Ich bin gerade zufällig auf ein fast vier Jahre altes Interview zur Stadterneuerung in Berlin Prenzlauer Berg gestoßen: “Das Ende der Behutsamkeit“. Anlass war die Herausgabe meines Buches “Restrukturierung des Raumes” in dem ich versucht hatte, die Machtverhältnisse in der Stadterneuerungspolitik der 1990er Jahre zu analysieren. Im Mittelpunkt des Gesprächs standen insbesondere Einschätzungen und Prognosen zu den sozialen Effekten der Sanierung. Aus heutiger Perspektive erschreckend, wie deutlich die düsteren Prognosen von damals heute Realität geworden sind.
Das Interview wurde in der Sanierungszeitschrift VorOrt abgedruckt, die seit 1992 von der Mieterberatungsgesellschaft Prenzlauer Berg herausgegeben wird und mittlerweile eine unendlich informative Chronik der Stadterneuerung darstellt. Die Ausgaben seit September 2005 sind auch online abrufbar.
Das Ende der Behutsamkeit
Dr. Andrej Holm: »Berlin konnte die Stadterneuerung im Ostteil nicht allein finanzieren, so dass private Investoren entscheidenden Einfluss erlangten und heute von Behutsamkeit kaum noch die Rede sein kann«.
In Ihrer jetzt auch in Buchform erschienenen Dissertation zum Thema »Stadterneuerung der 90er Jahre in Ostberlin« ziehen Sie am Beispiel der fünf Sanierungsgebiete in Prenzlauer Berg ein kritisches Fazit des Erneuerungsprozesses, der im Ostteil der Stadt schon kurz nach der Wende mit dem erklärten Ziel eingeleitet wurde, den gründerzeitlichen Bestand so zu modernisieren, dass er den Anforderungen an zeitgemäßes Wohnen genügt. Wie bewerten Sie die baulichen Resultate dieser Aufwertung?
In den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg mit insgesamt 32.000 Wohnungen und knapp 50.000 Bewohnern ist der Altbaubestand inzwischen zu fast 70 Prozent erneuert worden. Angesichts der Ausgangslage Anfang der 90er Jahre, als in 80 Prozent der Wohnungen noch Kohleöfen standen und es in fast 50 Prozent weder Bad noch Innen-WC gab, ist dies ein deutlicher Fortschritt. Allerdings hat die Stadterneuerung in Ostberlin von Anfang an unter ungünstigeren Rahmenbedingungen stattgefunden als die als »Behutsame Stadterneuerung« bekannt gewordene Sanierung in Westberlin, die in den 80er Jahren weit überwiegend mit staatlichen Mitteln finanziert wurde und daher sozialverträglich gestaltet werden konnte. In den insgesamt 17 Ostberliner Sanierungsgebieten, die der Senat zwischen 1993 und 1995 festlegte, war die Kulisse mit über 80.000 Altbauwohnungen jedoch ungleich größer. Berlin konnte diese Last nicht allein schultern, sondern holte private Investoren ins Boot, die dann schon bald entscheidenden Einfluss gewannen. Im Ergebnis der Rückübertragung zahlreicher zuvor kommunal bewirtschafteter Grundstücke an die Alteigentümer sind mit der Zeit öffentliche Eigentümer aus den Sanierungsgebieten weitgehend verschwunden. Faktisch hat eine Privatisierung der Stadterneuerung stattgefunden.
Was haben Ihre Untersuchungen in Bezug auf die sozialen Effekte dieser Sanierungsstrategie ergeben? Immerhin hatte der Senat ja auch soziale Sanierungsziele formuliert. Vor allem die vorhandene Bevölkerungsstruktur sollte erhalten werden.
Das ist nicht gelungen. Die überwiegend privat finanzierte Modernisierung hat zu Verdrängung geführt. Lag in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg der Altmieteranteil in modernisierten Häusern dank zunächst massiver öffentlicher Förderung 1995 noch bei 60 Prozent, betrug er im Jahr 2000 nur noch 40 Prozent, und 2002, als die Förderprogramme eingestellt wurden, sank er auf 25 Prozent. Die Mobilitätsrate in den Häusern, in denen Privatmodernisierung stattgefunden hat, liegt viermal höher als die ganz normale Fluktuation, die es in innerstädtischen Quartieren gemeinhin gibt. Privatmodernisierung ist eine Mobilitätsschleuder. Weggezogen sind überwiegend Haushalte mit niedrigen Einkommen, und inzwischen wird die Bewohnerstruktur zunehmend von einkommenstärkeren Haushalten geprägt.
Wie manifestiert sich dieser sozialstrukturelle Wandel im Einzelnen?
Die Statistiken lassen im Wesentlichen vier Trends erkennen. Der erste betrifft die Haushaltsstruktur. In den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg besteht die Bewohnerschaft derzeit zu etwa 60 Prozent aus Einpersonenhaushalten. Das ist Spitzenwert in Berlin. 1993 waren es nur 34 Prozent. Entsprechend verringert hat sich die Anzahl von Haushalten mit mehr als zwei Personen, er beträgt nur noch 17 Prozent. Gegenläufig dazu hat der Anteil von Kleinstwohnungen mit nur einem Zimmer abgenommen. Damit ist die frühere Überbelegung deutlich zurückgegangen, und in den Gebieten herrschen heute weitaus großzügigere Wohnverhältnisse. Zweitens hat sich auch die Altersstruktur verändert. War sie Anfang der 90er Jahre noch gemischt, macht die Altersgruppe zwischen 25 und 45 Jahren inzwischen mehr als die Hälfte der Bewohnerschaft aus. Vor allem darauf ist übrigens auch der oft zitierte Babyboom in Prenzlauer Berg zurückzuführen. Ein dritter Trend ist der deutliche Anstieg des Bildungsniveaus. In den letzten 12 bis 13 Jahren hat sich die Anzahl der Gebietsbewohner mit Abitur bzw. Hochschulabschluss jeweils verdoppelt. Wesentliche Ursache dieser an sich positiven Entwicklung ist der vorwiegend sanierungsbedingte Wegzug von Haushalten mit niedrigen Bildungsabschlüssen und der anhaltende Zuzug von Haushalten mit Hochschulreife.
Die Veränderung der Einkommensstruktur ist ein vierter Trend. Galt Prenzlauer Berg zu Beginn der Sanierung als das Armenhaus Ostberlins, liegen die Einkommen in den fünf Sanierungsgebieten heute über dem Berliner Durchschnitt. Allerdings verzeichnen wir eine deutliche Einkommenspolarisierung zwischen den Haushalten in den sanierten Häusern und denen, die im noch unsanierten Bestand leben und aufgrund ihres niedrigen Einkommens im Falle einer Modernisierung ihre bisherige Wohnung womöglich aufgeben müssen.
Welche Rolle spielt in diesem Kontext die anhaltende Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen?
Da die Stadterneuerungspolitik im Ostteil von vornherein auf die massive Beteiligung von Privatkapital ausgerichtet war, hatte man auch den ökonomischen Interessen jener Eigentümer Rechnung zu tragen, die in der Umwandlung und im Verkauf von Mietwohnungen eine Quelle raschen Profits sehen. Denn beim Verkauf, der vielfach an Kapitalanleger erfolgt, werden die Modernisierungsaufwendungen sofort amortisiert, weil sich die Umwandler ihre Umbaupläne von den Erwerbern vorfinanzieren lassen. Meist werden dabei sehr hohe Standards realisiert. Aus Sicht der Mieter ist dies die gefährlichste Strategie, denn ihre Interessen bleiben dabei auf der Strecke.
Was haben aus Ihrer Sicht die Mietobergrenzen bewirkt, mit denen in den Sanierungsgebieten von Prenzlauer Berg im Zeitraum von 1995 bis Ende 2003 die Miete nach privat finanzierter Modernisierung gekappt wurde?
Auch wenn ihre Wirkung zeitlich begrenzt blieb, haben sie die Verdrängungseffekte zumindest abgeschwächt. Das gilt besonders für die Jahre von 1999 bis 2003, als Mietobergrenzen mit fünfjähriger Bindungsfrist galten. Der entsprechende Beschluss der BVV Prenzlauer Berg war 1998 übrigens von den Betroffenenvertretungen initiiert worden. Das von der Eigentümerlobby und auch von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung immer wieder vorgebrachte Argument, Mietobergrenzen seien ein Investitionshemmnis, hat sich als unbegründet erwiesen. Doch da die bezirkliche Sanierungsverwaltungsstelle schon aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage war, die Einhaltung der Mietobergrenzen ausreichend zu kontrollieren, haben nicht wenige Eigentümer die ihnen gebotenen Umgehungsmöglichkeiten genutzt.
2002 stellte Berlin seine Programme zur Förderung der Altbauerneuerung ein. Hinzu kommt nun das im Mai dieses Jahres vom Bundesverwaltungsgericht ausgesprochene Verbot der Mietobergrenzen. Befürchten Sie im letzten Drittel des Sanierungszeitraums eine noch höhere Verdrängungsquote?
Genau dies ist zu befürchten, denn in den noch unsanierten Häusern, die etwa ein Drittel des Bestands ausmachen, konzentrieren sich Haushalte mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Sie sind weder durch Sanierungsförderung noch durch Mietobergrenzen oder durch öffentlich-rechtliche Verträge vor modernisierungsbedingten Mietsteigerungen geschützt. Statt Sonderregelungen des Sanierungsrechts gilt nun allein das allgemeine Mietrecht, wonach elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete umgelegt werden dürfen, und das unbefristet. Schon die Herstellung eines einfachen Standards kann so zur Verdoppelung der Nettokaltmiete führen. Umso erstaunlicher ist es, dass die politische Debatte über die sozialen Aspekte der Stadterneuerung gerade in dieser kritischen Phase abgeflaut ist. Vor allem von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gehen da keinerlei Impulse aus.
Es scheint, als sei neben Sozialplanverfahren und Härtefallregelungen der Abschluss von Verträgen mit Eigentümern auf der Basis absoluter Freiwilligkeit, wie er derzeit vom Bezirksamt Pankow praktiziert wird, die einzige verbliebene Chance, Sanierungsabläufe einigermaßen sozialverträglich zu gestalten. Oder sehen Sie noch andere Möglichkeiten?
Ich denke, dass solche Verträge, so sie denn zustandekommen, für die Mieter positive Effekte hätten. So zum Beispiel, wenn der Bezirk Umsetzwohnungen im Gebiet zur Verfügung stellt, deren Mietpreis gebunden ist und auch die Umzugskosten übernimmt. Vielleicht sollte künftig noch stärker auf das Mietrecht zurückgegriffen werden, das zumindest in Teilen die Mieterpositionen stärkt, so zum Beispiel, was den Umfang von Modernisierungsmaßnahmen sowie Grundrissänderungen betrifft. Ein solches, durch bezirkliche Beratungsangebote unterstütztes Herangehen, mit dem sich erfahrungsgemäß auch vor Gericht Erfolge erstreiten lassen, würde die Bereitschaft von Eigentümern zum Abschluss von Vereinbarungen mit ihren Mietern sicher befördern.
Das Gespräch führte Albrecht Molle.
Veröffentlicht in: VorOrt. Stadterneuerung in Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow. 15 Jg., Dezember 2006, 4-5