Bloß kein Gedenken daran verschwenden

oder Über Gedenktage und ein kurzes In eigener Sache.
Da kamen sie am Wochenende wieder zusammen, die feinen Damen und Herren und ihr Betroffenheitsmob. War ja Jahrestag des Pogroms von 1938. Da musste man Bekenntnis ablegen, veranschaulichen, dass man immer daran denkt, nie vergisst, das Nie wieder! verinnerlicht hat. Eigentlich wäre das ein Gedenktag typisch linken Kolorits gewesen. Aber ich tue mich als Linker heute schwer damit, mit gediegener Miene diese Gedenkelei zu begleiten.
Bloß kein Gedenken daran verschwendenFür mich kann das keine Gedächtniskultur sein. Sie ist durchdrungen von Verlogenheit. Man gedenkt völlig richtig der Übergriffe, unter denen damals Juden zu leiden hatten, verhält sich aber ruhig, wenn aktuell die geistige Vorbauarbeit geleistet wird, die auch damals den Aktionen zuvorkamen. Wo sind denn die standhaften Gedenkenträger, wenn wieder mal ein blöder Hund Abhandlungen zu Kopftuchmädchen schreibt oder man zeitungsübergreifend gegen Roma und deren blonden Nachwuchs keift? Was da in manchem Kommentarbereich der Online-Ausgaben zu lesen war, das waren theoretische Pogrome, Stimmen wie aus jenem Blatt von Julius Streicher, das schon vor 1938 Stimmung machte. Wir leben halt immer noch in einem fruchtbaren Schoß.

Sicher, die Gedenken sind frei. Man kann Gedenktage begehen wie man mag. Aber was nützt da ein Gedenktag, wenn man den Inhalt des Gedenkens im Alltag vergisst? Heute in sich gehen und morgen wieder wegschauen, wenn Schwarze in der Bahn kontrolliert werden, nur weil sie schwarz sind? Ist es das? Hat das Gedenken nicht sprachlich etwas mit den Gedanken zu tun? Und kann es eine Gedenkkultur in allgemeiner Gedankenlosigkeit überhaupt geben? Ich denke, man sollte bloß kein Gedenken daran verschwenden, wenn man es nicht alltäglich lebt.
Apropos Gedankenlosigkeit. Im Ersten lief am Jahrestag der Reichspogromnacht der Film Rommel. Schönes Gedenken, mit dem anständigsten aller deutschen Generale. Mittags Kranzniederlegung und Bekenntnis zum Nie wieder! und abends dann Zeitvertreib mit einem Nazi, der Mensch geblieben ist.
Das ist, als ob man jährlich den Hochzeitstag feiert, im alltäglichen Leben allerdings ohne einem Bewusstsein von Partnerschaft lebt. Wer sein Eheleben alltäglich (er-)lebt, der muss seinen Hochzeitstag auch nicht zu einer metapysisch verquasten, fast schon transzendenten Schicksalsstunde verklären. Verheiratet ist man schließlich das ganze Jahr und nicht nur an irgendeinem Tag im April, Juli oder November. Ihn mit der üblichen Romantika zu würdigen ist letztlich nur dann gehaltvoll, wenn man die Ehe mag, in der man lebt. Wenn man sie (und gar den Partner) hasst, dann ist der Strauß Rosen nur wohlriechende Verlogenheit oder eben die traditionelle Eintrittskarte zum jährlichen Gedenksex.
Als Antifaschist ein ursprünglich antifaschistisches Bekenntnis nicht teilen zu wollen, weil es so ausgehöhlt und entleert ist, dass es den bitteren Erfahrungen unseres zeitgenössischen Alltags gar kein ethischer Ratschlag mehr sein kann, das ist schon ein dolles Kunststück unserer Zeit. Wenn das Gedenken nicht an den 365 Alltagen des Jahres als verinnerlichtes Lebensgefühl stattfindet, dann findet es auch zu festem Datum nicht statt. Dann ist es nur gesellschaftliches Ereignis, zu dem man sich gut anzieht und nett spricht. Dann ist es eine schöne Tradition, die man gerne hat, weil sie so einen guten Eindruck vermittelt.
Das wollte ich heute noch loswerden, bevor ihr mich loswerdet. Für diese wenigen Sätze hatte ich noch etwas Zeit. Aber nun ist der Laden dicht. Ab heute geschlossen. Für einige Tage. Aus familiären Gründen. Gedenktage schaffen.
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