Was am 13. Oktober 1974 mit gerade einmal 286 Startern begann, ist mittlerweile zu einem globalen Sportereignis mit jährlich mehr als 40.000 Laufsportbegeisterten avanciert. Gestern um 9 Uhr war es wieder soweit. Bei kühlen aber glücklicherweise sonnenreichen Morgenstunden bebte die Straße zum 17. Juni in Berlin. Es ist wahnsinnig beeindruckend mit zu erleben, wie so viele Menschen zusammen bestens gelaunt dem sportlichen Hauptstadt-Highlight entgegenfiebern, die Top-Athleten beklatschen und final den 10 Sekunden Countdown bis zum Startschuss herunterzählen. Absolutes Gänsehautfeeling!
Berlin Marathon – Zahlen der Superlative!
41.224 Läufer aus über 127 Nationen strömten los!! – bombastisch! Doch der Berlin Marathon ist so viel mehr! Die Zahlen und Fakten sind beeindruckend: Neben den bejubelten Läufern fiebern bis zu 1 Million Zuschauer an der Strecke und ein Vielfaches davon vor den heimischen TV-Geräten weltweit mit. Keinesfalls weniger wichtig: Die 5900 freiwilligen und 760 medizinischen Helfer. Auch aus der Rubrik „unnützes Wissen“ bringt der Berlin Marathon Fakten der Superlative hervor: Für die Athleten wurden u. a. 1 Million Trinkbecher, 240.000 Liter Wasser, 145.000 Bananen, 80.000 Kekse, 45.000 Äpfel und 250 Liter Massageöl bereitgestellt.
Kein Weltrekord, dafür deutsche Topleistungen – Hahner verfehlt Olympia Norm
Berlin Marathon – das heißt auch das Kräftemessen der Elite der Langstreckenszene. Allen voran die afrikanischen Wunderläufer. Natürlich lockt die Berlin Atmosphäre und das schnelle Streckenprofil so einige deutsche Topläufer an. In diesem Jahr gingen u. a. Julian Flügel, Falk Cierpinski, Anna Hahner oder auch der Newcomer Phillip Pflieger an den Start der 42,195 kilometerlangen Strecke.
Das mediale Aufbauschen der Titelaspiranten, inklusive des Trubels rund um Olympia-Anwärterin Anna Hahner, war dieses Jahr enorm. Es standen viele Fragen im Raum: Schafft es einer der drei Kenianer -Eliud Kipchoge (30), Emmanuel Mutai (30) bzw. Geoffrey Mutai (33) – den Weltrekord erneut zu knacken? Können die deutschen Eliteläufer um Julian Flügel & Co international mithalten und Topzeiten abliefen? Gerade auch medial im Fokus: Schafft Anna Hahner die Olympia Norm?
Zumindest eine der 3 Fragen lässt sich mit Ja und einem fetten Ausrufezeichen beantworten. In einem international hochkarätig besetzten Läuferfeld können gleich 2 deutsche Lauftalente mit Spitzenleistungen glänzen. Julian Flügel (Team Memmert) kann auch bei seinem dritten Versuch über die Marathondistanz auftrumpfen und seine Bestzeit vom Frankfurt Marathon 2014 verbessern. Als 19. und mit einer Zielzeit von 2:13:57 hätte er sogar die gesetzte Olympia-Norm geschafft. Wäre da nicht die deutlich verschärfte Norm des Deutschen Leichtathletikverbands (DLV) – 2:12:15. Sogar noch knapp eine Minute schneller kam Langstreckennewcomer Phillip Pflieger (LG Telis Finanz Regensburg) mit neuer persönlicher Bestzeit von 2:12:50 auf Platz 16 ins Ziel. Somit hat es auch für ihn diesmal noch nicht ganz für das Rio-Ticket gereicht. Doch er wird im Frühjahr 2016 wieder angreifen und es noch einmal probieren. (sein Interview mit Laufen.de hier entlang)
Routinier Falk Cierpinski musste erneut einen Rückschlag einstecken und bei Km 23 verletzungsbedingt aufgeben. Sein Statement ist dementsprechend ernüchternd. Trotzdem ist er durch und durch sportsman!
“Einige Stunden ist der BERLIN-MARATHON jetzt her, meine Klamotten liegen immer noch in der Ecke. Eigentlich ist mir auch überhaupt nicht danach, irgendetwas zu posten, dafür bin ich einfach zu enttäuscht, aber man sollte nicht nur schreiben, wenn alles rund läuft. Ich war so gut vorbereitet wie lange nicht, habe neue Trainingsbestzeiten realisieren können, trotzdem kam ich heute leider nicht ins Ziel. Trotz chiropraktischer Behandlungen, Physio usw. bekam ich ich heute (genau wie beim Hannover Marathon) extreme Ischiasschmerzen, an ein Weiterlaufen war ab km 23 nicht mehr zu denken. Next stop am Dienstag ist die Klinik für ein MRT. Glückwunsch an Philipp Pflieger für deine tolle Zeit und natürlich auch an alle, die heute das Ziel erreicht haben!!!”
Was den Weltrekord angeht: der blieb aus. Dafür lieferte der Sieger Eliud Kipchoge dennoch eine Weltjahresbestzeit ab (2:04:00) und das sogar in einer – sagen wir mal ehr ungewohnten, fast schon ulkigen Art – er lief den Marathon über weite Strecken mit losen Schuhsohlen!! Diese waren ihm herausgerutscht. Das hebt seine Leistung nur noch mehr hervor! Chapeau Eliud!
Bei den Frauen siegte wie erwartet Gladys Cerono in 2:29:24 (32, Kenia) vor Aberu Kebede (26, Äthiopien) und Meseret Hailu (25, Äthiopien). Die deutschen Hoffnungen auf ein Olympia-Ticket konnte Anna Hahner leider nicht erfüllen. Nach starker Halbmarathondistanz brach sie anschließend in ihrer Leistung ein und verfehlte die Olympia-Norm um knapp 2 Minuten. Ist der Olympia-Traum damit ausgeträumt? Keineswegs! Wer die Hahner-Twins verfolgt, weiß dass das höchstens der Auftakt zum nächsten Versuch sein wird – der Versuch zusammen mit ihrer Schwester Lisa Hahner Deutschland im Sommer 2016 in Rio zu verteten und einen Lebenstraum in Erfüllung gehen zu lassen. (ihr Interview mit laufen.de hier entlang)
Persönlicher Rennverlauf – Mit 3 Stunden geliebäugelt – und…??
Wenn es so etwas wie eine sichtbare Gefühlsstatus-Leiste über dem Kopf gäbe, würde sie bei mir zufrieden und geschafft anzeigen. Ja, so trifft es meinen Gemütszustand zwar recht unspektakulär, dafür treffend. Mit dem gestrigen Tag und meiner Leistung bin ich echt zufrieden.
Ohne viel TamTam und Ausreden: Für die magische 3 Stunden Grenze hat es nicht gereicht. Dabei sah es zwischenzeitlich ziemlich gut aus. Bis zur Halbmarathondistanz war ich im Soll. Ich fühlte mich gut. Die Beine waren locker. Im Prinzip wusste ich schon vorher, dass die „Pumpe“ nicht das Problem werden würde. Wenn dann könnte es nach der Hälfte muskulär schwirig werden. So kam es! Als ich bei Kilometer 25 auf mein „Pace Band“ am Arm schaute, war ich plötzlich 2 Minuten hinter der nötigen Zwischenzeit. Bei Km 30 waren es 3 Minuten und bei Km 35 sogar schon 6 Minuten. Die Beine wurden immer schwerer. Insgeheim wusste ich es ja schon: Für dieses ambitionierte Ziel habe ich schlichtweg zu wenig marathonspezifisch trainiert gehabt. Keine langen Läufe über 25 Kilometer. Generel zu wenig Laufkilometer gesammelt. So ist das halt!
Marathon ist halt kein Filter-Kaffee to go. Ehr ein Cafe cremá aus frisch gemahlenem Arabicabohnen….Richtig genießen lässt er sich nur, wenn er entsprechend professionell gemacht ist.
Also hieß es auf der zweiten Hälfte beißen! Mit der nun nicht mehr zu erreichenden 3-Stunden Marke hatte ich mich schnell abgefunden. Es wäre auch sinnlos gewesen, sich diesen großartigen Tag von ein paar Zahlen versauen zu lassen. That’s Life! Also fokussierte ich mich einfach darauf genügend Wasser an den Verpflegungsstellen zu mir zu nehmen und die Stimmung aufzusaugen. Seht ihr – das hätte ich fast vergessen. Natürlich darf man neben vielen freundlichen Helfern nicht die tollen Musikgruppen und Vereine vergessen, die wohl mindestens eine ebenwürdige Leistung erbacht haben. Insofern gab’s abseits der Strecke einen Musikmarathon zu bestaunen, bei dem wohl so manche professionell organisierten Musikevents alt ausgesehen hätten. Chapeau auch davor!
Herzschlagfinale unterm Brandenburger Tor
Beim Marathon gibt es immer den Moment, wenn es anfängt zu schmerzen. Wenn man Probleme hat das Tempo zu halten. Vielleicht weil man über seinem Limit rennt. Vielleicht weil der Fuß oder die Wade aufmuckt. Fast kein Läufer bleibt davon verschont, die 42 Kilometer in einem stetigen Fluss von Glücksgefühlen und Freude zu durchlaufen. ABER! Und dieses „aber“ ist ein großes! Wenn man erst einmal über die 40-Kilometer Marke gerannt ist und die Zuschauerjubel immer lauter werden… Das Grölen einen urplötzlich doch noch einmal nach vorne puscht… Ja, dann ist es ein SELBSTLÄUFER. Spätestens auf der laaaangen Zielgeraden haut es einn aus den Socken (oder wie beim Sieger aus den Sohlen :D)
Jeder. Wirklich JEDER, der die letzten Meter, hindurch unterm Brandenburger Tor, bis zur finalen 200 Meter Gasse packt, wird gebührend und absolut bombastisch von der Zuschauermenge und den Kommentaren abgefeiert. Völlig egal, ob man Eliud Kipchoge, Anna Hahner oder Max Musterman heißt: JEDER ist ein Gewinner. Und genau so darf sich jeder fühlen. Überzogener Zielsprint? Protziges Posen? Ausgelassen ins Ziel tanzen? – ABER BITTE DOCH! Hauptsache die Sekunden genießen, wofür man so lange kämpfen musste.
Bei mir stoppte die Zeit letzlich bei 3:08:21. Mensch, ist das klasse! Meine vorjährige Premierenzeit konnte ich um 14 Minuten verbessern. Was will ich eigentlich mehr?!? Ohne Krämpfe und größere Schmerzen konnte ich zufrieden aber völlig geschafft durch die Finiesherzone laufen. Diese Phase ist mindestens genauso super, erwähnt wird sich allerdings gänzlich nie. Wohl deshalb weil es eher so ein Ding zwischen den Läufern unter sich ist. Was ich meine?
Stellt euch vor da gehen (oder humpeln) so viele Menschen mit einem Seite an Seite– ausgelaugt und noch überwältigt von gerade Erlebten… Fast jeder hat dieses leichte Lächeln auf den Lippen. Und wenn es doch eher ein schmerzverzerrtes Gesicht ist, kommt das erfüllte Grinsen spätestens in dem Moment des gegenseitigen Anblickens. Als wenn man sich gegenseitig sagen will: „Ja man ich weiß…Geiles Ding! Ich hab auch richtig gekämpft! Wir waren klasse“. Ausgedrückt als unterschwelliges Lächeln bzw. verkapptes Grinsen…. Sehr cooles feeling diese Sekunden und Minuten nach dem Zieleinlauf!
Das war’s. Die Saison 2015 ist nun offiziel für mich beendet. Voll motiviert werden jetzt neue Pläne für 2016 geschmiedet. Bleibt gespannt. Es wird auf jeden Fall wieder viel neues an Input kommen.
Lasst’ es Euch gut gehen.
Sören.
Weiterführende Links zum Berlin Marathon 2015
RunnersWorld-Beitrag zum Berlin Marathon
30 verrückte Fakten zum Berlin Marathon 2015
Blogbeitrag vom Berliner Läufer Paul Schmidt