Buchkritik: Der Erste Weltkrieg von H.P. Willmott - Propaganda aus dem Jahr 2004

Buchkritik: Der Erste Weltkrieg von H.P. Willmott - Propaganda aus dem Jahr 2004
In welchem Jahrhundert leben wir eigentlich? Es gibt viele schlechte Geschichtsbücher, die einen negativen Einfluss auf unsere Gegenwart ausüben. Dies ist ein typisches Beispiel dafür.
Auf den ersten Blick scheint es sich hierbei um eine objektive Gesamtbetrachtung des Ersten Weltkriegs, seiner Vorgeschichte und Auswirkungen zu handeln. Das Buch ist gegliedert in neun Kapitel, beginnend mit "Der Weg in den Krieg (1878-1914)", über eine Aufzählung sämtlicher bedeutender Kriegsschauplätze (inklusive Heimatfront) bis hin zu "Eine neue Weltordnung (1919-1923)." Auffallend ist die große Anzahl von Fotos, auf jeder Seite ist mindestens eines zu sehen. Der Autor des Buches ist Brite, was sich aufgrund der verwendeten Initialen nicht sofort erschließt. Wenn man aber die Bilder betrachtet, errät man schnell die Nationalität des Urhebers. Willmott benutzt ein typisches Merkmal der Propaganda: Er zeigt nur tote Soldaten des Gegners, nicht aber eigene Gefallene.


Unterschwellige Beeinflussung
Insgesamt zehn Bilder gefallener Soldaten sind zu sehen, auf der Hälfte davon erkennt der Leser ausschließlich tote Deutsche. Lediglich ein Bild zeigt Opfer des Empires - allerdings keine toten Engländer oder Schotten, sondern indische Hilfstruppen, eindeutig zu identifizieren anhand ihrer Turbane. Die Fotos der toten deutschen Soldaten sind großformatig, bis hin zur Dopppelseite, das Foto der toten Inder ist kleiner als eine Scheckkarte.
Die Absicht, die dahinter steckt, ist klar. Propagandisten wollen sich selbst und ihrem Volk einreden, dass sie stark und unbesiegbar sind, ihre Gegner hingegen sind schwach und werden am Ende die Verlierer sein. In einem Punkt jedoch wird die Stärke der Gegner gezeigt: in ihrem Wüten gegen unschuldige Opfer. Willmott berichtet ausführlich über die Gräueltaten, die deutsche Soldaten an belgischen Zivilisten verübten (sogar in zwei Kapiteln), er zeigt Bilder der zerstörten Stadt Ypern und von belgischen Flüchtlingen. Dass zur selben Zeit vergleichbare Dinge in Deutschland geschahen, verschweigt der Autor. Russische Truppen fielen damals in Ostpreußen ein, plünderten und zerstörten rund 2.000 Dörfer und Städte, deutsche Zivilisten wurden vertrieben, verletzt, vergewaltigt, getötet oder nach Russland verschleppt. Die Zahl der zivilen Opfer war bei weitem höher als in Belgien - im Text bleiben sie unerwähnt, kein Foto zeigt die Spuren der Gräueltaten.
Auch hier ist die Absicht klar: Der Feind ist zunächst einmal ausschließlich Täter, aber kein Opfer. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wird er Opfer, als Strafe für seine Taten.


Eine Sammlung von Klischees
Die Liste der Dummheiten ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen. Beispiel Giftgas. Willmott behauptet, die deutschen Truppen hätten im April 1915 zum ersten Mal Giftgas eingesetzt. Das stimmt. Hierbei handelt es sich aber nur um den ersten wirksamen Einsatz von Giftgas. Dass diese teuflische Waffe zuerst von den Franzosen eingesetzt wurde (schon im August 1914), jedoch mit nur geringem Erfolg, teilt der Autor seinen Lesern nicht mit.
Beispiel Kriegseintritt der USA. Auf Seite 196 bezeichnet Willmott den amerikanischen Präsidenten Wilson im Jahr 1916 als unparteiischen Beobachter. Das ist zweifellos eine Lüge. Die USA waren damals indirekt am europäischen Krieg beteiligt, indem sie große Menge Waffen, Munition und Versorgungsgüter an die Briten und Franzosen lieferten und gleichzeitig Kredite zur Verfügung stellten, um die Geschäfte zu finanzieren (lesen Sie bitte auch J.P. Morgan und das Nye-Komitee). Immerhin erwähnt der Autor eine wichtige Zahl: Die Alliierten (Briten und Franzosen) bekamen 75mal höhere Kredite als die Mittelmächte (Deutschland und Österreich-Ungarn).


Grundlage für immer neue Kriege
Selbstverständlich darf man H.P. Willmott nicht unterstellen, er hätte mit seinem 2004 erschienen Buch absichtlich Propaganda für die Alliierten des Ersten Weltkriegs gemacht. Noch dümmer wäre die Behauptung, Willmott hätte sich mit anderen dazu verschworen, Menschen zu beeinflussen, Wahrheiten zu manipulieren und Informationen zu unterdrücken, um irgendein Ziel zu erreichen. Willmott ist gewiss nicht Teil einer organisierten Verschwörung. Man könnte ihn aber durchaus als Teil der "Verschwörung der Idioten" bezeichnen. Unsere Kultur wird geprägt von Autoren wie H.P. Willmott, von Menschen, die althergebrachte Konzepte übernehmen und nicht kritisch hinterfragen.
Eines dieser Konzepte ist das Prinzip Teilung. Die Welt ist geteilt in Gut und Böse, Täter und Opfer, Schuldige und Unschuldige. Das ist eindeutig falsch. Die Welt ist nicht geteilt, sie ist vielmehr ein großes Netzwerk. Alles hängt mit allem zusammen. Zur Entstehung des Ersten Weltkriegs und zu seinem schrecklichen Verlauf haben Deutsche, Österreicher und Ungarn beigetragen - ebenso aber auch Briten, Franzosen, Russen und Amerikaner.
Wer vom Prinzip Teilung überzeugt ist, wird zum Lügen gezwungen. Er muss auch seine Wahrnehmung teilen, er muss Informationen weglassen oder reduzieren (z.B. deutsche Opfer in Ostpreußen, Giftgaseinsatz der Franzosen, amerikanisches Engagement im Weltkrieg), um seine Weltanschauung zu untermauern. Das führt jedoch dazu, dass wir nicht aus der Geschichte lernen, sondern immer wieder dieselben Fehler machen. Auch heute wird in Medien einseitig berichtet, auch heute wird in Konflikte einseitig eingegriffen.


Neues Denken ist möglich
Oft stellen wir uns die Frage, was Menschen wie Barack Obama, George W. Bush oder Tony Blair antreibt? Sie sind in relativ freien und demokratischen Gesellschaften aufgewachsen und begehen dennoch Taten, die an jene der Diktatoren und Kriegstreiber erinnern. In Büchern wie "Der Erste Weltkrieg" von H.P. Willmott finden wir die Antwort. Diese Werke geben vor, objektiv und modern zu sein - doch sie sind es nicht. Stattdessen verbreiten sie unterschwellig ein antiquiertes Weltbild, sie versetzen die Menschen in Angst und Wut und reden ihnen ein, sie seien auf den Schutz der "Weißen Ritter" angewiesen.


Leider ist dieses Buch keine Ausnahme. In Britannien, Frankreich, den USA, Polen, Russland und vielen anderen Ländern erscheinen immer neue Werke dieser Art, nicht nur Bücher, auch Filme, TV-Dokumentationen, Zeitungsartikel und Ausstellungen. Junge Menschen werden damit konfrontiert, sie nehmen die einseitigen Darstellungen auf und wiederholen die Fehler ihrer Vorfahren.


Wenn wir wirklich vorankommen wollen, wenn wir in einer friedlichen Welt leben wollen, müssen wir unsere Kultur grundsätzlich neu gestalten. Alles muss auf den Prüfstand. Wir müssen uns fragen: Sind unsere Überzeugungen richtig? Sind die Resultate unseres Handelns wirklich diejenigen, die wir erleben wollen? Oder gibt es Alternativen? Kann man andere Bücher schreiben, andere Filme drehen? Gibt es einen anderen, umfassenderen Blick?  
     
Erst wenn wir uns diesen Herausforderungen stellen, wird ein echter Fortschritt möglich sein.
Lesen Sie bitte auch: Der Höllenmaschinist - ein Kurzroman zum Thema Schuld und Schulden.


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