Bist du Junge oder Mädchen? Nein.

Öffentliche Toiletten sind für Alex ein Graus. Denn hier gibt es nur die Wahl zwischen Mann und Frau, Alex ist aber beides nicht. Wenn Alex sich auf einer Party vorstellt, wissen die Leute nicht, wie sie mit diesem Menschen umgehen sollen. In der Frauenumkleide ist Alex nicht willkommen, in die Männerumkleide darf Alex nicht. Schon als Kind hat Alex am Liebsten lockere Tshirts und weite Hosen getragen. Kurze Haare, keine Schminke, später kein Bart - andere Menschen können Alex nur schwer einordnen und entscheiden sich mal für Junge, mal für Mädchen. Als Jugendliche*r fühlt sich Alex in der Öffentlichkeit immer unwohler, zieht sich zurück, hat Depressionen und Angstzustände. Alex findet sich einfach nicht zurecht in einer Welt, die auf der Vorstellung von zwei Geschlechtern aufbaut, die beide irgendwie nicht passen.

Alex gibt es nicht wirklich. Alex' Geschichte schon. Häufig helfen erst eine Therapie und die Begegnung mit anderen nicht-binären Personen, sich wieder gestärkt und selbstbewusst in der Gesellschaft anderer Menschen zu bewegen. Manche haben das Glück, von offenen, liebevollen Eltern, nahen Verwandten oder guten Freund*innen unterstützt zu werden. Manche nicht. Sie berichten von Freund*innen, die ihnen den Rücken zugekehrt haben, oder Familienmitgliedern, die sie über Jahre weiter mit ihrem Geburtsnamen und -geschlecht ansprechen, weil sie meinen, das sei nur so eine Phase oder Verrücktheit.

Der 14. Juli - gelegen genau zwischen dem Internationalen Frauentag am 8. März und dem Internationalen Männertag am 19. November - soll nicht-binäre Menschen sichtbar machen. Aber was heißt das eigentlich?

Binär bedeutet, dass etwas in genau zwei sich gegenseitig ausschließenden Gegensätzen gedacht wird. Also dass es Geschlecht nur entweder als „männlich" oder „weiblich" gibt, und jeweils das eine das Gegenteil des anderen darstellt. Nicht-binär ist also eine Sammelbezeichnung für Geschlechtsidentitäten, die sich nicht so einordnen lassen. Das hat nichts mit den biologischen Geschlechtsmerkmalen zu tun und ist auch unabhängig von der sexuellen Identität der Person, denn sie kann - ebenso wie binäre Menschen - Männer, Frauen, andere oder Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht lieben.

Außerhalb der gewohnten Unterscheidung zwischen Frauen und Männern gibt es eine ganze Spannbreite von Geschlechtsidentitäten (die sich in vielen Fällen nicht unter dem häufig gewählten Ausdruck „drittes Geschlecht" fassen lassen):

  • Interpersonen können sich nicht eindeutig der Kategorie männlich oder weiblich zuordnen.
  • Bigender identifizieren sich als sowohl männlich als auch weiblich.
  • Trigender und Pangender identifizieren sich mit drei oder mehr Geschlechtern.
  • Genderfluide empfinden ihre Geschlechtsidentität als fließend zwischen den Geschlechtern.
  • Agender oder Genderneutrale fühlen sich keinem Geschlecht zugehörig.
  • ...

Eine Besonderheit in diesem Zusammenhang können transgeschlechtliche Personen sein. Bei ihnen stimmt die Geschlechtsidentität nicht oder nur teilweise mit dem Geschlecht überein, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Entscheiden diese sich für eine geschlechtsangleichende Operation, passen Transmänner und Transfrauen ebenso in das binäre System wie Cis-Frauen und Cis-Männer, deren Geburtsgeschlecht mit ihrer Geschlechtsidentität zusammenfällt und die Mehrheit in unserer Gesellschaft darstellen. Es gibt jedoch auch transgeschlechtliche Menschen, die keine operativen Veränderungen möchten.

Ende 2018 wurde vom Gesetzgeber die dritte Option „divers" eingeführt. Dies geht zurück auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, das der Beschwerde einer Interperson Recht gab. Das hat nicht nur Auswirkungen auf das Personenstandsrecht, sondern auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Denn mit der Anerkennung der Option „divers" geht einher, dass Menschen nicht mehr aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden dürfen - z.B. durch die Schaffung von Unisextoiletten.

Allerdings steht diese dritte Option nur Menschen offen, deren körperliche Geschlechtsmerkmale sich nicht eindeutig der Kategorie männlich oder weiblich zuordnen lassen. Das schließt viele nicht-binäre Personen aus. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes weist aber darauf hin, dass „das Bundesverfassungsgericht [...] in seiner Rechtsprechung darauf [verweist], dass die Zugehörigkeit eines Menschen zu einem bestimmten Geschlecht nicht allein von seinen körperlichen Geschlechtsmerkmalen, sondern wesentlich auch von seiner subjektiven Geschlechtsidentität bestimmt wird. Insofern ist unklar, ob langfristig auch transgeschlechtliche Personen eine Anpassung ihres Personenstandes in ‚divers' vornehmen können". Oder andere nicht-binäre Menschen.

Kompliziert und unübersichtlich? Sicherlich! Aber wie verwirrend und verunsichernd muss es erst sein, wie Alex selbst festzustellen (oft schon als Kind) dass die eigene Geschlechtsidentität irgendwie nicht in das „normale" passt, dass Mädchen oder Junge einfach nicht zutrifft?

Wenn also ein Kind sagt „Ich bin kein Junge/Mädchen", dann sollten wir sie*ihn ernst nehmen. Vielleicht ist es nur eine Phase, ein Spiel, ein Ausprobieren. Das geht vorüber, auch dann, wenn wir mitmachen. Vielleicht ist es dem Kind aber auch ernst und es spürt, dass da irgendetwas anders ist. Dann braucht es Unterstützung, vielleicht auch Hilfe. Es ist nicht möglich, Menschen eine andere Geschlechtsidentität „anzuerziehen" als sie selbst empfinden.

Letztlich hat jedes Kind, jede*r Jugendlicher, jede*r Erwachsene unabhängig vom Geschlecht das Recht, als Mensch gesehen und respektiert zu werden. Mit den eigenen Vorlieben, Hobbys, Kleidungsstil usw. So wie Alex.

Hanna Bludau, ehrenamtliche Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Hardegsen
Artikel erstmals veröffentlicht im Hardegser Stadtgeflüster 07/2020

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