Die Veränderungen in Prenzlauer Berg sorgen mal wieder für Streit. Ein Kommentarschlacht unter einem taz-Artikel zeigt, wie eine gehässig vorgetragene Satire über so genannte Macchiato-Mütter eine grundsätzliche Auseinandersetzung um die kulturelle Deutungshoheit im Bezirk auslöst. Im Mittelpunkt der Diskussion mal wieder der angebliche Schwabenhass.
Doch der Reihe nach: Anja Maier, hat ein Buch („Lassen sie mich durch, ich bin Mutter„) geschrieben und die taz hat in einem Vorabdruck einige Passagen veröffentlicht: „Die Weiber denken, sie wären besser“. Wohl selten hat die Ankündigung eines Sachbuches bereits vor erscheinen so kontroverse Debatten ausgelöst. In nur drei Tagen wurden fast 350 Kommentare unter dem taz-Artikel gesetzt. Die Stimmung wirkt emotional aufgeheizt, es wird gepöbelt und beleidigt. Sexistisch, frauenfeindlich, ja sogar faschistisch lauten die Vorwürfe an die Autorin. Das Thema des Beitrages: die Latte-Macchiato-Mütter aus der Perspektive einer Gastwirtin.
Anja Maier hat für das Buch und den Beitrag ein Gespräch mit einer stark in berlinernden Gastwirtin protokolliert, die in relativ deutlichem Unmut über die Gewohnheiten von Müttern mit kleinen Kindern in ihrem Café herzieht. Sie bezeichnet – und ja, dass ist nicht die feine Stube der Konversation – die Mütter dabei konsequent als „Rinder“ und beschwert sich über die zum Stillen der Kinder im Café ausgepackten „Euter“… Kein feiner Ton. Aber als Erklärung für die heftige Kommentarschlacht nicht wirklich ausreichend.
Offensichtlich geht es auch nicht so sehr um die nicht gerade von Frauensolidarität geprägte Darstellung der Mütter im Café, sondern um etwas anderes. Eine Frequenzanalyse der Kommentare verwies auf lediglich vier Kommentare, die den Beitrag als „sexistisch“ bzw. „frauenfeindlich“ kritisierten – 7 mal hingegen wurde der Beitrag als „faschistisch“ bzw. „antisemitisch“ beschreiben. Die Argumentation dahinter: hier würde gegen eine bestimmte Gruppe gehetzt, die als Sündenbock, für was auch immer herhalten muss. Welche Gruppe das sein sollte, wurde zumindest in der Frequenzanalyse schnell deutlich: die Begriffe „Schwabe“ bzw. „schwäbisch“ hatten von allen regionalen, sozialen und kulturellen Gruppenbeschreibungen mit 85 Nennungen die höchste Trefferzahl. Weit abgeschlagen folgen „Wessis“/“Westdeutsche“ (15 Nennungen) und „Ossis“/“Ostdeutsche“ (6 Nennungen).
Die große Frage also, wie kommen die „Schwaben“ in eine Diskussion um einen Artikel über Mütter in einem Café in Prenzlauer Berg? Im Beitrag selbst taucht der Begriff ein einziges mal als Synonym für eine knausrige Konsumkultur auf:
Is doch wirklich wurscht, ob die bei mir einkehren. Die verzehren eh nix. Sind alles Schwaben, die leiden, wenn se mehr als einsfuffzig ausgeben müssen. Manche setzen sich hin, holen ihre Thermoskanne raus und Kekse fürs Kind: Nein danke, für mich nichts. Spinnen die?
Im Text gibt es keine eindeutigen Hinweise auf die vermutete Herkunft der beschriebenen Mütter:
“Ich versteh gar nicht (…) warum die überhaupt hergekommen sind nach Berlin. Sollen die doch zurückgehen, dahin, wo sie herkommen“
„dass alles genau so sein soll, wie sie es von zu Hause kennen aus ihrem Tal.“
Trotzdem wird der Beitrag in vielen Kommentaren als Schwabenhetze eingeordnet. Offensichtlich haben ausgerechnet die Kritiker/innen der Kritik an den Aufwertungsfolgen das Klischee-Bild von den angeblich schwäbischen Gentrifiern stark verinnerlicht und spulen es ab, wann immer die eigenen Lebensentwürfe oder die Verdrängungsprozesse in Prenzlauer Berg thematisiert werden.
Diese Rezeptionsweise von Prenzlauer-Berg-Artikeln hat Formen des Phantomschmerzes. Wann immer einzelne Beobachtungen insbesondere von Alltagspraktiken und Lebensstilen veröffentlichst werden, fühlt sich Kommentatoren aufgerufen im Namen eines imaginäres Kollektiv zu sprechen.
Peter Dausend, Zeit-Korrespondent und Bützowkiezbewohner, hat Ende letzten Jahres mit seiner Kritik an einer Foto-Dokumentation in der GEO im Namen der ganzen Nachbarschaft („ wir Bötzow-Kiez-Bewohner“) gegen angebliche Selbstzweifel polemisiert und sich für das Recht auf Milchschaum vorm Mund stark gemacht.
Auch Peter Praschl, Journalist bei der Süddeutschen und Winsstraßenkiezbewohner, fühlt sich zu einer Reaktion auf den taz-Artikel aufgerufen („Meine Frau. Das Arschloch„) und findet gleich, ganz Prenzlauer Berg sei unter Verdacht, als „Stadtteil ein Schurkenstaat“ zu sein.
Zumindest im Fall der Mütter gibt es keine empirische Basis für die Annahme, damit könne der ganze Prenzlauer Berg gemeint sein. Selbst im kinderreichsten Quartier, dem Bötzowviertel, weisen die Daten gerade einmal 694 Kinder unter 6 Jahren aus. Unter der Annahme, dass sich auch in Prenzlauer Berg die meisten Kinder mit zwei Jahren auf eigenen Füßen bewegen können, sind das also maximal 250 Kinder im Kinderwagenalter. Bei knapp über 6.000 Einwohner/innen kann der Macchiato-Mütter-Anteil demnach bei maximal 4 Prozent liegen. Da gibt es mehr Hartz-IV-Empfänger/innen (6 Prozent) und Ausländer/innen (12 Prozent) – aber wohl niemand würde auf die Idee kommen, einen Bericht über Hartz-IV-Familien oder Migrant/innen in Prenzlauer Berg als umfassendes Stadtteilporträt aufzufassen und sich emotional aufgebracht gegen die Vorurteile auflehnen.
Was mich wirklich interessieren würde: Was ist bei den Berichten, Satiren und Plakaten zu „Schwaben“, zur „Latte-Laptop-Generation“ oder eben den „Macchiato-Mütter“ anders? Wer fühlt sich da warum unter Generalverdacht gestellt?