Volkstheater
Text sprechen // Stimmung statt Text
Eine Hochzeit soll stattfinden. Man munkelt, die Braut war bereits einmal verlobt. Die Hochzeit findet statt: „Die Braut erwache am Morgen der Hochzeit!“ Der ehemalige Geliebte und Verlobte, der mittlerweile selbst verheiratet ist, entführt die Braut von den Feierlichkeiten und flieht mit ihr in den Wald. Der Bräutigam verfolgt sie zu Pferd; er trägt ein Messer bei sich. Am nächsten Morgen kehrt die Braut allein aus dem Wald zur Schwiegermutter zurück, die beiden Männer sind tot. Sahnehäubchen der Dramaturgie ist die bereits bestehende blutige Geschichte der Familien der beiden Anwärter um die Braut: die Familie des Geliebten tötete einst Vater und Bruder des Bräutigams.
Bluthochzeit – ein roter Vorhang verschließt den Blick auf die Bühne. Er sticht sofort ins Auge, denn sonst beginnt im Volkstheater nie etwas mit geschlossenem rotem Vorhang. Er öffnet sich und in kurzer Distanz dahinter befindet sich ein zweiter Vorhang. Auch dieser ist rot, zwar in keinem so kräftigen Farbton wie der erste, aber immerhin rot. Die auftretenden Schauspieler bringen vergoldete Stühle mit auf die Bühne und stellen sie in eine Reihe frontal zum Publikum. Wer in einer Szene anwesend ist steht auf, tritt vor und spricht ins Auditorium. Die Schauspieler spielen nicht auf der Bühne, sie sprechen Text. Das zum Teil gleichzeitig. Dazu kratzt beständig jemand mit dem Fuß am Boden entlang, tippt, klopft mit dem Schuh auf den Boden. Es wird geschnippt und geklatscht. Klingende Körper, rhythmische Körper. Unter dem gesprochenen Text liegt also ein Rhythmusgeflecht. Oder liegt es darüber? Auf alle Fälle entsteht Unruhe, das Zuhören wird anstrengend und es gärt in einem. Und auf der Bühne wird weiter nicht gespielt.
Die Hochzeit. Der zweite Vorhang öffnet sich und gibt den Blick auf einen dritten, dunklen Vorhang frei, der in der Mitte einen Spalt breit offen ist. Nebel ist zu erkennen, sphärisches Licht. Über Minuten wird der Satz „Die Braut erwache am Morgen der Hochzeit!“ wiedeholt. Einzeln, im Sprechchor, versetzt. Der ehemalige Geliebte erscheint – allein und zu Pferd, seine Frau kommt zu Fuß nach. Der Braut ist sein Auftauchen unangenehm. Noch immer wird ins Publikum gesprochen. Alles tanzt, wer anwesend ist, steht mit dem Gesicht zum Publikum uns spricht. Während den Hochzeitsfeierlichkeiten verschwindet der Geliebte mit der Braut: Sie fliehen in den Wald. Der Bräutigam nimmt die Verfolgung auf. Alle ab.
Im Wald. Bräutigam, Braut und Geliebter sitzen in einer Dreiersitzgruppe auf Höhe der Hälfte der Bühnentiefe, links von der Mitte. Die anderen Schauspieler stellen sich mit Geäst als Kopfbedeckung an die hintere Bühnenmauer. Nebelschwaden ziehen über die Bühne, beleuchtet von zunächst orangem, bald aber bläulichem Licht. Der Geliebte spielt auf einer Gitarre, die durch Effektschleifen gejagt wird. Die Braut singt Töne und Seufzer. Der Bräutigam klopft auf ein Mikrofon. Auch bei diesen beiden findet eine starke Klangbearbeitung statt. Es wird immer lauter und lauter, schließlich schreien sich Braut und Geliebter in ihr Mikrofon gegenseitig Liebe, Lust und Vergängnis entgegen. Wieder Töne, Gitarre, Klopfen. Lauter, immer lauter bis alles in überlautem Tieffrequenz-Bass Wummern und Dröhnen kulminiert. Trotzdem ist eine weitere Steigerung dieser sphärischen Empfindung möglich: Rote Blütenblätter rieseln über die ganze Breite der Bühne zu Boden. Und ab dieser Szene im Wald ist man versöhnt mit Schultheaterspiel davor, mit den Geräuschen, mit allem.
Der Schluss folgt rasch, die Braut kehrt allein zur Schwiegermutter zurück, beteuert ihre Reinheit und wünscht sich den Tod. Der zweite Vorhang schließt sich nach einer Stunde und niemand weiß, dass die Aufführung am Ende ist. Dann stellt man sich die Frage: Ist die Aufführung zu Ende? Irgendwann beginnt jemand zu klatschen. Man wird mit vielen Fragen entlassen und die Menschen reden über das Gesehene.
Text: Federico García Lorca
Regie: Miloš Lolić
Kostüme: Maria Jelesijević
Musik: Luca Ivanović