Bundesagentur für Arbeit: Halbwahrheiten und Lügen zum Fall “Hannemann”

An und für sich ist es erschreckend, mit welcher Leichtigkeit die Bundesagentur für Arbeit mit ihrer Presse Info 035 vom 14.06.2013 die Öffentlichkeit täuscht. Es kann jedenfalls keinen Zweifel daran geben, dass das Sozialrecht (SGB II / SGB XII) gegen das Grundgesetz und die Rechtsfortschreibung des BVerfG massiv verstößt, anders als es die Bundesagentur für Arbeit in der vorgenannten Pressemitteilung behauptet. Der Nachweis ist einfach. In einer Veröffentlichung, rechtzeitig vor den Abstimmungen im Bundestag und Bundesrat, unter Anderem zur Festlegung der Regelsätze für Leistungsberechtigte nach SGB II / SGB XII,

Entspricht der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen
und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 20.10.2010 den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 1 BvL 1/09 vom 09.02.2010?
- Eine rechtsgutachterliche Stellungnahme –”

hatte Prof. Dr. jur. Johannes Münder (TU Berlin, Lehrstuhl für Sozialrecht und Zivilrecht) den Nachweis der (vorsätzlichen) Falschberechnung der Regelsätze erbracht. Das ergab sich bereits daraus, dass der Regelsatz “statistisch” falsch ermittelt wurde, weil “Bedürftige” selbst im Verbraucherverhalten  der zu berücksichtigenden Gruppe unzulässig aufgenommen wurden und dies zu verfälschten Ergebnissen führte. In dem Gutachten wurden weitere Missstände aufgezeigt.

Trotz dieser schwerwiegenden Mängel, der vorsätzlichen Falschberechnung unter Missachtung des zu gewährenden Existenzminimums, verabschiedete dann der Bundestag und der Bundesrat die neuen Regelsätze; ein klarer (vorsätzlicher) Rechtsbruch, da die zuvor angedeuteten schwerwiegenden Mängel  Bundestag und Bundesrat bekannt waren.

Dass die Bundesanstalt für Arbeit vor diesem Hintergrund behauptet bzw. den Eindruck erweckt, als stünden die HartzIV-Regelungen im Einklang mit dem Grundgesetz bzw. der zu beachtenden Rechtsfortschreibung des Bundesverfassungsgerichtes, kann nur als platte Lüge bewertet werden. Auch für die Bedarfe von Kindern fehlt es an jeder seriösen Berechnungsgrundlage.

Das Urteil des BVerfG zu HartzIV (BVerfG, 1 BvL 1/09 vom 9.2.2010, Absatz-Nr. (1 – 220)) stellt in den ersten beiden Leitsätzen folgendes klar:

1. Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind.

 2. Dieses Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 GG hat als Gewährleistungsrecht in seiner Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG neben dem absolut wirkenden Anspruch aus Art. 1 Abs. 1 GG auf Achtung der Würde jedes Einzelnen eigenständige Bedeutung. Es ist dem Grunde nach unverfügbar und muss eingelöst werden, bedarf aber der Konkretisierung und stetigen Aktualisierung durch den Gesetzgeber, der die zu erbringenden Leistungen an dem jeweiligen Entwicklungsstand des Gemeinwesens und den bestehenden Lebensbedingungen auszurichten hat. Dabei steht ihm ein Gestaltungsspielraum zu.

Aus den beiden Leitsätzen ergibt sich eindeutig, dass das Existenzminimum “unverfügbar” ist und “eingelöst” werden muss!!! Die Bundesanstalt für Arbeit und die nachgelagerten JobCenter und Optionskommunen ignorieren geradezu die Urteilslage des BVerfG, indem sie die vorgenannten Leitsätze bei Abfassung von Richtlinien häufig unberücksichtigt lassen, und deshalb an der Umsetzung des Urteils in Verwaltungsanweisungen mangelt und die “Sachbearbeiter” in den Behörden eher darauf getrimmt werden, “Sanktionen” zu verhängen, wie es ab und zu (anonym bleibende) Mitarbeiter in den Medien zugeben.

Gegen den Grundsatz der Beachtung des “unverfügbaren” Existenzminimums verstößt das bestehende SGB II, auch durch die von den Behörden vielfach praktizierte (rechtswidrige) “Sippenhaft”, insbesondere bei Sanktionen gegenüber jungen Erwachsenen unter 25 Jahren, die im Elternhaus leben. Unzulässig wurden bisher die Sanktionen auch auf die sog. Kosten der Unterkunft (§ 22 SGB II) erstreckt, weil das immer noch nicht nach der Rechtsfortschreibung des BVerfG verfassungskonform geänderte SGB II dies sogar fordert und erst in den letzten Monaten das Verbot der “Sippenhaft” durch Urteile des BSG klargestellt wurde. Der Gesetzgeber hat es bis heute versäumt, die klar rechtswidrige Gesetzeslage (bezogen auf Sanktionen, vgl. §§ 30 ff. SGB II) zu korrigieren.

Dass insbesondere junge Erwachsene unter 25 Jahren häufig von Sanktionen betroffen sind liegt unter Anderem daran, dass die JobCenter vorrangig bzw. häufig in prekäre Beschäftigungsverhältnisse vermitteln, ohne den jungen Bürgern eine Perspektive für ein “normales Arbeits- und Familienleben” aufzuzeigen. Der Sparwut der zuständigen Ministerien in der Merkel-Regierung fielen wesentliche Förderprogramme zum Opfer. Jugendliche erhalten wenig Chancen, schulische Defizite auszugleichen, wenn sie in die Mühlen der JobCenter und Optionskommunen geraten. Nicht selten werden junge Erwachsene durch die Verhaltensweise der JobCenter und Optionskommunen in die Obdachlosigkeit abgedrängt, wenn ein Verbleib in der Wohnung der Eltern nicht mehr möglich ist. Es liegt nahe, dass Jugendliche beispielsweise Probleme damit haben, Termine wahrzunehmen, wenn ihnen zuvor Teile der Kleidung im Obdachlosenasyl gestohlen wurden und sie darum kämpfen müssen, irgendwo zeitweise unterzukommen. Verlass ist nur auf die dann folgenden Sanktionen, auch weil die jungen Erwachsenen den Gesetzes- und Verordnungs-Dschungel nicht kennen (können) und die zum Teil schlecht ausgebildeten “Casemanager” in einem Interessenkonflikt sind, auch weil die hohe Anzahl verhängter Sanktionen dazu beiträgt, eine Festanstellung zu erhalten bzw. das Weiterkommen in der Organisation beflügelt.

Aus der Beratungspraxis ließen sich viele Beispiele anführen die nahelegen, dass die Realität noch viel schlimmer ist, als in Worte fassbar. Der Leser möge sich nur einen Augenblick vorstellen wie es um ihn bestellt wäre, wenn er am Morgen noch nicht weiß, ob er abends eine Schlafstelle findet. Die Statistik verrät nicht, wie viele Betroffene, Jugendliche und Erwachsene, nur noch den Selbstmord als Ausweg aus der unerträglichen Situation in Betracht gezogen haben. In Essen wurde jüngst über 2 Todesfälle berichtet; eine Ausnahme, weil aufmerksame Erwerbsloseninitiativen die Fälle publizierten.

Dass die “realen” Zustände in den JobCentern und Optionskommunen bekannt sind, ergibt sich aus zigtausenden Klagen vor Gerichten Jahr für Jahr, die zu einem hohen Prozentsatz zu Gunsten der Kläger (=Leistungsberechtigte nach SGB II / SGB XII) ausgehen. Durch die Absicht, die Prozesskostenhilfe für die Ärmsten der Armen in der Gesellschaft signifikant einzuschränken, zeigte die derzeit amtierende Bundesregierung erneut ein Stück Eiseskälte gegenüber den Betroffenen, ganz im Sinne des neoliberalen Zeitgeistes. Offensichtlich wird damit beabsichtigt, die Leistungsberechtigten nach SGB II / SGB XII noch “rechtloser” zu stellen, damit die zum Teil menschenunwürdige Behandlung, die in der AGENDA 2010 angelegt wurde, nicht mehr in der Öffentlichkeit so massiv auffällt. Es fällt jedenfalls auf, dass der Vorstand angesichts von zigtausenden Verfahren jährlich, die zu mehr als 50 % zu Gunsten der Betroffenen entschieden werden, nicht auf die Idee kommt, dass bei der “Sachbearbeitung” viele Fehler gemacht werden und diese direkt in das eh zu gering berechnete Existenzminimum eingreifen. Auch darauf ist Aufregung und Aggression bei den Betroffenen zurückzuführen.

Jetzt geht es der Bundesagentur für Arbeit aber mehr darum, die Realität auszublenden und Inge Hannemann aus der Behörde zu entfernen, um eigene Unzulänglichkeiten zu rechtfertigen. Die Unzulänglichkeit liegt insbesondere darin, dass die Gesetzeslage nicht selten nur nach “Haushaltsgesichtspunkten” verordnet wird und die Rechtslage und der Anspruch der Leistungsberechtigten nach SGB II / XII nur Eingang findet, wenn die Sozialgerichte das erkennbar rechtswidrige Handeln der Jobcenter und Optionskommunen untersagen. Selbst wenn die Rechtswidrigkeit, wie bei der “Sippenhaft”, über Sanktionen offenkundig ist, wird der Rechtsweg ausgeschöpft, weil die Behörden dann “sparen” können bzw. BSG-Urteile ab Verkündung erst anwenden müssen (keine Rückwirkung). Damit hat sich der Gesetzgeber trickreich Möglichkeiten eröffnet, durch Verfahrensverzögerung bzw. –dauer Budgetmittel zu sparen und erst nach Urteilsverkündung die nachgelagerten Behörden aufzufordern, das Urteil anzuwenden. Der Rechtsweg zum BVerfG eröffnet “Sparmöglichkeiten” zwischen 4 und 5 Jahren. Da lohnt es sich, den Regelsatz falsch zu berechnen (siehe oben); den Betroffenen bleibt ja der langjährige, für Sozialanwälte mühsame und aufwändige Klageweg, der nur unzureichend vergütet wird. Und alle diejenigen, die nicht klagen bzw. jedem Bescheid widersprechen und auf das laufende Verfahren hinweisen, haben nur Anspruch auf den neu berechneten Regelsatz ab Veröffentlichung bzw. Rechtskraft des Urteils.

Auch die Wortwahl der Presse Info 035 ist entlarvend; Behördenmitarbeiter sollen nicht mehr “beleidigt” und “herabgewürdigt” oder gar “in Gefahr” gebracht werden. Es klingt beinahe zynisch, wenn die Folgen der zum Teil menschenunwürdigen Behandlung ausgerechnet derjenigen angelastet werden sollen, die für eine menschenwürdige Behandlung in den Behörden sorgen will bzw. diese fordert. Dabei hat sie immer klargestellt, dass viele ihrer Kollegen ähnlich denken und arbeiten, wie sie auch. Dennoch ist festzuhalten, und das ergibt sich alleine aus der Vielfalt der Widersprüche und Klagen vor den Sozialgerichten, dass das zu gewährende Existenzminimum und die Würde des Menschen noch allzu häufig nicht gesetzeskonform bereitgestellt bzw. missachtet wird. Um es noch einmal klar zu sagen: Jeder rechtswidrige Eingriff in das EXISTENZMINIMUM ist auch ein Eingriff in die Menschenwürde (siehe oben den 1. und 2. Leitsatz des BVerfG).

Dem Vorstand der Bundesanstalt für Arbeit sollte eigentlich bekannt sein, dass es bei der Beurteilung von Sachlagen auf Objektivität und Willkürfreiheit ankommt. Die Presse Info 035 berücksichtigt dies, wie oben an wenigen Beispielen nachgewiesen, offensichtlich nicht. Alleine die zigtausenden Verfahren vor den Sozialgerichten zeigen die Schieflagen in den Behörden auf, auch weil die gegebene Ausübung von Ermessensspielräumen nicht oder nur unzureichend beachtet wird. Haushaltsgesichtspunkte dominieren nicht selten Behördenverhalten.

Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit hat sich mit der Pressemitteilung an und für sich ein Armutszeugnis ausgestellt. Wer nicht in der Lage ist, die berechtigten und bekannten Einwände von Inge Hannemann in der Pressemitteilung angemessen, objektiv und willkürfrei zu würdigen, der gehört nicht in den Vorstand einer Behörde. Es mangelt an persönlicher Autorität, die auch die berechtigten Anliegen der anderen Seite mit einbezieht, ganz unabhängig von der zu treffenden Personalentscheidung.



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