Buchempfehlung: Albrecht Müller - Der falsche Präsident

Von Stefan Sasse
Buchempfehlung: Albrecht Müller - Der falsche PräsidentNoch kurz vor der Wahl zum Bundespräsidenten hat Albrecht Müller, Gründer und Herausgeber der NachDenkSeiten, ein Büchlein geschrieben: "Der falsche Präsident". In diesem Buch argumentiert Müller, auf welchen Politikfeldern Joachim Gauck extrem einseitige Ansichten hat, die ihn als Repräsentanten aller Deutschen gerade in diesen Zeiten ungeeignet scheinen lassen. Unter dem Untertitel "Was Pfarrer Gauck noch lernen muss, damit wir glücklich werden" argumentiert er, dass Gauck jedes tiefere Verständnis von wirtschaftlichen Zusammenhängen fehlt und er deswegen kaum in der Lage ist, die Finanzkrise angemessen zu verstehen und einzuordnen. Diese Kritik macht den stärksten Fokus von Müllers Buch aus, was durchaus verständlich ist, schließlich ist es seit 2003/04 sein Leib- und Magenthema. Wer die NachDenkSeiten und Müllers Bücher "Reformlüge", "Machtwahn" und "Meinungsmache" kennt, der wird die Argumente schnell wiedererkennen und sich heimisch fühlen; für alle anderen ist es ein par-force-Ritt durch die Agenda-Reform-Kritik von links.
Müller greift Gauck aber auch auf kultureller Ebene an und wirft ihm vor, kein Verständnis für die alte Bundesrepublik zu haben, die er nun auch repräsentiert. Besonders Gaucks Unverständnis gegenüber der Anti-Atom-Bewegung, den "Wutbürgern", Occupy und seine abwertenden Aussagen gegenüber den 68ern macht Müller hier zum Thema. Am Rande kommt auch der Relativismus Gaucks in Bezug auf den Holocaust und das Dritte Reich zur Sprache, ehe Müller am Ende Spekulationen darüber anstellt, ob Gauck als Wegbereiter einer schwarz-grünen Koalition zu sehen ist und diese Frage bejaht. 
Mir bleibt zum Ende hin nur ein ernsthafter Kritikpunkt: ich halte Müllers Gewichtung von Gaucks Unwissen über die wirtschaftlichen Zusammenhänge für etwas übertrieben. Ein Bundespräsident kann und muss nicht überall involviert sein, überall mit voller Meinung auftreten. Die Forderung Müllers, sich quasi die NDS-Positionen zu eigen zu machen und dann mit voller Kraft dafür einzutreten, hinterlassen ein zwiespältiges Gefühl. Der Bundespräsident ist nicht dazu da, eine Oppositionsmaschine zu sein. Weise Zurückhaltung sollte eher zu seinen Tugenden gehören. Selbstverständlich wäre es schön, wenn Gauck sich einige kluge, progressive Positionen zu eigen machen würde, aber ein sich auf allen Ebenen einmischender Bundespräsident scheint auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Ein Wermutstropen ist außerdem, dass Müller nicht Gaucks schwerste Hypothek, seinen Holocaust-Relativismus, schärfer angreift.
Müllers Buch hat zwei Zielgruppen. Zum einen diejenigen, die ohnehin schon keine besonders großen Gauck-Fans sind und hier noch einmal in knapper Form das Argumentationsmaterial geliefert bekommen, das sie benötigen. Zum anderen diejenigen, die bisher keine Meinung zum Thema haben, aber bereit sind, sich auch mit der Seite der Gauck-Kritiker (die in den Medien reichlich zu kurz kam) eingehend zu beschäftigen. Für beide ist es mit Sicherheit gut geeignet und ein echter Gewinn.

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