägte Vorliebe für das Leben der Reichen und Mächtigen stolpern würde.

Er selber stammt aus kleinbürgerlichen und zerrütteten Verhältnissen. Als Wulff zwei Jahre alt ist, verlässt der Vater die Familie. Auch der Stiefvater wendet sich ab, als bei Wulffs Mutter Multiple Sklerose diagnostiziert wird. Der Jugendliche übernimmt die Pflege der kranken Mutter und kümmert sich um die Erziehung der jüngeren Schwester. Gleichzeitig tritt er in die Schüler-Union ein. Manche sagen, dies sei in Opposition zum Vater geschehen, der angeblich Sozialdemokrat war.

Seine politische Karriere in Niedersachsen bringt Wulff in die Nähe einflussreicher Wirtschaftsgrößen. Hier befreundet er sich mit Unternehmern wie Egon Geerkens, Carsten Maschmeyer oder Joachim Hunold und die neuen Freunde machen sich Wulffs Neigung zu einem luxuriösen Lebensstil zunutze. Mal verbringt er seinen Urlaub auf Maschmeyers Anwesen auf Mallorca. Mal residiert er mit seiner Familie in Geerkens Villa in Florida und lässt sich von Air-Berlin Chef Hunold das Upgrade auf die Business-Class spendieren.

Verbindungen zum „Jet-Set“

Eines hat er sich dabei nicht von seinen Gönnern abgeschaut: Während geübte Oligarchen ihren Reichtum und ihre Privilegien lieber im Verborgenen genießen, gelangen Wulffs Ausflüge ins „Jet-Set“ immer schnell in die Öffentlichkeit. Hier muss er sich mehrmals rechtfertigen und beeilt sich zu erklären, für die kostspieligen Urlaubsdomizile angemessen und privat bezahlt zu haben.

In der Affäre um das kostenlose Flug-Upgrade gelingt das nicht, da es hier Buchungs- und Zahlungsunterlagen gibt, die belegen, dass Familie Wulff statt des regulären Preises von 5.815 Euro lediglich 2.759 Euro gezahlt hat. Der damalige Ministerpräsident muss zu Kreuze kriechen, seinen Fehler der Vorteilsnahme eingestehen und die Differenz von 3.056 Euro nachträglich an Air-Berlin entrichten.

Das wiederum ruft die niedersächsische Opposition auf den Plan, die jetzt vom Ministerpräsidenten wissen will, wie er es denn grundsätzlich mit den reichen Freunden hält. Im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage erkundigen sich die Grünen nach Wulffs Verbindungen zu Egon Geerkens. Wulff lässt nun vor dem Landtag erklären, es habe in den letzten zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen zwischen ihm und dem vermögenden Unternehmer gegeben.

Was der Ministerpräsident in diesem Zusammenhang verschweigt: Im Jahr 2008 erhielt er von Edith Geerkens, der Ehefrau des Unternehmers, ein privates Darlehen über 500.000 Euro. Ausgezahlt wurde dieser Betrag per Scheck von Egon Geerkens selber. Die Laufzeit für das Darlehen wurde bis 2013 vereinbart. Der Zins auf vier Prozent festgelegt. Für den Großteil des Geldes erwarb Christian Wulff ein Einfamilienhaus.

Nun streitet man sich darüber, ob Wulff den Landtag getäuscht hat, als er den privaten Kredit unerwähnt ließ. Die offizielle Version des Sprechers des heutigen Bundespräsidenten: Da es sich um einen privaten Darlehensvertrag aus dem Vermögen von Frau Geerkens gehandelt habe, hätte es keinen Grund gegeben, dies im Rahmen der damaligen Anfrage anzuführen.

Gegenleistungen

Juristisch mag diese Einschätzung mit viel gutem Willen durchgehen. Allerdings zielte die Anfrage der Grünen darauf, ob sich Wulff als Ministerpräsident Vorteile verschafft hat, die nicht in Einklang mit dem niedersächsischen Ministergesetz stehen. In diesem Zusammenhang dürfte es kaum eine Rolle spielen, ob der Geldbetrag nun von dem betreffenden Unternehmer selber oder von seiner Ehefrau stammte.

Im Ergebnis realisierte Wulff hierbei direkt zwei erhebliche Vorteile. Zum einen verzichtete Edith Geerkens auf eine Eintragung der Schuldsumme in das Grundbuch des Einfamilienhauses. Zum anderen lag der vereinbarte Zinssatz ein gutes Prozent unter den damals marktüblichen Bankzinsen. Bis zum Ende der Laufzeit im Jahr 2013 hätte sich hieraus ein geldwerter Vorteil von gut 30.000 Euro ergeben.

Wenige Tage nach der parlamentarischen Anfrage im Landtag löste Wulff den privaten Kredit mit einem regulären Bankdarlehen ab. Vermittelt wurde das Geschäft mit der Stuttgarter BW Bank von Egon Geerkens persönlich.

Eine neue Wendung erhält die Affäre dadurch, dass Geerkens Wulff in dessen Zeit als Ministerpräsident angeblich drei mal als „Delegierter“ auf Auslandsreisen begleitet hat. Weder Wulffs Vorgänger noch sein Nachfolger in Niedersachsen wählten den Unternehmer als Begleiter für ihre Reisen aus. Warum auch: Schließlich handelt es sich bei Egon Geerkens um einen ehemaligen Schmuck- und Juwelenhändler, der seinen Ruhestand seit Jahren in der Schweiz genießt. Der konkrete Nutzen seiner Teilnahme an offiziellen Auslandsreisen der niedersächsischen Landesregierung erschließt sich zumindest nicht auf den ersten Blick.

Ein seltsamer Beigeschmack

So erhält die gesamte Angelegenheit einen seltsamen Beigeschmack. Hat sich Wulff gegenüber Geerkens für den luxuriösen Urlaub in Florida und das überaus vorteilhafte Darlehen auf Staatskosten revanchiert? Und wenn ja, gab es auch Gegenleistungen für die Vorteile, die dem damaligen Ministerpräsidenten durch Carsten Maschmeyer und Joachim Hunold zuteil wurden.

Hierüber kann nur spekuliert werden, da solche Vereinbarungen in der Regel nicht im Rahmen offizieller Verträge geschlossen und der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.

Doch gerade die Tatsache, dass Wulffs Verhalten und Gepflogenheiten im Umgang mit seinen reichen und mächtigen Freunden Anlass zu Spekulationen bieten, verleiht der Affäre ihr bedenkliches Potenzial.

Ein Bundespräsident muss eine unangreifbare moralische Instanz sein. Wird er zu unrecht Opfer von Verleumdungen, dann ist es die Aufgabe des Staates, ihn hiervor zu schützen. Bieten jedoch sein persönlicher Lebenswandel und seine mangelnde Distanz zu einflussreichen Vertretern der Wirtschaft den Anlass für Zweifel an seiner Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit, dann muss bei allem Respekt vor dem höchsten Amt des Staates die Frage gestellt werden, ob es sich bei ihm um die geeignete Besetzung für diese Position handelt.

Mit jedem Tag, an dem sich Christian Wulff nicht persönlich zu den im Raum stehenden Vorwürfen äußert, fügt er dem Amt des Bundespräsidenten erheblichen Schaden zu. Es ist insofern höchste Zeit, dass er selber Stellung bezieht und die Vorhaltungen entweder ausräumt oder sich dazu bekennt und die Konsequenzen trägt. Aussitzen lässt sich eine solche Angelegenheit jedenfalls nicht.

Für die Regierung käme ein Rücktritt von Christian Wulff zur Unzeit. Alleine die Frage nach einem möglichen Nachfolger dürfte Angela Merkel vor ernsthafte Probleme stellen, da sie in den letzten Jahren nahezu jeden prominenten Vertreter aus den eigenen Reihen, der auch nur halbwegs für dieses Amt geeignet sein könnte, politisch demontiert hat.


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