Der Höllenmaschinist - Teil 21 der Fortsetzungsgeschichte

   „Und dieser Kommandeur warst du, Peter! Du hattest die jungen Amerikaner in den Kampf geschickt.“
   Peter antwortete im selben Augenblick, er wartete nicht, bis sich der Rauch verzogen hatte, bis die letzten Eindrücke verflogen waren. „Ja, das stimmt. Und ich bin stolz darauf. Und ich bin stolz auf meine Männer. In einem tapferen und heldenhaften Kampf haben wir den Feind besiegt.“
   „Tapfer und heldenhaft?“ Sie lachte bitter. „Peter, eure Gegner hatten nicht den Hauch einer Chance. Ihr habt mit moderner Hochtechnologie eine Dritte-Welt-Armee besiegt. Das ist ungefähr so, als ob ein Erwachsener ein Kind schlägt. In den meisten Kulturen gilt das als ein Akt der Feigheit.“
   „Na und? Ist doch nicht unsere Schuld, dass sich die Iraker keine vernünftigen Panzer leisten können. Wir haben die beste Waffenindustrie der Welt, dafür müssen wir uns nicht schämen.“
   „Trotzdem hattest du nicht den Mut, in einen Panzer zu steigen – so wie Hassan. Du hast es vorgezogen, den Krieg in einem Bunker in Katar zu verbringen.“
   „Bei uns ist das so üblich. Ein Hauptmann ist zu wertvoll, um im Kampf geopfert zu werden. Ich war im Planungsstab. Jemand musste diese Arbeit erledigen.“
   „Warum ausgerechnet du, Peter? Warum hast du dich wieder freiwillig zur Armee gemeldet? Du hattest doch schon längst deinen Abschied genommen.“
   „Ja, aber ich war immer noch Offizier der Reserve. Nach den Anschlägen des 11. Septembers empfand ich es als meine Pflicht, zur Truppe zurückzukehren. In unserem Land pflegen wir eine stolze Tradition der Wehrhaftigkeit.“
   Peter dachte an die Minutemen, eine Bürgerwehr, die schon im Unabhängigkeitskrieg zum Einsatz gekommen war. Ihr Name rührte daher, dass sie innerhalb kürzester Zeit kampfbereit sein sollte, im Idealfall innerhalb einer einzigen Minute. Die Minutemen entsprachen dem Idealbild des opferbereiten, patriotischen Bürgers, der jedem inneren und äußeren Feind entgegentrat. Doch das war lange her. Seitdem die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, im Anschluss an den verlustreichen Vietnamkrieg, sank die Bereitschaft, freiwillig in die Streitkräfte einzutreten. Um die modernen Kriege zu führen, mussten deshalb immer mehr Aufgaben an private Unternehmen und Reservisten abgegeben werden, auch an solche, die dafür eigentlich nicht geeignet waren.  
   „Lag es vielleicht auch daran, dass deine Karriere bei der Bank nicht so lief, wie du es dir vorgestellt hattest? Der Irak war für die US-Armee kein ernstzunehmender Gegner, das wusstest du genau. Hattest du nicht auf ein paar leicht verdiente Orden spekuliert?“
   „Wer Gutes tut, soll auch dafür belohnt werden. Daran ist nichts Verwerfliches. Der Hauptgrund war aber der 11. September. Amerika wurde angegriffen, ohne jeden Grund. Wir mussten uns verteidigen. Wir mussten Al-Qaida bekämpfen. Wir mussten die Welt vom Übel des Terrorismus befreien.“
   „Jetzt sind wir wieder am Anfang, Peter. Saddam Hussein hatte Al-Qaida nicht unterstützt. Allerdings wurden die Mudschaheddin in Afghanistan, aus denen Al-Quaida hervorging, lange von der CIA unterstützt.“
   „Ist mir egal!“, rief er zornig. „Es war richtig, den Irak zu befreien. Es war richtig, Saddam zu beseitigen, auch wenn er vielleicht den Terror nicht direkt unterstützt hat. Dieser Unmensch besaß ein unendlich langes Sündenregister. Er war der Teufel in Person. Denk nur an den Überfall auf Kuwait. Damit hatte er eine schwere Schuld auf sich genommen, und diese Schuld musste gesühnt werden.“
   „Mit dem Begriff Schuld liegst du in diesem Fall gar nicht so verkehrt, Peter, noch besser ist die Mehrzahl davon, Schulden. Der Irak hatte durch den Grenzkrieg mit dem Iran eine gewaltige Schuldenlast aufgetürmt; wie du weißt, sind Waffen und Munition nicht gerade billig. Das war der Hauptgrund, weshalb der Diktator seine Nachbarn überfiel. Er hatte es auf die Ölreserven Kuwaits abgesehen, und er erwartete, dass durch den Krieg der Ölpreis ansteigen würde, was wiederum dem irakischen Ölexport zugute käme. Ebenso spekulierte er darauf, dass die Weltgemeinschaft tatenlos zusehen würde, so wie sie es schon bei seinem Überfall auf den Iran machte und bei seinem Giftgasangriff auf die Kurden. Doch damit hatte er sich verrechnet, denn Öl ist für euch wertvoller als Menschenleben. Dieses Mal war er zu weit gegangen, die Welt schmiedete einen Plan zu Befreiung Kuwaits.“
   „Gut, ich gebe zu, in der Vergangenheit wurden Fehler gemacht. Wir haben Dinge getan, die wir nicht hätten tun sollen, wir haben Leute unterstützt, die es nicht verdient hatten. Aber wir haben daraus gelernt, jetzt verhalten wir uns anders.“
   „Wirklich? Dann verrate mir doch bitte, was ihr mit den Panzern getan habt, mit denen der Irak befreit wurde.“
   „Wir haben sie bei unserem Abzug wieder mitgenommen.“
   „Alle?“
   Er stöhnte. „Nein, nicht alle. Ein paar haben wir dagelassen, für den Wiederaufbau der irakischen Armee.“
   „Siehst du, damit habt ihr das Feuer am Schwelen gehalten. Vielleicht werden eines Tages Hassans Söhne in den Panzern sitzen und einen neuen Krieg führen. Aber entschuldige, Peter, falls sie das tun werden, ist es natürlich allein ihre Schuld. Die Friedensstifter aus dem Westen werden wieder einmal ihre Hände in Unschuld waschen.“
   Er sah sie erstaunt an. „Hey, was soll das denn? Warum bist du auf einmal sarkastisch?“
   „Darf ich das etwa nicht? Ist der Sarkasmus für dich reserviert?“
   „Das nicht, aber… aber du bist ungerecht, Helena. Du übersiehst dabei, dass es durchaus eine kritische Aufarbeitung der Ereignisse gibt. Viele Menschen, Politiker, Journalisten, Wissenschaftler, haben darüber berichtet und darüber nachgedacht. Das ist der Vorteil einer Demokratie, einer freien und ehrlichen Gesellschaft. Alles kommt irgendwann ans Tageslicht.“
   „Du machst Witze.“
   „Nein, das ist mein Ernst. Wir leben in einer freien und ehrlichen Gesellschaft.“
   „Ausgerechnet du sagst so etwas?“
   „Natürlich sage ich so etwas. Ich habe mich immer um größtmögliche Ehrlichkeit bemüht.“
   „So? Erinnerst du dich daran, was am 15. April 2003 geschehen ist?“
   „15. April? Ein Tag nach Ende des Krieges? Wir haben gefeiert.“  
   „Sonst habt ihr nichts getan?“
   „Nicht dass ich wüsste.“
   „Dann will ich deiner Erinnerung mal ein bisschen auf die Sprünge helfen. Du warst damals in der irakischen Hauptstadt. Deine Aufgabe lautete, Journalisten zu begleiten und zu beschützen. Es war jedoch keine gewöhnliche Besichtigungstour, du verbandest eine bestimmte Absicht damit. Und ihr wart auch nicht mit einem Bus unterwegs.“
   Peter ahnte, worauf sie anspielte. Die Ereignisse lagen bereits einige Jahre zurück, aber die Informationen existierten noch immer. Er wusste, sie würden niemals aufhören zu existieren.
   Ein M3 Bradley rasselte durch die Straßen von Bagdad. Peter saß oben rechts im Turm, auf dem Platz des Kommandanten, von wo aus er alles unter Kontrolle hatte. Er sah die Fahrbahn, den Bürgersteig, die Häuser und – extrem wichtig – die Dächer der Häuser, denn dort könnten Heckenschützen lauern. Und wenn er sich drehte und herabbeugte, sah er auch das Fernsehteam, das er beaufsichtigen musste. Im Kampfraum, wo normalerweise sechs Infanteristen mit Sturmgewehren und Sturmgepäck eng beieinander hockten, verteilten sich eine Reporterin, ein Kameramann und ein Tonmann mitsamt ihrer Ausrüstung. Die Reporterin schien regelrecht begeistert zu sein von der Fahrt, immer wieder presste sie ihre Stirn gegen die Außenwand des Bradleys, sah durch die schmalen Panzerglasfenster hindurch, kommentierte mit aufgeregter Stimme, was sie draußen erblickte, wandte sich dann wieder dem Kameramann zu und redete weiter, wobei ihre Aufregung kaum nachließ.
   Sie redete ohne Unterbrechung, jetzt schon seit einer halben Stunde. Am Anfang hatte Peter ihr noch zugehört, inzwischen tat er es nicht mehr. Er nahm die Frau nicht ernst, sie redete seltsames Zeug, stellte seltsame Fragen und sah außerdem seltsam aus. Ihr Oberkörper wurde geschützt von einem Stahlhelm und einer schusssicheren Weste, das war Vorschrift, aber darunter trug sie einen kurzen Rock und hochhackige Schuhe, ihre nackten Beine glänzten im fahlen Licht der Innenraumbeleuchtung. Vor Beginn der Aufnahmen hatte sie das Rot ihrer Lippen nachgezogen und die Haarsträhnen, die unter dem Helm hervorlugten, sorgsam gekämmt. In dieser Aufmachung hätte sie auch an einer Miss-Wahl in einem Militärlager teilnehmen können, wahrscheinlich hätte sie sogar gewonnen. Aber immerhin war sie gut gelaunt und folgte seinen Anweisungen.
   Der Kameramann war weniger gut gelaunt, er beschwerte sich über das schwache Licht im Panzer und darüber, dass er durch die Sehschlitze nicht richtig filmen konnte. Sein Objektiv passte nicht darauf, oben und unten blieb ein schwarzer Rand, ähnlich wie bei einem alten Spielfilm, der im Fernsehen gezeigt wurde. Als Entschädigung hatte ihm Peter besonders interessante Bilder vom Ziel ihrer Fahrt versprochen, Bilder, die allein er bekommen sollte – das versöhnte ihn. Am kooperativsten verhielt sich der Tonmann, er saß die ganze Zeit nur still in einer Ecke und machte seine Arbeit. So wünschte sich Peter alle Fernsehleute.
Fortsetzung folgt.
Unter diesem Link finden Sie die bisher veröffentlichten Teile.
Der Höllenmaschinist - Teil 21 der Fortsetzungsgeschichte
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Der Höllenmaschinist - Erzählung
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