Die Nachrichten von gefundenen Weltkriegsbomben häuften sich, seitdem in Münchner Stadtteil Schwabing eine spektakuläre Sprengung stattfand. Beinahe täglich ein neuer Fund. Zuletzt in Viersen - davor in Ismaning, Hamburg, Oberhausen, Nürnberg, Worms, Dortmund, Amsterdam und auf Helgoland. Kaum eine Nachrichtensendung, die nicht mit neuem Fund aufwartet - und man bekommt den Eindruck vermittelt, als würden die Alliierten viele Jahrzehnte nach dem Krieg noch nachbombardieren.
Flächenbombardement wie immer
5.500 Bomben aus dem Zweiten Weltkrieg werden jährlich in Deutschland entschärft. 2009 wurden allein in Bayern 35 Tonnen Weltkriegsmunition gefunden. Aber jetzt erst erzeugen die Medien das dumpfe Gefühl, dass immer mehr, im Wochentakt oder fast täglich Bomben gefunden würden. Seitdem in Schwabing die Entschärfung einer Bombe durch Feuerball erevakuiert wurde, scheint jeder Bombenfund ein Spektakel zu sein, ein berichtenswertes Ereignis selbst für die überregionalen Medien.
Die Zahlen machen aber deutlich, dass mitnichten ein Mehr an ans Tageslicht gekommenen Bomben herrscht, sondern etwas ist, was ansonsten relativ unbeachtet höchstens einen mittellangen Artikel in den Regionalgazetten oder eine belanglose Tickermeldung in überregionaleren Zeitungen bewirkte. Es ist ein Flächenbombardement, wie es immer stattfand - nur dass sich sonst kaum jemand darum kümmerte. Erst Schwabing hat die Bombenfunde spannend gemacht und in Szene gerückt.
Immer mehr tote Bischöfe
Das erinnert an etwas, das man den Bischof-Effekt nennen könnte. Vor einigen Jahren haben sich regelmäßige Leser des Wikipedia-Nekrologs einer Weltverschwörung gegen den hohen katholischen Klerus gegenübergesehen. Von einen Tag auf den anderen führte dieser Nekrolog wöchentlich gleich mehrere verstorbene Bischöfe und Altbischöfe auf. Im Diskussionsfaden des Nekrologs wurde zynisch angefragt, ob denn innerkirchliche Säuberungen anstehen. Das Rätsel war keines, es war wohl nur die Wikipedia-Begeisterung eines oder wahrscheinlich mehrerer Menschen. Vermutlich fingen die plötzlich damit an, ihr Wissen über das Ableben diverser Kirchenvertreter in die Eingabemaske Wikipedias zu tippen.
Die angedachte Verschwörung gegen Bischöfe und Altbischöfe erwies sich als unsinnig - man hat nur damit begonnen, das Ableben dieser Kleriker chronistisch zu erfassen. Es starben nicht mehr Bischöfe und Altbischöfe als vormals, nur hatten sie mittels Wikipedia Öffentlichkeit erlangt.
... es kömmt darauf an, sie zu interpretieren
Das Abzählen und Chronologisieren wird gerne mit einer Häufung verwechselt. Klar, wenn man vorher etwas nicht beachtete, dem nun aber Beachtung schenkt, dann ist diese Schlußfolgerung eigentlich verständlich - aber sie ist falsch. Realität ist letztlich immer die Interpretation chronologisch erfasster Abläufe und Ereignisse. So kann alles wie immer sein und trotzdem kann durch mediale Vermittlung glaubhaft gemacht werden, dass etwas geschieht, was vorher nicht so war.