Betreutes Leben ohne Grundgesetz

Betreutes Leben ohne GrundgesetzIm Fernsehen immerzu Hitler, in den Nachrichten seit Tagen kein Wort mehr über islamistische Terroranschläge, die Glückszahlen nicht mehr beim Telelotto und nach nur sieben Tagen Schneechaos rollt sogar die Eisenbahn wieder wie anno 1926. Ist das noch meine DDR?, fragen sich da immer mehr Menschen, verwirrt darüber, wie sehr sich das Land ihrer Kindheit verändert hat: Neue Darsteller beim "Polizeiruf 110", Maybrit Illner im Westfernsehen, Dynamo Dresden in der dritten Liga.
Wie konnte das passieren? Ist das denn wirklich noch meine SPD?, zweifeln die Menschen, die einst auf die Straße gingen und das meist bis heute regelmäßig tun. Doch wenigstens ideologisch geben Historiker und Psychologen Entwarnung. Ja, es ist die DDR und ja, auch die SPD ist sich treu geblieben: Wie seinerzeit der Teilvorgänger SED steht die große stolze "Arbeiterpartei" (Willy Brandt) nach wie vor für das bewährte Konzept des betreuten Lebens, wie ein geheimes Dokument aus dem Willy-Brandt-Haus verrät. Das Schriftstück unter dem pfiffigen Kennwort "Mittendrin-Talk"-Zeitung war Haushalten in Mitteldeutschland in den letzten Tagen wohl irrtümlich per Postwurfsendung zugestellt worden, um - so die Legende - über die Absichten der deutschen Sozialdemokratie in der Bildungspolitik aufzuklären.
Versteckt in einem fundamentalen Aufsatz auf der letzten Seite aber fanden aufmerksame Leser hier kompakt in einem knackigen Satz zusammengefasst das gesamte Welt- und Gesellschaftsbild der ehemaligen Partei August Bebels und Otto Grotewohls. "Politik hat die Aufgabe, das tägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu regeln - so sieht es das Grundgesetz vor", fasst die Parteizeitung bündig zusammen, was im Grundgesetz stehen würde, hätte ein Sozialdemokrat wie Sigmar Gabriel es aufschreiben dürfen.
Betreutes Leben ohne Sorgen, das Beisammensein von Mann und Frau und Kind, von Nachbarn und Kollegen nett von der "Politik" geregelt, dass kein Stäubchen auf den finalen Frieden in der Welt fällt. Ein Traum. Demokratie, ehedem als Volksherrschaft definiert, muss nicht sein, wenn "die Politik" (SPD) zur Stelle ist, wie ein BMSR-Mechaniker liebevoll regelnd und steuernd parat zu stehen, um dem Volk das Regieren abzunehmen.
Im Grundgesetz steht davon nichts, wie auch die SPD-Parteizentrale in Magdeburg nach viertägiger Suche im amtlichen Text des Grundgesetzes zugestehen muss. "Diese grundgesetzlich verankerte Aufgabe von Politik, das tägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft zu regeln, ist nicht wortwörtlich im Grundgesetz zu finden", klärt der Pressesprecher der Landtagsfraktion auf, wie sich die Beinahe-Verfassung durch die sozialdemokratische Brille so lesen lässt, dass sie wenigstens "sinngemäß hineininterpretierbar" (SPD) werde.
"Artikel 20 GG sieht vor, dass die Staatsgewalt in unserem demokratischen und sozialen Bundesstaat vom Volke und durch Organe der Gesetzgebung und der vollziehenden Gewalt ausgeübt wird". Die beiden Letzteren seien dabei "zur Sphäre der Politik zu rechnen", analysiert die amtliche Stimme der sachsen-anhaltinischen Sozialdemokratie die Aufgaben von Gerichten, Staatsanwaltschaft, Polizei und Finanzämtern. Die Politik sei somit natürlich berufen, "durch Beschluss und Vollzug von Gesetzen Regeln für das tägliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft aufzustellen".
Artikel 21 GG, in dem als Aufgabe der Parteien die bloße "Mitwirkung an der politischen Willensbildung" verankert ist, darf demgegenüber bereits heute vernachlässigt werden. In Wirklichkeit regelt die Politik das Zusammenleben, die Menschen dürfen es dankbar und froh nur noch absolvieren.


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