Berlin: Zwangsgeräumt für die Rendite

Seiten aus Deckblatt_ZR_StudieHeute haben wir ganz offiziell im Rahmen einer Pressekonferenz unsere Studie “Zwangsräumungen und die Krise des Hilfesystems” (download) vorgestellt. Gemeinsam mit Laura Berner und Inga Jensen habe ich über ein Jahr das Zwangsräumungsgeschehen in Berlin und die Funktionsweisen der staatlichen Unterstützungsangebote für Personen in Wohungsnotlagen untersucht.

Mit etwa 10.000 Räumungsklagen, bis zu 7.000 festgesetzten Räumungsterminen und völlig überfüllten Unterkünften sind Zwangsräumungen und Wohnungsnotlagen in den letzten Jahren in Berlin längst kein gesellschaftliches Randphänomen mehr und haben sich zum ständigen Begleiter der Aufwertungsdynamiken in der Stadt entwickelt. Angesichts der 85.000 Bedarfsgemeinschaften im SGB II und SGB XII, die schon jetzt Mieten über den Bemessungsgrenzen für die Kosten der Unterkunft zahlen, ist eine weitere Zunahme von Mietrückständen, Räumungsklagen und Wohnungsnotlagen zu erwarten.

Unsere Untersuchung zur Rolle von Institutionen und Behörden an den Zwangsräumungen haben ein erhebliches Maß an staatlicher Ko-Produktion von Zwangsräumungen aufgedeckt. Mit ihrer repressiven Anwendung der Hartz-IV-Gesetze in allen Fragen der Wohnkostenübernahme aber auch durch die Verschleppung der Bearbeitung von Anträgen zur Mietschuldenübenahme bis hin zu Fehlüberweisungen von Mieten tragen die Jobcenter die Verantwortung für einen großen Teil der Zwangsräumungen in der Stadt. Auch die landeseigenen Wohungsbaugesellschaften haben sich zu einer festen Größe des Berliner Räumungsgeschehens entwickelt. Fast 20 Prozent aller Räumungen in den letzten Jahren wurden von den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften erwirkt. Im Durchschnitt werden die Gerichtsvollzieher/innen 20 mal pro Woche im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaften aktiv.

Neben einem umfassenden Scheitern der Hilfesystems haben wir auch einen engen Zusammenhang zwischen Mietentwicklung  und Zwangsräumungen bzw. erzwungenen Umzügen festgestellt:

Die Räumungsneigung steigt mit den Ertragserwartungen: Je höher die in Aussicht stehenden Neuvermietungsmieten sind, desto konsequenter nutzen Vernmieter/innen Mietrückstände und andere Kündigungsanlässe zur Räumung der Wohnungen. Insbesondere die klassischen Instrumente der sozialen Wohnhilfe wie etwa die Mietschuldenübernahme greifen dann nur noch in Ausnahmefällen, da die Gewinnerwartungen der Neuvermietung über den Nachzahlungen der Mietrückstände liegt.

Mit den steigenden Mieten verändern sich die Kündigungsanlässe: Galten lange Zeit Mietrückstände als der zentrale Grund für die Kündigung von Mietverhältnissen, zeigt sich insbesondere in den Aufwertungsgebieten Mitte, Kreuzberg-Friedrichshein, aber auch in Charlottenburg-Wilmersdorf eine veränderte Situation. Die große Differenz zwischen der Anzahl von Kündigungsklagen und den gestellten Anträgen auf eine Mietschuldenübernahme verweist auf einen höheren Anteil von sonstigen Kündigungsbegründungen und/oder eine veränderten Sozialstruktur der Haushalte in Wohnungsnotlage.

Zwangsräumungen haben sich zu einem Instrument der Ertragslückenschließung entwickelt:  Die aus der Gentrification-Forschung bekannte Ökonomie der Verdrängung (rent gap) kann auch im Bezug auf die Zwangsräumungen die veErtragslücken_Zwangsräumungenrstärkte Räumungsneigung von Vermieter/innen erklären. So gilt im Durchschnitt die immobilienwirtschaftliche Faustregel, dass der Prozess von Kündigung und tatsächlich durchgeführter Räumung mit Kosten in der Höhe von etwa 20 Monatsmieten verbunden ist. Für die Wohnungsmarktlage des Jahres 2007 hieß das: Eine Räumung hätte sich bei einer Neuvernmietung zu den durchschnittlich 1,34 höheren Mieterträgen erst nach 69 Monaten amortisiert. Entsprechend dankbar waren viele Eigentümer/innen über die bezirklichen Angebote einer Mietschuldenübernahme. Für das Jahr 2013 stellt sich die ökonomische Ausgangslage für die Entscheidung  pro oder kontra Räumung deutlich verändert dar. Ein durchschnittlicher Mietsprung von fast 3,00 Euro/qm reduziert die Amortisation der räumungsbedingten Einnahmeverluste auf 36 Monate. In den Aufwertungsgebieten mit Angebotsmieten jenseits der 10 Euro/qm lohnt sich eine Räumung sogar schon nach 21 Monaten. In unseren Gesprächen in den Bezirksämtern und mit Mitarbeiter/innen von Freien Trägern spiegelte sich diese ökonomische Rationalität der Zwangsräumung in den Berichten von Eigentümer/innen, die immer häufiger die Angebote für eine Mietschuldenübernahme ablehnen.

Neben aller Verantwortung der repressiven Sozialgesetzgebung und der überforderten Institutionen des Hilfesystems, zeigt unsere Studie deutlich, dass es (auch) die veränderten Ertragserwartungen  sind, die den Räumungsdruck in der Stadt verschärfen.

Pressespiegel zur Veröffentlichung der Studie:

Berliner Zeitung (17.04.2015): Berlin ist Hauptstadt der Räumungsklagen

Der Tagesspiegel (18.04.2015): Immer mehr Zwangsräumungen in Berlin

Berliner Kurier (20.04.2015): Ruckzuck raus! Berlin ist die Hauptstadt der Räumungsklagen

taz (20.04.2015): Forscher empfehlen Widerstand

rbb (23.04.2015): Studie: Jobcenter beschleunigen Gentrifizierung

Neues Deutschland (23.14.2015 ): Studie: Jobcenter verursachen die meisten Zwangsräumungen

Berliner Morgenpost (23.04.2015): Berlin ist die Hauptstadt der Zwangsräumungen

Der Tagesspiegel (24.04.2015): Kinder von Räumungen besonders betroffen

Neues Deutrschland (24.04.2015): Denkzettel für Mietpreistreiber



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