Das Menschenbild der Arbeitsministerin war nie besonders positiv. Das dürfte schon mehrfach aufgefallen sein. Dass es aber so plump und illusionslos ist, das konnte man ja nicht ahnen. Schuleschwänzen ist aller Laster Anfang, weiß sie nämlich. Langzeitarbeitslosigkeit beginnt dort, wo Jugendliche nicht mehr in die Schule gehen. Ist diese Verallgemeinerung schon ein Schaufenster des leyenschen Menschenbildes, so ist ihr Lösungsansatz von der Totalität des neoliberalen Disziplinierens geprägt. Nicht Gesellschaft und staatliche Institutionen haben sozialarbeiterisch hinzuwirken, um Schulschwänzer wieder in den Unterricht zu integrieren. Nein, deren Eltern sollen in die Pflicht genommen werden - um den Druck auf sie zu erhöhen, sollen sie nun schneller mit einem Bußgeldbescheid rechnen müssen.
Elternbashing
Grundsätzlich haben Eltern natürlich die Pflicht, ihre Sprösslinge zur Schule zu schicken. Bildung ist ja nicht nur Pflicht, die man leisten muß, sondern ein hohes Recht. Es aber nun so hinzustellen, als würden die Eltern jugendlicher Schulschwänzer partout stillhalten, wenn ihr Nachwuchs sich verweigert zur Schule zu gehen, ist eine infame Verallgemeinerung, die zeigt, dass da jemand von der Realität nichts weiß. In der kämpfen nämlich Eltern mit Jugendlichen, die desillusioniert genug sind, den Schulalltag nicht mehr erleben zu wollen. Verneint ein Pubertierender den Schulbesuch, kann man sicherlich eine Weile elterlichen Druck auf das Kind ausüben - eine Dauerlösung ist das jedoch nicht. Die Praxis zeigt durchaus, dass Eltern von notorischen Schwänzern bemüht sind, ihr Kind in den Unterricht zu bringen. Sie wissen, dass es hierzulande eine Schulpflicht gibt, sie wissen auch, dass Bußgelder blühen können, sollte der Schüler mehrfach unentschuldigt fehlen. Was aber tun, wenn keine Drohung, keine Bestrafung, keine Lockung mehr fruchtet? Die Zeiten, da man seinen Spross körperlich anpackte, um ihn gefügig zu machen, sind endlich vorbei - welchen Druck sollen Eltern, die ihrer Pflicht nachkommen möchten, an ihren verweigernden Nachwuchs weiterreichen?
Neoliberale Lösungen lösen gar nichts
Weshalb es Jugendliche gibt, die sich des Schulbesuchs verweigern, ist kein Gegenstand des von der leyenschen Vorstoßes. Erkenntnisse lassen sich aber nur erzielen, wenn man begreift, wo die Wurzeln einer Problematik stecken. Demgemäß stimmt man Lösungen ab, zieht aus Jugendämtern Fachpersonal heran, um Familien, in denen Schulverweigerer leben, zu unterstützen. All das ist zeit- und kostenintensiv; wie jede vernünftige und durchdachte Lösung, so ist auch die Reintegration von Schwänzern nicht schnell und gratis zu haben. Dem neoliberalen Dogma ekelt es freilich vor Lösungen, die Zeit und Geld kosten. Daher verlagern neoliberale Lösungsansätze stets die Verantwortung, sodass die Kosten- und Zeitfrage ins Private abgezwackt wird; sie errichten repressive Mittel, die meist zulasten derer gehen, die eigentlich nur bedingt verantwortlich sind. Von der Leyens Forderung nach schnellerem Bußgeld an Eltern ist die typisch neoliberale Art, mit Problematiken umzugehen. Probleme werden damit nicht aus der Welt geschafft, nicht mal sonderlich gelindert - aber man hat etwas getan, hat es versucht und man kaschiert damit die gesellschaftliche und politische Weigerung, sich der Angelegenheit sachlich anzunähern.
Die Liberalisierung hat Kindern und Jugendlichen mehr Autonomie beschert. Das ist nur zu begrüßen, auch wenn diese Autonomie in der Realität, in der man diese jungen Menschen oft in ein starres Konzept, in eine Schablone presst, oft wenig einbringt. Gleichwohl soll aber die Verantwortung für das Schuleschwänzen nicht dem "befreiten" Jugendlichen aufgelastet werden, sondern den Eltern. Erkennt man an, dass der jugendliche Mensch selbstverantwortlich (bis zu einem gewissen Grade) ist, so ist auch er der Ansprechpartner, um sein Fernbleiben zu erklären. Finanzieller Druck ist auf einen jungen Menschen nicht anwendbar, wohl aber pädagogischer. Und genau hier kämen die Jugendämter ins Spiel.
Von der Leyen greift auf elterliche Exemplare zurück, die es durchaus gibt; auf solche, die auf die Bildung ihres Nachwuchses keinerlei Wert legen. Die sind jedoch nicht das zu diskutierende Problem, weil sie a) ohnehin jetzt schon mit Bußgeldern konfrontiert werden und weil sie b) nicht der Standard sind. Es sind Extremexemplare, die man heranzieht, um eine generalisierte Gruppe, die Eltern nämlich, haftbar machen zu können. Unbesehen auf den Einzelfall; kollektives Bußgeld für alle, auch für bemühte Eltern. Das gibt es auch heute schon, nur in der Praxis wird es nicht strikt angewandt - auch weil man weiß, dass in einer Familie, in der die Eltern mit dem Kind täglich um jeden Schultag feilschen müssen, ein weiterer Krisenherd kontraproduktiv wäre. Das ginge zu Lasten der Familie und der Kinder. Erst wenn es unabwendbar wird, greift das Bußgeld - diese kulante Regelung ist vorausschauend und praxisbezogen; sie aufheben zu wollen, durch ein rigoroses Anwenden von Bußgeldern, zeigt letztlich nur, dass von der Leyen vom wirklichen Leben in einer Familie wenig Ahnung hat...
Bußgeld für solche, die die Kenntnisaneignung schwänzen?
Sich Kenntnis anzueignen, um zu erkennen, dass in solchen Fragen von Einzelfall zu Einzelfall zu entscheiden ist, um zu erkennen, dass mit Sozialarbeitern und Pädagogen, die in die Familien hineingehen, mehr anzustellen ist, als dadurch, finanzielle Androhungen in den Raum zu stellen, sollte man von jemanden, der einen Ministerposten inne hat, schon erwarten dürfen. Sich Kenntnisse anzueignen: das ist auch eine Form von Bildung. Die verweigert aber von der Leyen immer wieder gerne. Sie fühlt sich gebildet genug, weil sie den neoliberalen Maßnahmenkatalog, der ja nicht sehr umfangreich ist, intus hat. Sie schwänzt folglich jene Stunden, in der sie Kenntnisse vermittelt bekommen sollte. Mit einem Bußgeld wäre aber auch ihr nicht zu helfen - sie bräuchte wahrscheinlich schon pädagogische Anleitung.
Und von ihrer Sichtweise, dass Schuleschwänzen zur Langzeitarbeitslosigkeit führt, reden wir hier erst gar nicht. Ein so statisches Weltbild ist indiskutabel und immer auch ein Anzeichen neoliberaler Weltanschauung, in der Mehrdimensionales und Vielschichtiges nicht vorkommt. Und wer meint, man könnte die Langzeitarbeitslosigkeit, die in diesem Lande herrscht, mit mangelder Bildung im Vorfeld erklären, der ist nicht nur pauschalisierend, der ist gemeingefährlich - der verunglimpft Menschen, die keine Arbeit mehr finden können, unterstellt ihnen, dass es ein angeblich schlechter Bezug zur Bildung gewesen ist, der ihres Lasters Anfang war.
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