Brauchen wir noch Priester?

 

Über die angefochtene Bedeutung des Priestertums

von INGE M. THÜRKAUF

Der priesterliche Auftrag steht heute in einem Widerstreit, der die Dimension der Selbstzerstörung angenommen hat. Wie viele Priester in den letzten Jahrzehnten an ihrer Berufung irregeworden sind, läßt sich nur vermuten. Die Marke der Hunderttausend ist längst überschritten. Der heutige Zustand des Priestertums läßt vermuten, nicht nur der Klerus, sondern auch die Gläubigen hätten in ihrem Gedächtnis die Erinnerung an den Weltauftrag des Priesters ausgelöscht.

Gebet und der Dienst am Wort

Das Ringen um die Identität des Priesters ist nicht neu. Es begann schon zur Zeit der Urgemeinde. Als die Zahl der Jünger immer mehr zunahm, mußten die Apostel an eine neue Aufgabenverteilung denken, infolge der Unzufriedenheit der Griechen gegenüber den Hebräern. Jene „murrten“ (Apg 6, 1, 2), weil ihre Witwen bei der täglichen Versorgung zurückgesetzt würden. So riefen die Zwölf die Schar der Jünger zusammen und schlugen ihnen eine Reform der verschiedenen Dienste vor, denn sie hielten es nicht für richtig, daß sie als Priester das Wort Gottes vernachlässigen, während sie sich „dem Dienst an den Tischen“ widmen mußten. Darum gaben sie den Auftrag, sieben Männer von gutem Ruf und „voll Geist und Weisheit“ aus der Mitte der Jünger auszuwählen, die dann mit der Aufgabe des Dienens betrauen werden können. Sie selbst aber „wollen beim Gebet und beim Dienst am Wort bleiben“ (Apg 6, 2-4). Das Gebet und der „Dienst am Wort“, wozu auch die Spendung der Sakramente gehört, ist der Lebensfaden des Priesters, dazu wurde er gesandt. Der Auftrag des Priesters muß sich daher vor allem am Gebet entzünden. Auf den Gleichklang von Gebet und Apostolat mag Papst Benedikt XVI. sein Augenmerk gerichtet haben, als er am 19. Juni 2009 ein Jahr des Priesters ausgerufen hat. Mit dem Motto „Treue in Christus, Treue des Priesters“ soll der priesterliche Weltauftrag wieder in Erinnerung gerufen werden, und wer könnte als Vorbild für die Treue im Priesteramt mehr dienen als Jean-Baptiste Vianney, der arme Pfarrer aus dem kleinen französischen Dorf Ars bei Lyon in der Region Rhône-Alpes. Waren auch die äußeren Verhältnisse zur Zeit Vianneys grundverschieden von heute, eines hatten die Menschen der damaligen Epoche mit unserem Zeitalter gemeinsam: die Gottvergessenheit, der Abfall vom Glauben, die Zurückweisung jeglicher Autorität und einen ungezügelten Freiheitsdrang. Die Parolen der Französischen Revolution, die Gott entthront und durch die Vernunft ersetzt hat, sind längst unsere Leitlinien geworden. Man spricht nur noch von Menschenrechten, die Rechte Gottes sind sekundär. Trotz der heute offensichtlich gewordenen Zerstörung unserer natürlichen Grundlagen, scheint der Fortschrittsglaube immer noch eine leuchtende Zukunft vorzugaukeln, die von keiner Macht der Welt, auch nicht – nach Meinung der sich neu formierenden Atheisten – von Gott aufgehalten werden könne.

Die „Prophetien“ des Exkanonikus

Die ersten Wochen und Monate dieses Jahres haben uns schonungslos vor Augen geführt, was schon seit 2000 Jahren gegen die Pforten der Kirche hämmert: Haß gegen Christus und seine Stiftung. Feindschaft und Verhöhnung durch die Welt sind gewissermaßen das „Begleitpersonal“ der Kirche durch die Zeiten und das Ziel der Zerstörungswut ist Jesus Christus, als das „Zeichen, dem widersprochen wird“ (Lk 2,34). Papst Leo XIII. hat nachdrücklich vom „unaustilgbaren Haß und Rachedurst gegen Jesus Christus“ gesprochen. Doch was sich heute über Kirche und Klerus entlädt und als Zielscheibe die Mißbrauchskandale aufs Korn genommen hat, ist nicht wie ein Dieb in der Nacht über uns gekommen. Die Vorbereitungen dazu laufen schon seit einigen Jahrhunderten. Die Epoche der Aufklärung hat in der Folge der Französischen Revolution in drastischer Weise angemahnt, welch gewaltige geistige Umwälzung Kirche und Gesellschaft in nicht allzu ferner Zukunft wird zu bewältigen haben.

Eine spezielle Aufmerksamkeit in diesem Prozeß verdienen die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verkündeten „Prophetien“ des Exkanonikus Roca (1830 – 1893) in Bezug auf das Priestertum. Darin finden sich schon all jene Grundgedanken und Begriffe, die heute die Kirche einer kaum mehr zu tragenden Belastungsprobe aussetzen. Unverhohlen verkünden sie, was seit einigen Jahrzehnten zum großen Teil unser kirchliches Leben bestimmt. Aus den Schriften Rocas läßt sich mühelos erkennen, daß die Kirche ihres übernatürlichen Charakters beraubt werden soll, um sie mit der Welt zu verbinden, „das konfessionelle Nebeneinander“1 soll zu einem „ökumenischen Ineinander“ werden, wobei der Begriff „der alleinseligmachenden Kirche“ aus dem Sprachschatz verschwinden soll.2 Großzügigerweise will man der Kirche „noch einmal eine Chance“ 3 anbieten, wenn sie sich in die anderen Religionen einreiht. Als Bedingung für diese „Chance“ wird die Entpriesterlichung der Kirche gefordert zu Gunsten einer Laienkirche, wobei das Nebeneinander von zölibatären und verheirateten Priestern als Übergangsform zu verstehen sei. Seine Äußerung „die neue Kirche, die vielleicht nichts mehr von der scholastischen Lehre und von der Urform der früheren Kirche bewahren wird können, wird nichtsdestoweniger von Rom die Weihe und die kanonische Jurisdiktion empfangen“, 4 trifft ins Mark, ebenso seine Feststellung, daß der Katholizismus wie alle Religionen von einem universellen Synkretismus absorbiert werden würde. Das käme beileibe keiner Unterdrückung gleich, sondern sei lediglich eine Integration.

Man darf sich schon fragen, wer Roca vor über 140 Jahren diese „Prophetien“ eingeflüstert hat, die heute folgenschwer die Kirche belasten? Auch andere Angaben aus den Werken dieses ehemaligen Priesters beleuchten grell unsere gegenwärtige Krise, wenn er im Blick auf eine zukünftige Veränderung der Kirche glaubt, „daß der göttliche Kult, so wie ihn die Liturgie, das Zeremoniell, das Ritual und die Vorschriften der römischen Kirche regeln, demnächst auf einem ökumenischen Konzil (sic!) eine Umwandlung erfahren wird, die ihm die verehrungswürdige Einfachheit des goldenen apostolischen Zeitalters zurückgeben wird in Übereinstimmung mit dem Gewissen und der modernen Zivilisation“5. Roca wußte auch die Zukunft des Papsttums näher zu beschreiben: „Das Papsttum wird fallen“, erklärt er, „es wird sterben unter dem geheiligten Bischof

Messer, das die Väter des letzten Konzils schmieden werden“. Was Roca vor allem Gehör verschaffte, war der Begriff „neu“. Er verkündete „eine neue Religion, ein neues Dogma, ein neues Ritual, ein neues Priestertum“. Die neuen Priester bezeichnet er als „Progressisten“ und spricht von der Abschaffung der Soutane, von der Heirat der Priester und versteigt sich zum Geständnis: „Der religiöse, politische und soziale Erlöser wird durch unpersönliche Institutionen über die Menschheit herrschen“.6 Diese unpersönlichen Institutionen kann man heute in den zahllosen Konferenzen und Sitzungen der Pfarreiräte ausmachen oder in der anonymen Kollegialität der Bischofskonferenzen, wo Glaube und Stimme des einzelnen Bischofs kaum mehr ins Gewicht fallen. Das Individuum ist ausgelöscht durch das Kollektiv.

Auch andere „Brüder im Geist“ haben zu dieser Zeit ähnliche Gedankenveröffentlicht. „Nicht mehr die Vernichtung der Kirche ist das Ziel, sondern man sucht sie zu benützen, indem man in sie eindringt….Eines Tages muß die dogmatische Kirche verschwinden oder sich angleichen und, um sich anzugleichen, zu den Quellen zurückkehren.“7 Die durch die Weihe erlangte besondere „Wesenheit des Priesters wird ebenfalls bald keine Bedeutung mehr haben, da er sich immer mehr mit der modernen Gesellschaft vermischen wird“8, liest man im bekannten Werk des Freimaurers Yves Marsaudon. Dort spricht er deutlich aus, was er sich unter Vermischung vorstellt: „Katholiken, Orthodoxe, Protestanten, Muselmanen, Hinduisten, Buddhisten, Freidenker und gläubige Denker sind bei uns nur Vornamen. Unser Familienname ist Freimaurerei.“9 Die Revolution soll sich festsetzen in den Kollegien, Gymnasien, in den Universitäten, in Seminarien und in den Klöstern, damit in einigen Jahren dieser junge Klerus alle Funktionen übernehmen kann. So wird eine „Revolution an der Tiara und beim Chor-rock“ stattfinden, „eine Revolution, die nur ein ganz klein wenig angestachelt werden muß, um das Feuer an vier Winkeln der Welt anzuzünden“.10

Die Verwundung

Wie sehr die Revolution gezündet hat, soll am Beispiel des heutigen Arztes und Familienvaters, Jean-Pierre Dickès, geschildert werden, der am 17. Oktober 1965, zusammen mit 78 Seminaristen in das renommierte französische Seminar Saint-Sulpice in Issy-les-Moulineaux nahe Paris einzog. Bei seinem Eintritt empfand er diese Ausbildungsstätte für angehende Priester als einen Ort, der seiner Meinung nach hervorragend geeignet war „zur Entfaltung von Berufungen“. Das Seminar war, wie er dreißig Jahre später in seinem Buch „Die Verwundung“11 schreibt, ein Hafen des Friedens, und die Stille bot Raum für Gebet und innere Sammlung. Die Mahlzeiten wurden schweigend eingenommen. Ein Seminarist las recto tono einen Betrachtungstext. Die Dozenten trugen die Soutane. Die Heilige Messe wurde in Latein gelesen, ebenso das Brevier. Zum liturgischen Rahmen und zur Spiritualität gehörten die Pflege des gregorianischen Gesangs, sowie die Anbetung bei ausgesetztem Allerheiligsten und der Rosenkranz. Jean-Pierre Dickès, der sich bei seiner Schilderung auf seine Tagebuchaufzeichnungen stützen konnte, erlebte in den folgenden Wochen und Monaten die völlige Umwälzung des Seminars und damit auch seiner Berufung. Anfang November trat eine Gruppe von ungefähr 30 Seminaristen ins erste Studienjahr der Philosophie ein, die sich als sogenannte „pressure-group“ entpuppte. Die meisten waren Arbeiter, sogenannte Spätberufene. Sie hatten sich schon in katholischen, aber auch in gewerkschaftlichen und politischen Organisationen engagiert und waren nun entschlossen, Arbeiterpriester zu werden, obwohl dieses Experiment schon längere Zeit offiziell als beendet galt. In kurzer Zeit bildeten sie innerhalb des Seminars diverse Gruppen und organisierten Versammlungen mit dem Ziel, das Seminar ihren Vorstellungen anzupassen. Da in ihrer früheren Schulbildung Latein nicht inbegriffen war, gehörte ihrer Meinung nach ein solches Fach auch nicht unbedingt zu einer (arbeiter)priesterlichen Ausbildung. Ebensowenig konnten sie einen Bezug zur Gregorianik herstellen, also wäre es doch sicher ein Leichtes, auch darauf zu verzichten. Von Vorlesungen hatten sie nur einen sehr vagen Begriff, infolgedessen wären diese im Seminar auch nicht nötig, und eine schulischen Disziplin war ihnen in jedem Fall fremd, warum also sich mit Verhaltensvorschriften quälen? Die Agitation der Gruppe war nicht ohne Erfolg. In kurzer Zeit hatten sie aufgeräumt mit der scholastischen Methode in der Philosophie, mit der Autorität der Väter und dem kirchlichen Lehramt. Alles sollte nun in das Ermessen des Einzelnen gestellt werden: das Gebet, die Liturgie, die Disziplin. Auf der Tagesordnung stand vor allem das Infragestellen der Ordnung und der Gegebenheit eines Priesterseminars.

Fast ohne Schwierigkeiten und praktisch ohne Widerstand wurde eine dreihundertjährige Institution vom Sockel gestürzt. Die Patres selbst erwiesen sich mit wenigen Ausnahmen als Komplizen und waren sich nur dunkel darüber im Klaren, daß „Gebet, Ordnung und Studium durch Anarchie ersetzt“ wurde. Einige Wochen nachdem Paul VI. am 8. Dezember 1965 das II. Vatikanische Konzil beendet hatte, war von der einst renommierten Stätte der priesterlichen Bildung und Spiritualität St. Sulpice kaum mehr etwas vorhanden. Ende Dezember 1965, also drei Monate nach Eintritt des Seminaristen Dickès, war die Messe verstümmelt, Latein war aufgegeben, die Altäre wurden umgedreht. Das Heilige Meßopfer, die Wesensverwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi wurde zum brüderlichen Mahl, das „auf Augenhöhe mit dem Volk“ gefeiert wurde, mit einem Vorsteher als Vollzieher der eucharistischen Handlung. Man hatte, wie die Gruppe sich ausdrückte „die Nase voll von den Jeremiaden und weinerlichen Wehklagen der lateinischen Gesänge.“ Übrig blieb lediglich noch der diffuse Bezug auf den „Geist des Konzils“. Und die Kirche? Sie „war auf der Suche nach sich selbst in einer in vollem Wandel begriffenen Welt“. Das Resultat war, daß weder die Priester noch die Bischöfe den Sinn ihres Auftrags mehr erkannten. Sie begannen, sich selbst in Frage zu stellen und an der Institution, der sie zu dienen gelobt hatten, zu zweifeln. Eine Instruktion der Heiligen Kongregation über die liturgische Ausbildung der Seminaristen wurde durch die Bischöfe unterschlagen. Nicht ein einziger verteidigte, was Rom verlangte. Dickès resümiert: „Eintausendneunhundert Jahre Kirchengeschichte wurde im Seminar in acht Monaten ausradiert.“

Der ehemalige Seminarist, Jean-Pierre Dickès, hat den Sturm der Liturgiereform und den Umbruch der Kirche hautnah miterlebt. Da er an der thomistischen Theologie und der liturgischen Tradition, die er bei seinem Eintritt in St. Sulpice noch vorgefunden hatte, festhalten wollte, mußte er das Seminar verlassen, er hätte niemand gefunden, der bereit gewesen wäre, ihn zu weihen.

Seine Geschichte könnte so oder ähnlich auch auf andere Seminare in der westlichen Welt übertragen werden. Es ist nicht übertrieben festzustellen, daß Tausende von Berufungen auf diese Weise verloren gingen. Eine Schlußfolgerung ergibt sich aus dieser sowohl kirchlichen als auch menschlichen Tragödie: Die Geschichte jener Bischöfe, Priester und Gläubigen, die an ihrer Verwundung, die ihnen durch den „Geist des Konzils“ geschlagen wurde, zerbrochen sind, wird eines Tages geschrieben werden, und es wird keine „Frohe Botschaft“ sein. Das Buch von Jean-Pierre Dikkès ist ein Anfang.

„Schafft Herzen voll Laster“

Eine gleichermaßen dramatische Entwicklung wurde ebenfalls zu Beginn des 19. Jahrhunderts vorbereitet: die sexuelle Revolution. In seinem Buch „Athanasius und die Kirche unserer Zeit“ zitiert Bischof Rudolf Graber aus einem Brief vom 9. August 1839: „…popularisieren wir das Laster in den Massen. Was nur immer sie mit den fünf Sinnen erstreben, das soll seine Befriedigung finden. … Schafft Herzen voll Laster und ihr werdet keine Katholiken mehr haben. Das ist die Korruption im Großen, die wir unternommen haben, … die uns dazu führt, der Kirche das Grab zu schaufeln…

Laßt das Greisenalter und das reifere Alter beiseite, geht zur Jugend und wenn es möglich ist zu den Kindern“.12 Diese Anweisung wurde mit einer fast unheimlich zu nennenden Präzision durchgezogen. Was als sexuelle Befreiung in den Jahren nach dem Ende des II. Vatikanums über die westliche Welt hinweggefegt und als eine Erfüllung der Voraussagen des Exkanonikus Roca aus dem 19. Jahrhundert bezeichnet werden kann, hat Mütter, Väter und Hirten gleichermaßen mit sich gerissen. Das öffentliche Bewußtsein für Scham und Moral begann sich völlig zu wandeln. Da es offensichtlich ist, daß freie Sexualität und ein an der Lehre der Kirche sich orientierendes monogames Eheleben kaum harmoniert, setzte man sich das Ziel, die bürgerliche Gesellschaft zum Verschwinden zu bringen. Ausdruck der Bürgerlichkeit ist in erster Linie Ehe und Familie, die Mutterschaft, die Vaterschaft und das Priestertum.

Der Rettungsanker „Humanae vitae“

1968 erschien die Enzyklika „Humanae Vitae“ – Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens. Dieses Rundschreiben wollte Papst Paul VI. gleichsam als Rettungsanker in die Welt hineinwerfen. Doch die Reaktionen, die dieses Dokument entfesselten, ließen vermuten, daß darin unaussprechbar Anstößiges verlangt würde. Keine pornographische Darstellung – und es stand uns in den vergangenen 40 Jahren genügend Anschauungsmaterial zur Verfügung – hat je einen solchen Aufruhr hervorgerufen, wie dieses Lehrschreiben. Vielleicht sind wir erst heute - wenn auch nur zögerlich – in der Lage zu erkennen, welch kostbarer Schatz mit diesem Dokument seit Jahrzehnten unter dem Schutt der Unwissenheit vergraben wurde. In Erinnerung gerufen sei die Ablehnung der Enzyklika durch die von der Deutschen Bischofskonferenz permissiv ausgelegten „Königsteiner-Erklärung“ (sowie gewisser Papiere der „Würzburger Synode“), gefolgt von der österreichischen Mariatroster-Erklärung (und manchen „Erklärungen“ in andern Ländern), in denen dem persönlichen Gewissen in Bezug auf die Weitergabe menschlichen Lebens Priorität gegenüber der untrüglichen Lehre der Kirche eingeräumt wurde. Die Folgen dieser Preisgabe der kirchlichen Doktrin wird sowohl die Kirche als auch die Gesellschaft noch lange belasten. Der Einsturz moralisch-ethischer Werte in den letzten Jahrzehnten ist ebenso offensichtlich wie das große „Silentium“, in das ein Teil der kirchlichen Hierarchie seit Jahrzehnten eingetreten ist, in Bezug auf die für Eheleute heilsame und befreiende Wahrheit der Enzyklika. Von Seiten der Bischöfe war und ist mit wenigen Ausnahmen kaum ein Correctivum zu den nicht mehr aufzuzählenden Verirrungen in Hinsicht auf Disziplin, Liturgie oder modernistischer Theologie zu hören.

Es wurde und wird geschwiegen zur ungeordneten Moraltheologie progressistischer Theologen, vor allem aber zu den Unsäglichkeiten, die im Rahmen der Heiligen Messe geschahen und immer noch zu beklagen sind. Selbst Anmahnungen der Gläubigen bei den Ordinariaten werden auch heute noch meist mit Schweigen quittiert. Verteidiger der kirchlichen Lehre trifft Spott und Ausgrenzung. Das Resultat des zunächst sublimen, doch heute immer offensichtlich gewordenen Abfalls des christlichen Glaubens ist die Zerstörung der gesunden Lebensinstinkte. Das Verrückte, Anormale, Perverse, das um jeden Preis Andersartige ist salonfähig geworden. Die Medien, voran das Fernsehen, tun das Übrige, um die Gesellschaft als Ganzes in die Niederungen von Verdummung und Geschmacklosigkeiten, in jegliche Abart und Verirrung des menschlichen Geistes zu ziehen. Die millionenfache Abtreibung ungeborener Kinder brachte millionenfache oft ungesühnte Schuld in Familie und Gesellschaft. Für die Kinder, die in diese Welt hineingeboren werden, erhält dieser Irrgarten je länger je mehr den Wert des Normalen. Der Priester in der Welt In diesem Dunstkreis steht der Priester, der gesandt ist, in persona Christi das Meßopfer darzubringen, die Sakramente zu spenden, zu weihen und zu segnen. Von den Medien und von den im Zeitgeist schwimmenden Theologen und Gläubigen wurde ihm seit Jahrzehnten immer wieder und immer neu eingeredet, er sei keineswegs die sakrale Persönlichkeit im Unterschied zu den anderen Gläubigen und müsse daher seines falschen Nimbus entkleidet werden.13 Zuletzt hat er sich damit arrangiert, weil bald kaum mehr jemand daran interessiert oder überhaupt in der Lage war, ihn an das Ausnehmende des Priestertums zu erinnern. Das Wissen um das Weihesakrament, das dem Priester eine übernatürliche Qualität, ein unauslöschliches Siegel verleiht, das ihn wesentlich von den Laien, die am allgemeinen Priestertum Christi teilhaben unterscheidet, verflüchtigte sich immer mehr, und die seit einigen Jahren sich aufdrängende, jedem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufende neue Ideologie von Gender Mainstreaming mit ihren Facetten von Lesbischer-, Homo-, Trans- und Bi-Sexualität tut das übrige, die Gesellschaft zutiefst zu verstören. Wenn das Bewußtsein für das von Gott geschaffene Weibliche und Männliche im Menschen immer mehr verschwindet und Mann und Frau ihre Identität nicht mehr erkennen, wie soll der Priester noch an der seinen festhalten können.

Es wäre anzunehmen, daß zumindest die Priesterausbildung in den Seminaren die Herabstufung des Priesterstands in der Gesellschaft auffangen würde. Doch ähnlich der Entwicklung im französischen Seminar St. Sulpice werden auch in deutschsprachigen Seminaren bedeutende Aspekte und Lehraussagen des katholischen Glaubens vorenthalten, in Zweifel gezogen, uminterpretiert, totgeschwiegen oder dem Gespött preisgegeben. Gewissermaßen als Ersatz für die allzeit gültige kirchliche Doktrin wird den Seminaristen schon seit Jahrzehnten in gruppendynamischen Kursen psychotechnisch ein neues „Ideal“ anerzogen, das nichts mehr gemein hat mit dem traditionellen Priesterbild, das noch bis zum II. Vatikanum gegolten hat. Ziel dieser Kurse ist die Veränderung der Wertvorstellungen und des zwischenmenschlichen Verhaltens der Teilnehmer. Der Vorgang ist ähnlich einer Gehirnwäsche. Durch diese Techniken wird der Mensch aus all seinen Bindungen geworfen. Zurück bleibt ein isoliertes, angeblich befreites, seiner Persönlichkeit beraubtes Wesen. Manche dieser Kurse sind darüber hinaus in einer Art aufgebaut, die mit ruhigem Gewissen als schwachsinnig und in mancher Beziehung sogar als schamlos bezeichnet werden können. Vor allem bei Priesteramtskandidaten wird bei verpflichtenden Kursen gezielt auf eine Sexualisierung der jungen Männer hingearbeitet, und der unvermeidbare Gruppendruck lähmt ihren Willen, sich gegen diese Praktiken aufzulehnen.14 Trotz aller Warnungen werden die „pastoralpsychologischen“ Methoden jedoch nach wie vor angewandt. Sie gehören sogar entscheidend zur Ausbildung der Priester, wie der dramatische Bericht des Sprechergremiums des “Netzwerkes katholischer Priester“ auf einer Tagung bestätigt: „Priester, die sich…mit den neuen Leitungsstrukturen schwer tun, werden mittelfristig keine Chance mehr haben, als leitende Pfarrer ihre umfassende Hirtenverantwortung wahrzunehmen. Die Leitungsverantwortung wird nur noch jenen Pfarrern übertragen werden, die sich den entsprechenden gruppendynamischen Fortbildungskursen unterwerfen und als besonders ‚kommunikativ’, ‚kooperativ’ oder ‚teamfähig’ erweisen. Leitung findet zukünftig nur noch im ‚Team’ statt, Verantwortung wird entpersonalisiert und den angeblich zuständigen Gremien übertragen.“

Nach dieser Analyse müssen wir uns über die moralische Kraftlosigkeit der aus diesen Ausbildungsstätten hervorgegangenen Kandidaten nicht wundern. Dazu kommt, daß in den letzten Jahrzehnten in manchen Priesterseminaren die für die priesterliche Ausbildung notwendige Spiritualität in nicht zu verantwortendem Maße vernachlässigt wurde. In nicht wenigen Fällen wurde das Ersuchen der Seminaristen nach eucharistischer Anbetung und nach dem gemeinschaftlichen Gebet des Rosenkranzes mit der Drohung abgeblockt, die Betreffenden einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen zu lassen.

Was bleibt vom Priester- und Ordensstand, wenn ihm wesentliche Teile des Glaubensgutes entrissen werden und das Selbstverständnis des Priestertums in Frage gestellt wird? In der erotischen Überreizung des Zeitgeistes hat mancher Priester in der Folge vom Eros – wie der Mainstream es vorgibt – das erwartet, was er einmal von höheren Gütern erwartet hat: Trost in der Einsamkeit, ein Glück, das ihn über das Alltägliche hinaushebt.

Der Schritt zum ungeordneten Sexualleben ist dann nicht mehr weit. Ausgelebte Homosexualität, Pädophilie, Kindesmißbrauch sind nur noch letzte Auswüchse eines irrgeleiteten Priesterlebens.

Wollen wir noch Priester?

Auffallend ist, daß von bischöflicher Seite selten gegen dieses gigantische Zerstörungswerk des Priestertums Einspruch erhoben wird, so daß sich eine neue Fragestellung unseres Themas aufdrängt: will man überhaupt noch Priester? Geht man den Ursachen der in den letzten Monaten durchgezogenen strukturellen Veränderungen in den deutschsprachigen Diözesen nach, so wird bald klar, daß diese Frage berechtigt ist. Das „Netzwerk katholischer Priester“ kommt in seiner Untersuchung zum fatalen Schluß, daß sich in der katholischen Kirche ein neues Kirchen- und Priesterbild formiert hat, „innerhalb dessen bestimmte Priester keinen Platz mehr haben.“ Offenbar will man „eine andere ‚neue’ Kirche, die eine andere Form der Gemeindeleitung“ und „eine neue Form von Seelsorge“ beinhaltet. Das Pfarreiprinzip soll aufgelöst und der Pfarrer als Hirte und Leiter der Pfarrgemeinde abgeschafft werden. In letzter Konsequenz, so endet der Bericht will man „den Priester abschaffen!“16 Augenscheinlich sind die „Prophetien“ des Exkanonikus Roca mit seltener Akkuratesse in Erfüllung gegangen.

Jesus Christus will Priester

Mögen auch die bewährten Pfarreistrukturen aufgekündigt werden zum Schaden von Klerus und Volk, das eigentliche Pfarramt der Pfarreien ist der Tabernakel (Robert Mäder), und dort werden sich jene einfinden, die in liebender Zwiesprache mit dem Herrn die Nöte der Zeit ihm zu Füssen legen, die wissen, daß Gott die Liebe ist und daß in seinen Diensten stehen bedeutet, am Höchstmaß der Liebe teilzuhaben. Der Priester, der kraft des Weihesakraments in persona Christi handelt, ist der Gesandte und der Spender der göttlichen Liebe. Daher können wir auf den Priester nicht verzichten. Er kann nicht ersetzt werden. Niemand kann sich die Gnaden selbst schenken, niemand kann sich selbst retten. Es bedarf der Diener der Gnade, die von Christus bevollmächtigt, an seiner Statt handeln. Der höchste Liebesbeweis, den der Herr von Petrus erwartete, bestand darin, daß er seine ihm anvertraute Aufgabe erfüllt, daß er sie vor allem in Treue erfüllt. „Welchen Segen und welches Wachstum an übernatürlicher Liebe gewinnen jene Menschen, die Gott die erwartete Treue entgegenbringen. Solche aus Liebe erwiesene Treue läßt die Sendung gelingen und verleiht ihr wunderbare Ausmaße: solche Treue führt schließlich zur Heiligkeit“, schreibt der Karmelit Maria-Eugen Grialou. Und Maria, die Mutter des Herrn, wird in gleicher Treue den Weg des Priesters begleiten, denn sie ist auch seine Mutter. Ein Priester, der sich und sein priesterliches Amt der Gottesmutter anvertraut, sozusagen ein Kind Mariens ist, er wird in allen Bedrängnissen seiner Berufung, in den Zeiten der Versuchung, unter dem Kreuz stehen bleiben. Maria wird ihm die Gnade der Beharrlichkeit erbitten, daß er standhält und nicht fahnenflüchtig wird, das Kreuz nicht wegwirft.

Die hl. Theresia von Liseux bringt in einem Gebet das Wesen und die Sendung des Priesters mit bewundernswerter Vollkommenheit zum Ausdruck. Es sind heilige Gedanken, die das Allerheiligste versuchen mit menschlichen Worten zu beschreiben und die innige Verbindung mit dem herzustellen, der erwählt und sendet: Jesus Christus!

Jesus, ewiger Hoherpriester, bewahre Deine Priester im Schutze Deines Heiligsten Herzens, wo ihnen niemand schaden kann./
Bewahre unbefleckt ihre gesalbten Hände, die täglich Deinen Heiligen Leib berühren./
Bewahre rein die Lippen, die gerötet sind von Deinem kostbaren Blut./
Bewahre rein und unirdisch ihr Herz, das versiegelt ist mit dem erhabenen Zeichen Deines glorreichen Priestertums./
Laß sie wachsen in der Liebe und Treue zu Dir und schütze sie vor der Ansteckung der Welt./
Gib ihnen mit der Wandlungskraft über Brot und Wein auch die Wandlungskraft über die Herzen./
Segne ihre Arbeit mit reicher Frucht und schenke ihnen dereinst die Krone des ewigen Lebens. Amen

1Dr. Rudolf Graber: „Athanasius und die Kirche unserer Zeit“, Abensberg, 1974, S.38

2 dito S. 39

3 dito S. 39

4 dito S. 36

5 dito S. 36

6 dito S. 37

7 J. M. Jourdan, L’oecuménisme vu par un Franc-Maçon de Tradition, “Permanences” 1965, S. 11

8 Yves Marsaudon, L’oecuménisme vu par un Franc-Maçon de Tradition (EditionsVitiano Paris-IX, 1964, S. 120

9 dito S. 126

10 Marquis de la Franquerie, L’infallibilité pontificale – Le syllabus et la crise actuelle de l’Eglise (Manuskript), S.41

11 Jean-Pierre Dickès: Die Verwundung, Ruppichteroth, 2000.

12 Graber, S. 41f

13 Th. Sartory, Eine Neuinterpretation des Glaubens. Ein ökumenischer Gesprächsbeitrag, Einsiedeln, 1966, S.91

14 siehe Michael M. Weber: Psychotechniken – die neuen Verführer, Stein am Rhein, 1997

15 Franz Breid (Hrsg.): Glaubenskrise und Seelsorge–Wie geht es mit der Seelsorge weiter? Stein am Rhein, S.92

16 dito S. 93

 


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