Mir kommt jemand entgegen und ich biege fluchtartig in eine Seitenstraße ein. Niemand soll mich in dem Moment meiner größten Schande sehen, ich würde es schlicht nicht ertragen. Das verlassene Gebäude vor mir scheint die perfekte Lösung zu sein. Ohne lange darüber nachzudenken, drücke ich die morsche, von zerfletterten Plakaten behaftete Tür auf und schiebe mich in das Innere. Es ist dunkel, kalt und der Staub liegt dick in der Luft. Der Wind pfeift lautstark, aber immerhin ist es trocken. Erschöpft drücke ich das Bündel dichter an mich und rutsche auf dem Boden zusammen. In meinem Kopf kreisen die Gedanken wie ein Kinderkarusell – doch mir fällt einfach keine andere Lösung ein. Ich schließe die Augen und schüttle den Kopf, als müsste ich mich selbst daran erinnern, dass es so am besten ist. Ich lege das Bündel auf dem Boden und wickle es aus meinem alten Sweatshirt aus. Die kleinen blauen Augen sind halb geschlossen und der Atem geht erstaunlich ruhig. In dem Gesicht des kleinen Mädchens klebt noch immer etwas Blut und ich versuche es mit etwas Spucke wegzuwischen, doch meine Hände sehen auch nicht besser aus. Ihr kleiner Körper ist ganz kalt. Ich seufze tief und greife nach dem Rucksack auf meinem Rücken. Die Decken darin blieben von der erbarmungslosen Nässe verschont. Behutsam wickle ich die Kleine aus und versuche sie so gut es geht mit der Decke vor der Kälte zu schützen. Es wird sicher nicht lange dauern, bis jemand sie entdeckt. Eine Stimme in meinem Kopf schreit mich wütend an, dass es auch schief gehen kann, doch mir fehlt die Kraft, ihr Beachtung zu schenken. Ich lege das kleine Mädchen vorsichtig hinter die Tür und bleibe einen Moment lang über ihr hockend, bevor ich mich herunter beuge und ihr einen sachten Kuss auf die Stirn gebe. „Glaub mir, es ist besser so“, flüstere ich heiser und erhebe mich. Sie sieht verloren aus, zwischen all dem Staub und Dreck.
Mein Herz verkrampft sich schmerzhaft und ich wische mir eine Träne aus dem Auge, ehe ich die morsche Tür wieder aufstoße und mein eigen Fleisch und Blut in dem verlassenen Haus zurücklasse. Sobald sich die Tür wieder geschlossen hat, beginnt sie zu schreien, doch der Wind sorgt dafür, dass ich es kaum höre.
Ende
Hier kommt ihr zu den Beiträgen meiner Mitstreiter:Schakals GedankenweltenIchigo KomoriDas Wetterschaf
PAL
ChelseaMary - meine persönliche Heldin die auch das obere Bild bearbeitet hatund der Lord selbst natürlich
So und damit mich nun alle hassen können, dass neue Thema:
Vergissmeinnicht