Den folgenden Kommentar habe ich am 6. April 2011 auf ohrfunk.de veröffentlicht.Die Ära Westerwelle geht zu Ende, von einer Ära Rösler kann noch nicht gesprochen werden, auch wenn die Medien in ihrer typischen Art den künftigen FDP-Chef zum Helden stilisieren. Ob der Youngster aber in der Lage ist, der FDP wieder so viel Leben einzuhauchen, wie es ein politisches Überleben erfordert, bleibt abzuwarten.
Auf Twitter reagierte man schnell auf den Rücktritt Westerwelles. Allenthalben konnte man höhnische Kommentare lesen, dass nun die neue 3-%-Partei FDP in der Bedeutungslosigkeit versinken werde. Ich finde diese Bemerkungen reichlich übertrieben. Bis jetzt hat die FDP lediglich 2 Landtagswahlen verloren und schneidet in den von mir eher skeptisch beurteilten allgemeinen politischen Umfragen nicht besonders ab. Aber die nächste Bundestagswahl ist 2013, und bis dahin kann noch viel passieren. Von einem Ende der FDP sind wir weit entfernt. Wohl aber muss Philipp Rösler über den neuen Kurs der Liberalen nachdenken, und nicht nur er. Denn die Frage, die sich bei schonungsloser Betrachtung der Lage stellt ist: Brauchen wir noch eine FDP?
Früher einmal war die FDP zumindest teilweise eine liberale Partei im besten Wortsinn. Bürgerrechte, Datenschutz und gesellschaftlicher Fortschritt waren Themen, die die Liberalen bewegten. Von diesen Traditionen ist nicht viel übrig geblieben. Nur Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vertritt noch diese früher als sozialliberal bezeichnete Richtung. Wenn sie sich aus der aktiven Politik zurückzieht, dann ist die FDP ganz und gar zu einer Steuersenkungs- und Klientelpartei verkommen, die ihre liberalen Wurzeln ausschließlich noch auf dem Feld der Wirtschaft behaupten will. Steuern runter und weniger Staat in der Wirtschaft: Das ist die Linie, die seit Otto Graf Lambsdorf in der FDP den Ton angibt. Mit dieser Politik kann man tatsächlich nur noch auf 3 % der Bevölkerung rechnen, denn nur die wirklich gut verdienenden sind noch die Wähler der FDP. Selbst den Mittelstand haben die Liberalen unter Westerwelle verlassen.
Es muss dem neuen Chef also darum gehen, der Partei neue Inhalte zu geben, denn die alten Inhalte sind von anderen Parteien regelrecht aufgesogen worden. Die CDU verbindet Wertkonservatismus mit Wirtschaftsliberalität, und die Grünen treten für die Bürgerrechte ein. Wozu also brauchen wir noch die Liberalen?
Sollte es dem Gesundheitsminister gelingen, diese Frage zu beantworten, muss er sich das für seine Pläne geeignete Personal beschaffen. Das wird mindestens eben so schwierig sein. Denn es gibt kein zugkräftiges Personal. Unter Westerwelle konnte sich niemand entfalten, außer Westerwelle. Die Partei hat diesen Personenkult des Vorsitzenden mitgemacht, weil er lange Zeit eine außerordentliche Popularität besaß und die Partei davon profitierte. Jetzt aber, wo der Stern des Außenministers sinkt, was viele übrigens schon beim Amtsantritt als Außenminister vermuteten, wird auch die FDP als ganzes mit in den Abgrund gerissen. Wer kennt schon Birgit Homburger, Dirk Nibel oder Christian Lindner? Glaubwürdiges, unbelastetes Personal muss her, und damit dürfte Rösler einige Schwierigkeiten haben.
Aber selbst wenn Rösler gute Leute findet, sind die Alten in der Führung der Liberalen noch lange nicht geschlagen. Der Gesundheitsminister hat denn auch auf einen Machtkampf mit Wirtschaftsminister Brüderle verzichtet, der ihn offen herausgefordert hatte. Rösler weiß, dass jetzt vorsichtiges Taktieren angesagt ist, wenn die FDP diese Krise überstehen soll.
Bei all diesen aktuellen Debatten fragt man sich nicht ganz zu unrecht, was diese Krise eigentlich herbei geführt hat. Sofort denkt man an Japan, die deswegen verlorenen Landtagswahlen und den Schlingerkurs in der Libyen-Politik. Dabei vergisst man, dass die Talfahrt der FDP schon im letzten Jahr begann. Westerwelles antisoziale Äußerungen gegen Hartz-IV-Empfänger, die Senkung der Mehrwertsteuer für Hotelbesitzer und das nicht eingelöste Wahlversprechen der massiven Steuersenkungen waren mit Sicherheit ausschlaggebende Gründe für die sinkende Popularität der Liberalen. Doch der Hauptgrund ist die Strukturkrise des politischen Systems, und die ist schon mindestens 25 Jahre alt. Von den sogenannten einfachen Bürgern wird die Politik entweder nicht mehr ernst genommen oder nicht mehr verstanden. Ob daran Philipp Rösler etwas ändern kann, ist jedenfalls mehr als fraglich.