Luftschlösser zu bauen ist unter Designern ein wenig unpopulär geworden - schließlich verlangt die Zukunft pragmatische Lösungen. Doch immerhin könnten sie uns bald Bananenblätter zu Füßen legen. Und während Baströcke endgültig out sind, scheint es für Textilien und Polsterstoffe aus Kokosfasern durchaus Bedarf zu geben. Auf Wolken werden wir wohl auch künftig nicht gebettet werden - dafür aber vielleicht auf Matratzen, die unseren Blutdruck überwachen. So jedenfalls muss man wohl die Ergebnisse des "interzum award: intelligent material & design" interpretieren, der alle zwei Jahre im Vorfeld der internationalen Fachmesse interzum die herausragenden Leistungen der Zulieferindustrie prämiert.
Romantische Träumereien sind, so scheint es, nicht angesagt in der Industrie, die den Designern das Material zum Gestalten liefert. Vielmehr muss sich hier in der Realität beweisen, was Techniker, Ingenieure, Chemiker, Tüftler und Designer in ihren Labors und Werkstätten entwickelt haben. Und doch attestiert die hochkarätige Jury aus Designern und Materialspezialisten dieser Branche eine Schlüsselfunktion für Zukunftslösungen. Ihre Entwicklungen seien entscheidend für die Qualität künftiger Anwendungen und Produkte, erklärt Architektin und Designerin Masayo Ave, die in Tokyo und Mailand arbeitet und vor vier Jahren schon einmal Jurymitglied beim interzum award war. "Dieses Mal waren sehr gute, ausgereifte Beiträge dabei, und das, obwohl die Produkte in einem innovativen Bereich wie diesem oft sehr experimentell sein können", zeigt sich die japanische Materialexpertin beeindruckt. "Irgendwie scheint alles, was zum interzum award kommt, sehr durchdacht in vielerlei Aspekten - in Hinblick auf Design, auf ökologische Verträglichkeit oder Funktionalität."
Auf den ersten Blick scheint sich hinter den ausgezeichneten Produkten nicht viel Revolutionäres zu verbergen. Da gibt es Platten und Dekore, Furniere, LED-Beleuchtungssysteme, Linoleumkanten, Auszugssysteme, Matratzenbezüge und Klicksysteme für Fußböden. Doch das Innovative liegt oft im Detail. Gerade die Leichtbauplatten mit ihrem alternativen Innenleben helfen, Transportkosten zu senken und rare Ressourcen zu schonen. Und wer durch den Einsatz von natürlichen, recycelten Harzen bei der Oberflächenproduktion auf chemische Klebstoffe verzichten kann, schont die Umwelt und trägt zu einem gesunden Wohnklima bei. So etwas wie die Etablierung der Leichtbauplatte scheint eine Kleinigkeit zu sein, "aber es sind so kleine Erfolge, die uns weiter bringen", argumentiert Jury-Mitglied Martin Bergmann vom österreichischen Designteam EOOS, und fügt hinzu: "Schlussendlich wird es aber auch im Kaufverhalten und der Lebensgewohnheit Veränderungen geben." Auch Masayo Ave versucht uns die Augen zu öffnen: "Fortschritte in diesem Bereich sehen für Außenstehende vielleicht nicht sehr spektakulär aus. Doch wir wissen, wie schwierig es ist, neue Lösungen Realität werden zu lassen. Das ist ein sehr ehrliches und bescheidenes Arbeitsgebiet. Und ich habe sehr gute, ehrliche Entwicklungen gesehen."
Diese Haltung zeigt sich auch in der neuen Ästhetik vieler Oberflächen. Nach den Trends bei den Materialien und Farben gefragt, meint Martin Bergmann: "Ich denke, dass wir wieder mehr Ehrlichkeit bei den Materialien sehen wollen. Es gibt eine Besinnung auf historisch tradierte Materialien, Hölzer und Oberflächen - auf Faseroberflächen." Nicht unbedingt traditionell, dafür aber durchaus spektakulär, ist eine Neuentwicklung der Furnierindustrie, die diesem Trend entspricht. "Beleaf" taufte der monegassische Furnierspezialist 3W Tout Bois den aus Bananenfasern hergestellten Werkstoff, aus dem künftig Furniere für Böden, Autos, Boote und Möbel entstehen sollen. Rohstoff hierfür ist ein Abfallprodukt der Plantagenwirtschaft: die Blätter der nach der Ernte zum Verrotten zurückgelassenen, vom Gewicht der Fruchtstände abgeknickten Bananenstaude. Die natürlichen wasserabweisenden und schwer entflammbaren Eigenschaften der Fasern sollen bei dem patentierten Verarbeitungsverfahren erhalten bleiben. Das Produkt ist nicht nur nachhaltig, sondern wirkt durch seine ursprüngliche, stark strukturierte Maserung auch ausgesprochen natürlich. "Uns hat gefallen, dass bei der hochwertigen Verarbeitung des sehr dünnen Furniers der natürliche Charakter des Bananenblatts genutzt wird statt ihn zu manipulieren, um das Produkt nach etwas anderem aussehen zu lassen", erläutert Masayo Ave die Entscheidung der Jury, die das Produkt neben sieben anderen mit der Auszeichnung "Best of the Best" prämierte.
Der Preis wird anlässlich der interzum, der im Zweijahresrhythmus stattfindenden Weltleitmesse für Möbelfertigung und Innenausbau, verliehen. Neben Masayo Ave und Martin Bergmann waren dieses Mal der russische Verleger Sergej Shustov sowie der belgische Innenarchitekt Prof. Danny Venlet in der Jury vertreten. Auch red dot design award-Initiator Prof. Dr. Peter Zec war wieder als Jurymitglied beim nunmehr sechsten interzum award dabei: "In diesem Jahr war festzustellen, dass die Bewerber verstärkt auf Materialien setzen, die regenerativ sind und somit einen Beitrag zur Umweltfreundlichkeit leisten. Zudem überzeugten viele Produkte insbesondere im Bereich der Oberflächengestaltung: Gerade hier bieten sich neue Ansätze zur Gestaltung sowohl der Funktionalität als auch der Optik und Haptik. Intelligente Lösungen, die in zahlreichen Bereichen zum Einsatz kommen können, fanden sich zudem bei den Beschlägen. Als bewegliche Elemente kommt ihnen eine zentrale Rolle in zahlreichen Anwendungsbereichen zu." Mit 208 Einreichungen aus 19 Ländern zeigte sich der Wettbewerb so international wie nie zuvor. "Insgesamt hat der diesjährige 'interzum award: intelligent material & design', der in enger Zusammenarbeit mit red dot projects organisiert wird, eine imposante Bandbreite ästhetischer Vielfalt hervorgebracht", fasst Peter Zec das Ergebnis zusammen. Der seit zehn Jahren von der Koelnmesse ausgerufene Wettbewerb will bei den Produkten dieser breit gefächerten Branche verstärkt Eigenschaften wie innovative Gestaltung, intelligente Details, Ästhetik und Funktionalität in den Mittelpunkt stellen.
Ökologische Verträglichkeit und Nachhaltigkeit zählen inzwischen innerhalb der Zulieferbranche zu den Standardanforderungen bei Qualitätsprodukten, ist sich die Jury einig. Dieser Anspruch sei bei allen Einreichungen zu erkennen gewesen - nominierten wie nicht-nominierten -, betont Masayo Ave. Martin Bergmann spricht von einem Paradigmenwechsel. Auch für Danny Venlet ist Nachhaltigkeit schon lange kein Trend mehr, sondern eine Grundsatzhaltung. Er wünscht sich auch im Design etwas von der Bodenständigkeit, die viele Unternehmen der Zulieferindustrie auszeichnet, und fordert ein grundsätzliches Umdenken: "Was ist ökologisch sinnvoller: wenn wir Plastikflaschen recyceln oder wenn wir Wasser aus dem Hahn trinken? Heute sagt jeder, dass er grün ist, weil er Plastikflaschen recycelt. Aber wir müssen viel weiter unten an der Basis ansetzen." Danny Venlet erwartet dabei auch Impulse von neuen Materialien wie dem Bananenblatt-Furnier und anderen Innovationen der Zulieferbranche: "Für einen Designer gibt es hier eine Menge Ausgangsmaterialien: Furniere, Laminate, Beschläge und vieles mehr. Es ist wichtig für uns, neue Materialien zu erhalten, mit denen wir arbeiten
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Doch es gibt auf der interzum auch Produkte, die kaum mehr der Hand eines Designers bedürfen. Wie die Matratze "Smart Wrap" von Bekaert Textiles, die mit Sensoren ausgestattet ist, die Körperfunktionen wie Blutdruck oder Temperatur messen und dokumentieren. Mit den Daten kann der Arzt im Ernstfall schneller zu einer Diagnose kommen. Auf einem Markt, der sich in Zukunft auf die Bedürfnisse eine älteren Gesellschaft einstellen muss, ist ein solches Produkt nicht nur für Krankenhäuser geeignet, sondern auch für die politisch gewollte Gesundheitsprävention zuhause, analysiert Masayo Ave, und ergänzt: "Es wird eine Menge leicht zu handhabender Produkte etwa zum Blutdruckmessen geben - aber eben nicht als Extra-Systeme, sondern integriert - zum Beispiel im Bett. Diese intelligente Matratze ist für mich ein Beispiel für die Art lang erwarteter Lösungen, die in die Zukunft weisen."
Auch Martin Bergmann, der schon zum dritten Mal in der Jury des interzum award vertreten war, schätzt die Innovationskraft der Branche und fasst die Entwicklung mit Tendenz zu nachhaltigen Produktkonzepten so zusammen: "Bei etwa gleich vielen Einsendungen waren die Beiträge dieses Jahr ernsthafter und auch besser dargestellt. Es gibt eine Steigerung in der Qualität und in der Sensibilität. Und das trotz der Krise, die dazwischen lag - das darf man nicht vergessen."