Blödes, infantiles Ich

Wir lernten uns kennen, als sie ein junges Ding war. Fast hätte ich “ein junges, dummes Ding” geschrieben, aber sowas schreibt man nicht, wenn man ein Gutmensch ist und zu den Gutmenschen gehöre ich ganz zweifellos, das haben die aus der rechten Ecke im Gott sei Dank zu Ende gehenden Wahlkampf eins ums andere Mal klar gemacht. Aber zurück zu ihr. Sie war also jung und lebensunerfahren, als ich sie kennen lernte. Was nicht weiter schlimm gewesen wäre, hätte ihr nicht zugleich an dem gemangelt, was man gemeinhin Intelligenz nennt. Da sie nicht gerade hässlich war, ich aber zu jenem Zeitpunkt von fünf Schwangerschaften und zig durchwachten Nächten ziemlich mitgenommen aussah, fühlte sie sich mir haushoch überlegen, weshalb sie sich nicht genierte, mir gegenüber jede Sinnlosigkeit, die ihr gerade auf der Zunge lag, frei heraus zu äussern. Zum Beispiel: “Wollt ihr den FeuerwehrRitterRömerPiraten nicht in ein Heim geben? Der hat doch immer so schlimme Trotzanfälle.” Oder: “Frauen, die Grösse 38 tragen haben voll versagt.” Oder, als sie merkte, dass ich auch zu diesen Versagerinnen gehöre: “Also, bei dir ist das etwas anderes. Du darfst schon so aussehen, du hast ja ein paar Kinder geboren.” Bei jeder Begegnung solche und ähnliche Bemerkungen, die mich zwar im Moment ärgerten, die ich aber nach einigem Grummeln in der Schublade “jung und unerfahren, irgendwann vielleicht nützlich für einen satirischen Text” archivierte.  

Inzwischen ist sie etwas älter, nicht unbedingt viel weiser, aber auf bestem Wege, Mutter zu werden. Das bringt zwei Probleme mit sich. Erstens hat sie nun das Gefühl, sie sei in meiner Welt angekommen, weshalb sie keine Gelegenheit auslässt, um mit mir Gespräche zu führen, wie sie ihrer Meinung nach reifere Frauen miteinander führen. Also Wetter-, Haushalt- und Einkaufsgespräche. Zweitens – und das ist viel schlimmer – stelle ich fest, dass ich ihre Bemerkungen von früher doch nicht ganz verdaut habe, weshalb ich mich in Gedanken ähnlich infantil aufführe wie sie damals. So erfüllt es mich zum Beispiel mit einer beschämenden Genugtuung, dass sie zu jenen Schwangeren gehört, die wohl am Hintern und im Gesicht zunehmen, nicht aber am Bauch. “Na, wie war das nochmal mit Grösse 38?”, lästert mein infantiles Ich, wenn ich ihr begegne. Und dann fängt es an, sich auszumalen, wie sich ihr Nachwuchs eines nicht mehr allzu fernen Tages in seinem ersten Trotzanfall schreiend und tobend am Boden windet und wie es dann süffisant bemerkt, ob ein Kinderheim nicht vielleicht die beste Lösung wäre.

Blödes, infantiles Ich. Nimmt mir einfach die Illusion, dass ich inzwischen zu einem halbwegs vernünftigen Menschen herangereift bin. 

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