Originaltitel: Boy
Autor: Wytske Versteeg
Genre: Belletristik
Verlag: Wagenbach Verlag
Format: Broschiert, 240 Seiten
ISBN: 978-3-8031-2755-6
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Inhalt:
„Ich kann nicht mehr“ – diese Zeilen auf Papier hat der stille Boy seiner Theaterlehrerin in die Manteltasche gesteckt, doch als sie ihn dort findet, ist es längst zu spät.
Ein Paar nimmt in einem afrikanischen Kinderheim ihren Adoptivsohn in Empfang – Boy. Sie wollen ihn retten, ihn ein besseres Leben in den Niederlanden geben, aber der Junge ist ängstlich, nervös und jede Kleinigkeit bringt ihm aus dem Konzept. Er spricht wenig und wenn er spricht, stottert er.
In der Schule ist er ein Außenseiter, der oft die Zielscheibe seiner Mitschüler ist.
Seine Eltern bemühen sich, um an Boy wieder ranzukommen, doch seine Unnahbarkeit wird mit der Zeit nur noch größer, bis sie ihn eines Tages ganz verlieren.
In ihrem Schmerz versunken, begibt sich die Mutter auf einen Rachefeldzug, der vor allem durch die selbst empfundene Schuld angetrieben wird.
Meine Meinung:
Dieses Buch habe ich zwar bemerkt, aber dann stand ich dem Thema doch etwas skeptisch gegenüber, würde ich es nachempfinden können? Ausschlaggebend, das ich zu „Boy“ gegriffen habe, war das Buch „Mein Name ist Leon“, welches von der Thematik her ähnlich ist – ein schwarzer Jugendlicher wächst in einer weißen Umgebung auf und verliert sein Heimatgefühl. Hierzu kommt bei dieser Geschichte, eine Identitätskrise auf Grund der Adoption und das Mobbing in der Schule.
Schon nach den ersten Sätzen ist klar: Boy ist tot – ertrunken, doch ob es Unfall oder Selbstmord war, konnte ich zumindest nicht von Beginn an sagen. Mit der Zeit klärt sich die Sicht und man kann langsam ein Bild erkennen, doch Boy, er bleibt auch am Ende des Buches ein Rätsel, vielleicht, vielleicht weil das Buch aus der Sicht seiner Mutter erzählt wird.
Sie hadert seit der Adoption mit sich, weil sie eine Distanz zu dem Kind fühlt, zu ihrem Kind. Ausmachen warum, dass fällt ihr schwer, hat aber ein bisschen mit Boys Verhalten zu tun – er wird nämlich nicht wütend oder rebelliert, seine Art ist von so eine Freundlichkeit, Dankbarkeit, man könnte sagen, Unterwürfigkeit, dass es seiner Mutter beinahe zu viel ist.
Nach dem Tod von Boy, ist es für sie eine logische Konsequenz, erst einmal die Schuld bei sich zu suchen. Hat ihre Distanziertheit zu dem Jungen, ihn den Mut am Leben verlieren lassen? Sie sucht Antworten und findet die Information, dass die Theaterlehrerin eben jenen Zettel, mit „Ich kann nicht mehr“ erhalten hat. Sie wusste also, dass es Boy nicht gut geht und hat nichts unternommen. Sie blendet völlig aus, dass es längst zu spät war, der Zettel erst nach dem Tod von Boy entdeckt wurde. Rasende Wut ist gefährlich und auch in der Geschichte – Boys Mutter macht sich auf, um die Lehrerin zur Rede zu stellen, ihre Methodik ist perfide, jedoch auch sehr ausgeklügelt, man hat beinahe das Gefühl, in einen Psychothriller hineinzuschlittern.
Dieser Buch vereint Themen wie Mobbing, Identitätskrise und Rache, wobei die Autorin schafft, mit ihrem Schreibstil, eine solche Wucht im Leser auszuüben, dass man irgendwann vergisst, auf welcher Seite man steht, mit wem man mitfühlt. Es zerreißt, die Gefühle zerrissen mich, was wunderbar war, weil ich somit in einen unglaublichen Sog gezogen wurde, aus dem ich mich immer noch nicht gewunden habe. Boy, obwohl ich nahezu nichts von ihm weiß, hat einen Platz in mir gefunden und auch seine Mutter, die daran zerbricht, nicht so eine Mutter gewesen zu sein, wie sie denkt, hätte sein sollen, bleibt in Gedanken hängen. Und man selbst? Man selbst bleibt am Schluss ratlos zurück und fragt sich, wie man in der Welt wieder ankommen soll, wenn man mit dem Kopf noch lange im Buch verweilt.