Broder hat doch recht

Aus Medizin und Unternehmensberatung kennt man den Effekt, dass die Besserung mit der Analyse und Benennung des Problems beginnt. Nicht erst mit den Gegenmaßnahmen. Das schlimmste ist: Zu leiden und nicht zu wissen, woran.
Im politischen Raum entsteht hier der Raum für Verschwörungstheorien. Verschwörungstheoretiker unterliegen dem Reiz, der Nach Deutung verlangenden Öffentlichkeit eine Erklärung zu liefern. Besonders reizvoll: Eine Erklärung, die gegen den Strich geht. Das nützt auch dem Verschwörungstheoretiker. Er bekommt Aufmerksamkeit, vielleicht sogar Anerkennung oder Ansehen. Nach dem 11. September war das so, und in der jetzt schon fünf Jahre dauernden Finanzkrise ist das auch so. (Ich weiß in der Finanzkrise allerdings nicht, auf welcher Seite man die Verschwörungstheoretiker findet. Sind es die, mit "Krieg und Frieden" oder die, die das Ende des Euro vorhersagen..?)
Der Antisemitismus mancher Linken ist auch ein Beispiel. Seine Anhänger halten folgendes Spiel über Bande für eine logische Herleitung: Die "Hochfinanz" ist das Übel der Welt. Da nicken alle. Und wer tummelt sich da in den Managementetagen...?
Martin Hohmann leitete seinen Antisemitismus genau so her, nur von der rechten Seite: Bolschewisten, Revolutionäre von 1789 bis 1918, das waren alles ....
Interessant? Für die Linke sind Juden die Erfinder und Betreiber der Hochfinanz, für die Rechte sind sie Kommunisten und Zarenmörder. Man könnte die Widerlegung antisemitischer Verschwörungstheorien mit der Benennung dieses ideologischen Widerspruchs bereits beenden.
Aber noch wichtiger ist doch die Erkenntnis, dass es sich selbst dann um keine Weltverschwörung handeln würde, wenn alle Revolutionäre und Investmentbanker ausnahmslos ... wären. Denn was sie tun und taten, war nicht von einem kollektiven Bewusstsein "im Namen der ..." getrieben. Genau so gut könnte die gleiche Haarfarbe das gemeinsame Merkmal sein. Und dann wäre jedem klar, wie bekloppt diese Art von Verschwörungstheorie ist.
Wie hält man das Argument durch, dass die meisten "Israelkritiker" verkappte Antisemiten sind? Ich unterliege oft denselben Reflexen: Nimmt Broder einen in die Mangel, ergreife ich Partei gegen Broder. Man wird doch wohl noch sagen dürfen... Und: Der Kritiker meint doch die israelische Regierung, nicht das ganze Land.
Ich unterlag einem Lesefehler: Broder und Rabbi Cooper hatten Jakob Augsteins "Fixierung" auf seine Israelkritik als Argument gebracht. Ich hielt dies nicht für stichhaltig. Denn es ist doch jedem Journalisten selbst überlassen, worauf er sich "fixiert". Nur so entsteht doch überhaupt erst  Qualitätsjournalismus, wenn man sich mal eine Zeitlang auf ein Thema fixiert, oder?
Doch So war das mit der "Fixierung" nicht gemeint: Sondern so, dass Augstein -ebenso wie Grass- Israel für den einzigen Aggressor im nahen Osten hält. Und das halte ich in der Tat auch für ein Indiz für Antisemitismus.
Man steht als Kritiker einer israelischen Regierung dann nicht im Verdacht von Antisemitismus, wenn man sozusagen anerkanntermaßen kein Antisemit ist. Sich über frühere Beiträge ein Vertrauen erarbeitet hat. Z. B. durch reflektierte Beiträge. Aber nicht durch wiederkehrende, einseitige Schuldzuweisungen. Es gibt viele Politiker und Journalisten, die in Artikeln und Interviews Kritik an der israelischen Regierung, an Siedlern oder sonst wem üben, ohne dass sie den Verdacht auf sich ziehen, antisemitisch zu denken.
Mit dieser Einsicht, die das Ergebnis einer langen Diskussion am vergangenen Samstagabend war, muss ich mich eigentlich bei Broder entschuldigen. Ich hatte ihm vorgeworfen, mit seinen unberechtigten Vorwürfen trage er dazu bei, dass "Antisemitismus" bald kein Schimpfwort mehr sei, da durch häufigen unberechtigten Gebrauch abgenutzt. Ich lag falsch.
Trotzdem ist da etwas, gegen das ich protestiere:
Augstein und Grass tragen leider dazu bei, Antisemitismus für einen Teil linker Position zu halten. Da springen einige aus dem bürgerlichen Lage mit Wonne drauf. (Trotzdem wäre es einmal interessant zu erfahren, wie sich antisemitische Ressentiments im Hause Augstein entwickeln konnten. Dass dem so ist, davon gab Jakobs Schwester Franziska ja vor einigen Monaten eine Kostprobe bei Maybrit Illner..)
Erika Steinbach brachte im Herbst 2012 einen bösen Coup, als sie -scheinbar als erste - "entdeckte", dass das A in NSDAP für "Arbeiterpartei" gestanden habe, der deutsche Nationalsozialismus mithin das Werk der Arbeiterklasse gewesen sei.
Ein Leitmotiv aller Altnazis im deutschen Bürgertum: Die Nazis, das waren die Proleten. Das Bürgertum war gewissermaßen kollektiv im antifaschistischen Widerstand. Diese Parolen wurden schon ausgegeben, als sich die Überlebenden von Stalingrad und anderen Schlachtorten noch in Kriegsgefangenschaft befanden. Die Walter Jensens und von Weizsäckers strickten da schon an der Legende vom Widerstand in Offizierskorps und Beamtentum.
Nein, der Nationalsozialismus war eine Erfindung der National-konservativen. Der entmachteten Hohenzollern und Offiziere, mit dem es den Umstürzlern von 1918 heimgezahlt werden sollte. Ihren  Antisemitismus brauchten sie, um in die  Ränge der zivilen Eliten Schneisen zu schlagen, denn die nach 1918 von den Kriegsgewinnern entmachteten Offiziere würden fortan auf Karrieren in Industrie und Wissenschaft angewiesen sein. Inmitten einer Weltwirtschaftskrise eine trübe Aussicht.

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