“Blasphemie” ist kein Phänomen nur des Islam

miz1_13Die Zeitschrift MIZ – Politisches Magazin für Konfessionslose und AtheistInnen – wid­met sich in ihrer aktu­el­len (sehr ver­spä­tet erschie­ne­nen) Ausgabe 1/13 dem Schwerpunktthema “Der gehei­ligte Status quo“ zu. Hier geht es um die staat­li­che Ahndung von Blasphemie nahezu welt­weit. Einen zwei­ten Schwerpunkt bil­det das Thema Schule und Religion.

Beachtliche fünf Seiten lang ist dies­mal das Editorial – und damit ein wirk­lich pro­fun­der Aufmacher-Artikel. Christoph Lammers hat sei­nen Beitrag über­schrie­ben mit „Verbieten ver­bo­ten”.

Lammers beleuch­tet hierin fünf Aspekte, aus­ge­hend von „Blasphemie ist kein Phänomen des Islam” schreibt er „Blasphemie wird poli­tisch instru­men­ta­li­siert” (Egal wel­che Religion man zugrunde legt: Denn „gerade für die herr­schende Klasse ist diese Glaubensvorstellung Mittel zum Zweck”, um “kri­ti­sche Menschen sank­tio­nie­ren zu kön­nen”. Und die Kirche sichere sich so mit Hilfe des Staates „die Macht über die Köpfe der Menschen”.) Außerdem wür­den “reli­giöse Gefühle (…) als Mittel benutzt, um Debatten zu ‚ent­ra­tio­na­li­sie­ren‘.” Der vierte Aspekt nimmt Bezug auf das heu­tige Deutschland: „Der § 166 StGB gewinnt wie­der an Bedeutung, obwohl immer weni­ger Menschen reli­giös sind” (siehe die vom Schriftsteller Martin Mosebach los­ge­tre­tene Debatte zur Verschärfung des soge­nann­ten Blasphemie-Paragraphen). Im fünf­ten Aspekt kon­sta­tiert Lammers eine „Vermischung theo­lo­gi­scher und poli­ti­scher Kategorien”: Denn „der Staat hat kein Interesse an einer ratio­na­len Auseinandersetzung, an des­sen Ende mög­li­cher­weise die Erkenntnis steht, dass die beste­hen­den Verhältnisse geän­dert wer­den müs­sen.” (S. 2 – 4)

Dem Editorial schließt sich ein Interview mit Assunta Tammelleo über den Kunstpreis „Der Freche Mario an”. Sie beklagt nicht nur, „dass die gesamte säku­lare Szene doch ein wenig humor­los” sei. Sie wirft vor allem die­ses Problem (der „Schere im eige­nen Kopf”) auf: „Warum ist Kabarett, warum sind die Karikaturen im Trend immer weni­ger frech, wenn es um Kritik von ‚Heiligkeiten‘ geht? Weils auch hier­zu­lande Ärger brin­gen kann, und das im auf­ge­klär­ten 21. Jahrhundert.” (S. 8)

Blick nach Ostasien

Weit über den deut­schen, den euro­päi­schen und chris­ten­tums­zen­trier­ten Tellerrand blickt Heiner Jestrabek mit sei­nem vor­züg­li­chen Aufsatz „Blasphemie in China? Kein Thema”. Diese Aussage treffe auf die gesamte Zeit chi­ne­si­scher Staatlichkeit zu.

Eingangs schreibt Jestrabek zum Thema des Heftes tref­fend und nach­denk­lich machend: „Blasphemie (…) bedeu­tet, dass ein in sei­ner Existenz zwar nicht bewie­se­ner ‚Gott‘ (man beachte die Anführungszeichen!; SRK) oder bestimmte Glaubensinhalte einer Religion ver­neint, ver­höhnt, ver­flucht oder belacht wer­den. Und die­ses ‚Verbrechen‘ müsse eine irdi­sche Gesellschaft angeb­lich ahn­den. Eine kuriose Annahme, denn ein ange­nom­me­ner Allmächtiger müßte eigent­lich selbst in der Lage sein, sich zu weh­ren.” (S. 10)

Für Jestrabek (und wohl nicht nur für ihn) stellt der § 166 StGB „reli­giöse Unterdrückung der Nichtgläubigen” dar.

Zu China heißt es dann kon­kret: „Seit den kai­ser­li­chen Dynastien (…) ist der chi­ne­si­sche Staat vor­wie­gend poli­tisch lai­zis­tisch orga­ni­siert und in der Regel ohne domi­nie­ren­den kle­ri­ka­len Einfluß gewe­sen. Die welt­li­chen Herrscher waren stark genug, ihre Autokratie aucg ohne eine kle­ri­kale Kaste aus­zu­üben.” (S. 10) Deshalb wäre „eine ähn­lich ver­häng­nis­volle und domi­nie­rende Rolle, wie die der Päpste in der euro­päi­schen Geschichte, (…) in der chi­ne­si­schen Geschichte undenk­bar gewe­sen.” (S. 11) Es habe zwar auch hier Versuche (und zwar von bud­dhis­ti­scher Seite) gege­ben, sich den Staat unter­tan zu machen. Doch die sich zu feu­da­len Großgrundbesitzern auf­schwin­gen­den Klöster las­te­ten schwer auf der Wirtschaft und führ­ten recht schnell zu poli­ti­schen Krisen – und somit zur Abschaffung als Staatsreligion.

Dieser Artikel sollte m.E. als Anregung die­nen, sich näher mit dem Thema China und Religionen zu befas­sen. Hierfür ist das Buch von Heiner Jestrabek und Ji Yali emp­feh­lens­wert: „Die Wahrheit in den Tatsachen suchen. Aufklärung, Rationalismus und freies Denken in der chi­ne­si­schen Philosophie. Reutlingen 2011)

Laizisten sam­meln sich

Politisch wird’s in einer mit „gs” gezeich­ne­ten aus­führ­li­chen Information: „Jetzt auch in grün…”. Denn „nach Sozialdemokraten und Linken haben sich Anfang des Jahres auch säku­lare Grüne in einem bun­des­wei­ten Arbeitskreis zusam­men­ge­fun­den.” (s. 20)

Der Autor hebt den „poli­ti­schen und nicht welt­an­schau­li­chen Zugang zum Thema „Trennung von Staat und Kirche” (Laizismus) her­vor. (Das gilt auch für die lin­ken Laizisten, denen von maß­geb­li­chen Mandatsträgern ihrer eige­nen Partei immer wie­der denun­zia­to­risch vor­ge­wor­fen wird, sie seien mili­tante Atheisten und Kirchenfeinde; SRK).

Da sich Laizisten in allen Parteien ähn­li­chen Vorwürfen wie oben aus­ge­setzt sehen und weil „kir­chen­po­li­ti­sche Sprecher” in allen Parteien ähn­lich – wie unten beschrie­ben – agie­ren und agi­tie­ren, sei aus dem Beitrag etwas aus­führ­li­cher zitiert:

„Die Bundestagsabgeordnete Katja Dörner ging in ihrem Grußwort auf das Problem ein, dass den Kirchen oder reli­giö­sen Menschen eine beson­dere Kompetenz zuge­wie­sen wird, wenn es um Werte geht. (…) diese Vorstellung werde (…) unre­flek­tiert bedient. (…) Aus ande­ren Redebeiträgen ging her­vor, dass die grüne Spitzenkandidatin (Karin Göring-Eckardt; SRK) wie auch der kir­chen­po­li­ti­sche Sprecher Josef Winkler in der Partei durch­aus als Kirchenlobbyisten (!; SRK) wahr­ge­nom­men wer­den, die nicht die Haltung der Gesamtpartei reprä­sen­tie­ren. Insofern ist die Gründung des säku­la­ren Arbeitskreises wohl auch als Signal an jene Wählerschichten (!; SRK) zu ver­ste­hen, denen der Einfluß der Religionsgemeinschaften auf die Politik miß­fällt.” (S. 20/21) Der Beitrag wird ergänzt mit einem Auszug dem „Selbstverständnis” und der darin ent­hal­te­nen Liste mit 20 Punkten „zu denen Klärungs- und Ergänzungsbedarf” besteht – ana­log der lai­zis­ti­schen Forderungen von Sozialdemokraten und Linken).

Religion und Schule

Das zweite Schwerpunkt-Thema wird eröff­net mit einem Gespräch mit Rainer Ponitka über die „Schul”-Kampagne des IBKA: „Eine klare erste Forderung an die Politik ist es, die Kosten des Religionsunterrichtes – wie Lehrerbesoldung und – aus­bil­dung, die Raumkosten etc. – in die Religionsgemeinschaften zu ver­la­gern und ihn grund­sätz­lich nur frei­wil­lig als zusätz­li­ches und unbe­no­te­tes Fach zuzu­las­sen.” (S. 24/25)

Theodor Ebert stellt dann, bezug­neh­mend auf eine Pressemitteilung des Erzbischöflichen Ordinariates München die Frage, ob „Konkordatslehrstühle in Bayern bald Geschichte” seien?

Er hebt her­vor, daß eigent­lich das Thema Konkordatslehrstühle von Anfang an ver­fas­sungs­wid­rig sei: „Klarerweise ver­stößt die­ses Sonderrecht der (katho­li­schen; SRK) Kirche ebenso gegen das deut­sche Grundgesetz wie gegen die baye­ri­sche Verfassung, die beide den Zugang zu öffent­li­chen Ämtern aus­drück­lich unab­hän­gig vom reli­giö­sen Bekenntnis garan­tie­ren.” (S. 27) Nicht uner­wähnt blei­ben soll auch ein Verweis des Autors auf die Tageszeitung „taz” und deren „in letz­ter Zeit auf­fal­lend kir­chen­freund­li­chen Berichterstattung”: „Schade bei einer Zeitung, die ein­mal als lin­kes und eman­zi­pa­to­ri­sches Projekt begon­nen hat.” (S. 27)

Besonders her­vor­zu­he­ben ist an die­ser Stelle ein wei­te­rer Beitrag von Rainer Ponitka „Oberlandesgericht Köln zwingt Konfessionslose in Religionsunterricht”. Der Autor bezeich­net die­ses Urteil auf den Punkt gebracht als „ein Paradestück reli­giö­ser – um nicht zu sagen got­tes­staat­li­cher – Gerichtsbarkeit”. (S.30)

Auch aus die­sem Beitrag soll aus­führ­li­cher zitiert wer­den, denn bei nicht weni­gen und vor allem maß­geb­li­chen Politikern aller Couleur (selbst bei den LINKEN) muß man in Bezug auf den Religionsunterricht Unwissen und Verklärung („Blauäugigkeit”) kon­sta­tie­ren: Hier fände keine Missionierung, keine Glaubensunterweisung statt, son­dern es wür­den Werte ver­mit­telt und ebenso reli­gio­nen­kund­li­ches Wissen, heißt es uni­sono zur Verteigung des sta­tus quo…

Ponitka zitiert aus dem „Lehrplan für katho­li­sche Religion an der Grundschule”: „Der katho­li­sche Religionsunterricht ist theo­lo­gisch geprägt aus der christ­li­chen Über­zeu­gung, dass Gott in der Geschichte der Menschen und zu ihrem Heil wirkt, das Evangelium diese Erfahrung in Person und Botschaft Jesu Christi unwi­der­ruf­lich zum Ausdruck bringt, die Kirche diese Botschaft wei­ter­gibt und erfahr­bar macht.’ Er hat die Aufgabe, ‚lebens­be­deut­sa­mes Grundwissen über den Glauben der Kirche zu ver­mit­teln‘, er ist gebun­den ‚an den Glauben der Kirche‘ und wird ‚von Lehrerinnen und Lehrern erteilt, die im Besitz der kirch­li­chen Lehrerlaubnis sind und aktiv am kirch­li­chen Leben teil­neh­men.‘ (…)

Wem das noch nicht als Beleg für Indoktrination aus­reicht, dem sei ein Blick in das Schulgesetz NRW emp­foh­len. § 57(4) sagt: ‚ Lehrerinnen und Lehrer dür­fen in der Schule keine poli­ti­schen, reli­giö­sen, welt­an­schau­li­chen oder ähn­li­che äußere Bekundungen abge­ben, die geeig­net sind, die Neutralität des Landes gegen­über (…) den poli­ti­schen, reli­giö­sen oder welt­an­schau­li­chen Schulfrieden zu gefähr­den oder zu stö­ren. (…) Das Neutralitätsgebot des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht‘.” (S. 29)

Desweiteren zitiert Ponitka aus einem Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes zur Teilnahme am evan­ge­li­schen Religionsunterricht aus dem Jahre 1987: „Er (der Religionsunterricht) [ist] in ‚kon­fes­sio­nel­ler Positivität und Gebundenheit‘ zu ertei­len. Er ist keine über­kon­fes­sio­nelle ver­glei­chende Betrachtung reli­giö­ser Lehren, nicht bloße Morallehre, Sittenunterricht, his­to­ri­sie­rende und rela­ti­vie­rende Religionskunde, Religions- oder Bibelgeschichte. Sein Gegenstand ist viel­mehr der Bekenntnisinhalt, näm­lich der Glaubenssätze der jewei­li­gen Religionsgemeinschaft. Diese als beste­hende Wahrheiten zu ver­mit­teln, ist seine Aufgabe. (…) Deshalb wäre eine Gestaltung des Unterrichts als all­ge­meine Konfessionskunde vom Begriff des Religionsunterrichts nicht mehr gedeckt und fiele daher auch nicht unter die insti­tu­tio­nelle Garantie des Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG.” (S. 29)

Roland Ebert hat eben­falls einen zwei­ten Beitrag beige­steu­ert und schreibt unter der Über­schrift „Zentrum mit Ausstrahlungskraft für Berlin” über den Plan (und die Hintergründe) des Berliner Kardinal-Erzbischofs Rainer Maria Woelki, in der deut­schen Hauptstadt eine „katho­li­sche Fakultät” zu errich­ten.

Weitere Themen und Rubriken

Mit „Fragmentierter Antisemitismus” ist ein Artikel von Peter Ullrich über­schrie­ben. Wobei hier wohl wie­der ein­mal die Begriffe (und Begriffsinhalte) Antisemitismus, Antijudaismus und poli­ti­sche Kritik an der israe­li­schen Staatspolitik ver­mengt wer­den. Und so bzw. nur so kann er zu der Aussage gelan­gen, daß die poli­ti­sche Linke anti­se­mi­tisch wäre… Ullrich denun­ziert ins­be­son­dere Günter Grass, des­sen kri­ti­sches Gedicht zur israe­li­schen Staatspolitik er „israel­f­eind­lich” sei und damit letzt­lich anti­se­mi­tisch.

Zur jeder MIZ-Ausgabe gehö­ren ihre stän­di­gen Rubriken. So der „Blätterwald – Säkulare Publikationen. Lesetipps. Zeitschriftenschau. Medienauswertung”, u.a. mit der Vorstellung von Deschners Band 10 der „Kriminalgeschichte des Christentums”. Der „Zündfunke” gibt einen „Rückblick auf Aktionen, Medienarbeit, Vorträge, Seminare und Ehrungen”. Umfangreich wie immer ist die „Internationale Rundschau” mit Nachrichten aus Deutschland, Europa – hier kommt ganz kurz die Rede auch auf die mate­ri­el­len Vermögen der ortho­do­xen Kirchen Griechenlands und Zyperns (!!!), Nord- und Lateinamerika, Afrika, Asien und Australien.

MIZ – das bedeu­tet Materialien und Informationen zur Zeit. Das Vierteljahresmagazin des IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) erscheint seit 1972 und kann beim Alibri-Verlag Aschaffenburg bezo­gen wer­den.

Siegfried R. Krebs


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