Es ist ja recht putzig, wenn Typen wie Oskar Lafontaine (Die Linke), Rainer Brüderle (FDP) und Jan Fleischhauer (bekennender Konservativer) von Anne Will (Kuschelpädagogin für den Wochenausklang) eingeladen werden, um über ein Thema wie „Wirtschaftsboom und Jobwunder – wer träumt da noch vom Kommunismus?“ zu „diskutieren“. Die erwartete Antwort auf diese rhetorische Frage lautet natürlich „keiner! (der noch ganz dicht ist)“.
Tschuldigung fast hätte ichs vergessen – in der bewährten Doppelrolle als Frau und Ossi war auch die Filmemacherin Aelrun Goette dabei. Goette versuchte zu erklären, dass sie zwar im Osten, aber nicht im Kommunismus aufgewachsen sei. Und zugleich zeigte sie ein herzliches Unverständnis dafür, dass Politiker nicht zur Kenntnis nehmen wollen, dass es eine weit verbreitete Hoffnungslosigkeit unter vielen Leuten im Land gibt, die sie zugegebenermaßen kaum auf ihren erlesenen Veranstaltungen mit Wirtschaftsleuten, Promis, Medienleuten und sonstiger Schickeria antreffen würden. Leider waren diese heroischen Versuche über Realitäten zu reden weitgehend vergeblich. Immerhin erinnerte Lafontaine als ehemaliger Jesuiten-Schüler daran, dass sich die Christen auch nicht ständig für die Verbrechen ihrer Kirche entschuldigen müssten. Ansonsten hinterließ er aber eher den Eindruck einer beleidigten Leberwurst und nicht den eines Kämpfers gegen das Unrecht. Es reicht halt nicht, dass das Herz links schlägt, man muss es auch mal zeigen.
Fleischhauer suhlte sich mit hochgezogenen Augengrauen einmal mehr in seiner schweren Herkunft als 68er-Kind, das trotzdem auf den rechten Weg gefunden hat. Als Beispiel für die Intoleranz und Gewaltbereitschaft seines ehemaligen sozialen Umfeldes aus Linken gab es einen Filmbeitrag über den ungeliebten CDU-Stand am/beim ersten Mai in Kreuzberg. Dass ein bekennender Vertreter der regierenden Staatsmacht auf der linken Party in XBerg nicht so gut ankam, soll nun also als Beweis dafür dienen, dass die Linksradikalen nichts mit Meinungsfreiheit am Hut haben. Aha. Nun ist die CDU ja leider keine unterdrückte Minderheit, sondern Regierungspartei, die so ziemlich überall außerhalb von Kreuzberg und wenigen weiteren Orten die Meinungshoheit hat, jedenfalls in der Bild und in der Welt und im durchschnittlichen Bierzeit auf dem Lande. Da ist dieser Versuch so lächerlich, dass ich mich vor lauter Fremdschämen kaum mehr wundern kann, dass die ARD sich nicht entblödet, so einen Unsinn auszustrahlen – dieses Niveau hätte ich allenfalls auf RTL II vermutet, aber geschenkt. Es kam ja noch viel schlimmer!
Vorgeführt wurden auch zwei SED-Opfer, die vor jener ominösen Veranstaltung mit Gesine Lötzsch verprügelt worden sein sollen. Stellvertretend für Frau Lötzsch oder die Linke oder überhaupt alle, die sich jetzt schuldig fühlen müssten, dass arme Opfer verprügelt werden, sollte Oskar Lafontaine nun sein Bedauern darüber ausdrücken und sich entschuldigen – am besten auch gleich noch für den ganzen Kommunismus, Stalinismus, Totalitarismus und alle Gewaltopfer überhaupt. Da fehlte eigentlich nur noch der Spendenaufruf für den Verein der Opfer des 68er-Terrors – den Ehrenvorsitz auf Lebenszeit wird Herr Fleischhauer gewisslich übernehmen, viel mehr Überlebende gibt’s da ja wohl nicht.
Lustiger war da schon die Aufschwung-Lehrstunde mit Rainer Brüderle. Der behauptete übrigens gleich mehrfach, dass wir keinen Kapitalismus hätten, sondern soziale Marktwirtschaft. Auch sehr interessant. Und mindestens so absurd wie die Behauptung seines Partei-Kollegen Guido Westerwelle, dass ein menschlicher Kommunismus so unmöglich sei wie ein vegetarisches Schlachthaus. Eine Marktwirtschaft ist ungefähr so vegetarisch wie ein Schlachthaus sozial. Apropos soziales Schlachthaus: Im gleichen Atemzug lobte Brüderle die Betriebsräte und Gewerkschaften, die gar keine Lohnforderungen mehr stellen würden, sondern einfach nur noch Arbeitsplätze erhalten wollen. Und zählte als Beweis für die real existierende Menschenfreundlichkeit des herrschenden Systems die ganzen Segnungen des Sozialstaats auf, die seine Partei am liebsten abschaffen würde. Und dann erklärte er auch noch die Wirtschaft aus dem Bilderbuch und dass das Wichtigste überhaupt ja wohl ein Arbeitsplatz sei – für den die Leute wenns drauf ankommt, halt auch ohne Lohn arbeiten müssen – denn es kommt schließlich drauf an, dass jeder mitmacht. Klingt tatsächlich schon ein bisschen realsozialistisch. Aber das war natürlich gar nicht so gemeint.
Als Gast war der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge da, der wie zu erwarten war, feststellte, dass es genau denen gut geht, denen die Produktionsmittel gehören, (die die Kommunisten gern vergesellschaften würden). Er sagte auch, dass nicht nur die Börsenkurse explodieren, sondern auch die Schuldnerberatungen. Und dass „soziale Marktwirtschaft“ doch nur ein Kosename für Kapitalismus sei. Und dass die Armut auch in Zeiten des derzeit hochgelobten Wirtschaftswachstums weiter wachsen würde – und eben nicht die Einkommen der Leute, die von ihrer Arbeit leben müssen. Aber Brüderle hatte auch darauf eine Antwort – er erklärte dem Wissenschaftler erklärte, dass er leider keine Ahnung von den Zusammenhängen hätte, die Brüderle aber bereitwillig noch einmal wiederholte: Wenn es der Wirtschaft gut geht, dann geht es am Ende allen besser. Dass Butterwegge gerade das Gegenteil bewiesen hatte, passt ins FDP-Universum nicht hinein. In das von Anne Will aber auch nicht. Aber so etwas versendet sich bekanntlich.
Zum Schluss wollte Will dann unbedingt noch beweisen, dass angesichts der guten Wirtschaftszahlen auch gleich eine Welle von Verständnis und Solidarität durchs Land schwappt, weil ein paar zufällig befragte, rein optisch als Besserverdiener erkennbare Männer auf dem Weg von oder zur Arbeit vor laufender Kamera aussagten, dass sie optimistisch ins Jahr 2011 blicken und, ja, irgendwie schon bereit wären, Leuten, denen es schlechter geht, als ihnen, auch mal was abzugeben. Dieses bemühte Herstellen von Harmonie und positiver Einstellung haben sich die ARD-Kollegen bestimmt beim DDR-Fernsehen abgeschaut. Da sage doch noch einer, dass man nichts aus dem real existierenden Sozialismus gelernt hätte.