Brustkrebstagebuch: Langsame Rückkehr in die Normalität

es ist jetzt tatsächlich schon 9 monate her, seit meinem persönlichen tag X. als ich den knoten in meiner brust gefunden habe. in diesen 9 monaten ist unglaublich viel passiert. manchmal kommt es mir so vor, als läge zwischen dem 5. januar und jetzt mehr als ein leben, vielmehr 5 bis 10. der anfängliche horror steht mir immer noch vor augen, dies und die nackte angst. verzweiflung, trauer und das gefühl von irgendjemandem abgrundtief beschissen worden zu sein. und das völlig ungerechtigterweise. warum ich? mit all diesen gefühlen kam aber auch eine unbändige hoffnung, überlebenswille und blanke lust aufs leben. jetzt erst recht.  es ist für jemanden, der dem tod noch nie so gegenüber gestanden hat, schwer nachvollzuziehen. auch aus diesem grund schreibe ich diesen blog. es ist unter anderem der versuch ein thema offenzulegen, das man im normalfall meidet. 

als betroffene will man nicht gemieden werden, nur weil man plötzlich brustkrebs hat und genauso plötzlich das gefühl hat, auf die andere seite gestoßen worden zu sein. hier stehe ich, da drüben stehen die anderen. mitgefühl? ja, gerne. Mitleid? nein, bitte nicht. ich habe in den letzten monaten erlebt, wie schwer es sein kann, mit jemandem umzugehen, der von jetzt auf sofort vermeintlich todkrank ist. so schwer, dass es manche einfach ganz sein lassen. in meinem fall waren es gott-sei-dank nur ein paar ganz wenige. ich habe im gegenzug so viel beistand bekommen, dass ich immer noch voller dankbarkeit und auch demut bin. meiner familie gegenüber, freunden, kollegen, menschen, die ich kaum kannte und die in dieser zeit stärke bewiesen haben. euch gegenüber.

so viel ist passiert. ich bin monatelang achterbahn gefahren, immer abwechselnd in die hölle, dann hoch in den himmel, undsoweiterundsofort. nur normalität war nicht. eher ein permanenter ausnahmezustand. ich habe mein leben ordentlich umgekrempelt. angeschaut, ausgeleuchtet, ausgemistet. leer gelassen und dann wieder begonnen, es zu füllen. es gab eine lange zeit, in der war in mir einfach nur ein großer, leerer raum. das war so im juni rum, als ich in die reha fuhr. die reha auf sylt war für mich eine art schlüsselerlebnis und wendepunkt zum guten. wer mag, kann sich meine mitunter sehr munteren berichte aus der reha :lol: in meinem blog anschauen (unter der kategorie brustkrebs). in diesen wunderbaren 3 wochen habe ich für mich herausgefunden, dass noch nicht aller tage abend ist. ich habe großartige menschen kennengelernt, vor denen ich heute noch meinen hut ziehe. ich habe enorme körperliche fitness gewonnen. und geistige stärke. ich habe so viel und herzlich gelacht, wie seit anfang des jahres nicht mehr. ich habe mich wieder aufs pferd gesetzt. ich habe beschlossen, meinem leben eine andere richtung zu geben. ich habe mich entschieden, mit dem hadern aufzuhören, sondern das leben mit beiden händen anzupacken und es auszuschöpfen. jeden tag so zu leben, als hätte ich nicht mehr viele. das kostet unterm schnitt ganz schön viel kraft. ich habe mich aber lange zeit nicht getraut auszuruhen, einfach aus der inneren angst heraus, etwas zu verpassen. von meinem leben, das möglicherweise nicht mehr lange dauert. und dann war da diese irrationale angst, dass er mich kriegt, der tod, wenn ich eine pause mache und anhalte.

langsam kehrt ruhe ein. ich kann mich tatsächlich wieder ausruhen. ohne panik. ich denke nicht mehr den ganzen tag daran, dass ich brustkrebs habe. daran, was ist, wenn ich nun DOCH bald schon sterben muss. ich habe viele monate in dem bewusstsein gelebt, meine wahrnehmung auf meine erkrankung konzentrieren zu müssen. es ist schwer zu beschreiben, aber ich versuche es. stellt euch vor, es gibt da etwas, das für euch lebensnotwendig ist. nehmen wir einen zauberstein. und ihr wisst, dass ihr diesen zauberstein nicht eine sekunde aus den augen verlieren dürft. wenn ihr das tut, auch nur für den bruchteil einer sekunde, müsst ihr sterben. das beschreibt es ganz gut. ich dachte, wenn ich auch nur für einen augenblick wegschaue, entwischt es mir und bringt mich um. das ist jetzt nicht mehr so.  mein blickwinkel hat sich geändert. ich schaue wieder nach vorne. ich traue mich wieder, in meine zukunft zu schauen, mache pläne und freue mich darauf. das ist ein echtes wunder, dass man nach einer solchen diagnose nicht nur weiterlebt, sondern den mut findet, sein leben wieder zu lieben und an sein überleben zu glauben.

dieser glaube ans überleben ist vielleicht das schwerste überhaupt an der ganzen sache. irgendwie weiß man ja, dass man irgendwann sterben muss. das weiß jeder. egal ob er krank ist oder nicht. irgendwann ist zappe. der unterschied ist der, dass, wenn man gesund ist, der tod im normalfall unsichtbar ist. er ist zwar allgegenwärtig aber unsichtbar. so lässt er sich perfekt verdrängen. wenn man so eine diagnose bekommt, wird er sichtbar. als würde jemand ein licht anknipsen und ein spotlight auf ihn richten. mit einem mal steht gevatter tod dauernd irgendwo in der ecke. und wartet. das ist ein gewaltiger schock, wenn so etwas passiert. als ich mir dessen bewusst wurde, habe ich begonnen, regelmäßig einen psychoonkologen aufzusuchen, der mir dabei helfen sollte, die angst vor dem tod zu verarbeiten. ich kann das jedem, der in eine solche situation gerät, nur empfehlen. wir haben uns den tod und meine angst vor ihm gemeinsam angeschaut, ganz gründlich. immer wieder. und er verlor viel von seinem schrecken. auch jetzt geht er immer neben mir einher. und dennoch habe ich nicht mehr diese angst vor ihm, ich habe mich entschieden, ihn zu akzeptieren, ihn anzunehmen. ich denke, letztendlich läuft der tod immer neben einem her. mit dem unterschied, dass ihn manche sehen und andere nicht. es sind besondere ereignisse, die ihn sichtbar machen. und es sind vielleicht die gleichen ereignisse, die die angst vor dem tod kleiner werden lassen.

in der letzten zeit habe ich das gefühl, dass tatsächlich wieder so etwas wie normalität in mein leben einkehrt. das war vor einigen monaten noch unvorstellbar. und doch ist es so. ich fange an, mich zu entspannen. ohne angst. natürlich bin ich sehr wachsam und meine sinne sind sehr geschärft und in alarmbereitsschaft. aber dennoch, ich fange an, mich zu entspannen. und ich bin sehr, sehr glücklich. und dankbar. weil ich lebe. und ich hoffe, dass ich noch viele, viele jahre das vergnügen haben werde. denn das leben ist unglaublich schön.


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