Bewegst du dich noch, oder betreibst du schon Sport?

Bewegst du dich noch, oder betreibst du schon Sport?

Pünktlich zum Beginn der Osterwoche 2011 wollte ich mein etwa 15 Jahre altes Mountainbike aus der Garage holen und die erste kleine Ausfahrt des Jahres machen. Doch mein Mountainbike war mir mit der Ausfahrt bereits zuvor gekommen und hatte diese bereits ohne mich begonnen, mit seinem neuen (unrechtmäßigen) Besitzer – sprich: das Ding wurde mir schlichtweg aus einer versperrten Tiefgarage geklaut.

Es folgte also nach einigen Tagen des Überlegens der unvermeidliche Besuch in einer Filiale einer großen Sportartikel-Kette. Jeder der dort ausgestellten Drahtesel, inklusive aller Kinderräder (mit oder ohne Stützräder), hatte eine bessere technische Ausstattung als MEIN 15 Jahre altes MTB. Es hätte also jedes Rad um etwa 400 bis 500 Euro meinen Ausstattungslevel im Vergleich zu vorher mindestens verdoppelt. Aber eigenartigerweise zog es mich magisch ans andere Ende der Fahrradreihe, wo Schlagworte wie “Carbonrahmen ultraleicht” oder “Shimano XTR-Schaltgruppe ultraschnell die Verkaufstafeln an den Rädern zierten.

6 – 7 Kilo Fahrrad weniger kosten ca. 4.000 € mehr

Mein Gott, manche dieser Dinger sahen ja auch extrem geil aus. Beim verdutzten Abzählen der Kommastellen auf selbigem Preis-Schild kam dann die Erkenntnis, dass diese unglaubliche Leichtigkeit, dieser Hauch eines Fahrrades satte 4.490 Euro kostet – also etwa die Hälfte meines eben erst neu gekauften Fiat Grande Punto, mit dem ich jährlich immerhin an die 20.000 Kilometer abspulen werde.

Der Schock saß tief, die Nachdenkphase am selbigen Abend am heimischen Küchentisch brachte es dann auf den Punkt: 6 – 7 Kilo Fahrrad weniger plus etwas futuristisches Design kosten in etwa 4.000 Euro mehr im Vergleich zu einem neuen 500 Euro teuren Durchschnitts-Fahrrad. Ich nahm mir zwar vor, in den darauffolgen Tagen das günstige 500 Euro-Rad zu holen, getan hab ichs aber bis heute nicht. Da nun in einigen Wochen wieder Ostern am Kalender steht und ich noch immer keinen für mich adäquaten fahrbaren Untersatz habe, ging mir der im Vorjahr nicht getätigte Kauf nochmals durch den Kopf.

Warum will ich ein um etwa 7 kg leichteres Fahrrad im Vergleich zu einem Durchschnittsfahhrad kaufen? Um vielleicht bei einer keuchenden Spazierfahrt um den nahegelegenen Teich etwa 1-2 km/h schneller zu sein? Um neidige Blicke auf ein toll gestyltes, schnittiges MTB mitleidig ignorieren zu können?

Ich hab mit einem Körpergewicht von (sind wir mal ehrlich) ca. 100 kg ein Vielfaches an Übergewicht mehr, als die mit 4.000 Euro eingesparten 7 kg am Fahrrad. Und der Style-Faktor des windschlüpfrigen Carbon-Flitzers gerät auch eher zur Peinlichkeit, wenn über diesem technischen Wunderwerk bei jeder Bewegung eine ordentliche Wampe ihr Unwesen treibt. Was zur Hölle treibt mich also dazu, ein für mich vollkommen sinnloses überteuertes Sportgerät auch nur ansatzweise für einen Kauf in Betracht zu ziehen?

“Beweger” vs. “Sportler”

Die Antwort scheint mir aufgrund der Bedenkzeit von fast einem Jahr ganz einfach: Ich möchte mich nicht nur bewegen (was eigentlich vollkommen reichen würde) – nein, ich möchte Sport betreiben. Und Sport betreibt man nur mit der bestmöglichen Ausrüstung die man sich grad noch so leisten kann.

Das unterscheidet den “Sportler” von einem “Beweger“. Der “Beweger” betätigt sich regelmäßig zum Vorteil seiner Gesundheit. Vielleicht nur laufend ohne jegliches Sportgerät, oder radelnd auf einem alten Waffenrad – aber er tut es. Im Gegensatz dazu führt der “Sportler” seine Komposition aus Carbon und Titan höchstens 4 bis 5 mal pro Saison stolz der Allgemeinheit vor, die restliche Zeit steht das Ding in der Garage.

Sport heißt also auch hier Wettkampf wie bei den Profis. Zwar nicht um “schneller, höher und weiter”, sondern um “schöner, edler und teurer”. Mit 100 kg Körpergewicht ist halt nicht viel mit schneller ;) .

Auf vielen Fragebögen oder Ähnlichem werden wir immer gefragt: “Betreiben Sie Sport?“. Lauten sollte es eigentlich: “Bewegen Sie sich (und Ihren faulen Ar…)?“. Sport betreibt man um Ruhm und Ehre zu erlangen, das wird uns ja von den Profis jeder Sportart vorgezeigt. “Beweger” sind fad und unspektakulär, die machen das ja nur für sich und ihre Gesundheit.

Da es scheinbar gut tut, manchmal auch mal etwas länger über einfache Entscheidungen im Lebens nachzudenken, werde ich in den nächsten Wochen wieder eine Filiale des Sport- und Bewegungs-Fachhandels besuchen und mir ein adäquates Fahrrad  zum “Bewegen” kaufen – und dafür 500 Euro ausgeben … oder sagen wir halt maximal 750 Euro – wenn es einen geilen Alu-Rahmen hat :) .


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