Berlin: Internet-Unternehmer Samwers steigen ins Immobiliengeschäft ein

Berlin:  Internet-Unternehmer Samwers steigen ins Immobiliengeschäft einDas Manager-Magazin und eine Mietergemeinschaft in Berlin Neukölln berichteten heute über eine bisher unbekannte Geschäftsstrategie der Samwer-Brüder, die bisher vor allem mit ihren Internet-Unternehmungen Schlagzeilen gemacht haben. Statt auf die bisher ausbleibenden Börsengewinnen von Rocket Internet zu hoffen, setzt das Imperium der Samwers nun auch auf gewinnbringende Investitionen im Bereich der Wohnimmobilien. Die Strategie scheint darin zu bestehen, Anteile an Erbengemeinschaften zu erwerben und Teilungsversteigerungen zu erzwingen, die einen preiswerten Kauf der Immobilie ermöglichen.

Das Beispiel Neukölln

Mieter/innen der „Mietergemeinschaft Framstraße | Nansenstraße | Pannierstraße | Pflügerstraße“ wurden bereits vor ein paar Wochen durch die Ankündigung einer Zwangsversteigerung ihrer 17 Häuser aufgeschreckt. Viele der über 300 Mieter/innen fürchteten, dass mit einem Verkauf und einem Eigentümerwechsel auch die Mieten steigen würden.  Nach Berichten der taz präsentierte sich die „Immobilienfirma Dr. Hintze & Co.“ in der Öffentlichkeit als Teil der Erbengemeinschaft und verkündete ihr Kaufinteresse. Gegenüber der Presse wurden Spekulationen über mögliche Verwertungsstrategien zurückgewiesen: „Für die Mieter gibt es keinen Grund zur Beunruhigung, da der jetzige Mehrheitseigentümer ja bestehen bleibt, und natürlich sollen die Mietverhältnisse weitergeführt werden.“ (taz). Während sich die Mieter/innen davon nicht beruhigen ließen und weiter zur geplanten Zwangsversteigerung recherchierten, wirkte die Aussage des Eigentümers zumindest für Teile der Medien überzeugend. Mieter/innen aus dem Haus jedenfalls berichteten, dass die rbb-Abendschau eine bereits geplante Sendung zu den Häusern in Neukölln mit Verweis auf die Pressemitteilung des Eigentümers kurzfristig absagte.

Heute nun teilten die Mieter/innen mit, dass die Brüder Marc, Oliver und Alexander Samwer am Geschäft mit einer für Montag angekündigten Zwangsversteigerung ihrer Häuser beteiligt seien (1). Auf ihrem Blog heißt es:

Über die Firma Verus GmbH sind alle drei Brüder sowie der Münchner Wirtschaftsanwalt Dr. Matthias Mittermeier Miteigner einer der drei Gesellschaften, die bereits 2/3 der Anteile an den Gebäudetrakten im Reuterkiez besitzen. Durch die kommenden Zwangsversteigerungen können die Samwer-Brüder nun auch in den Besitz des noch ausstehenden Drittels kommen.

Sollte der Verkauf wie geplant Zustande kommen, sind die Mieter/innen in Neukölln mit einem für Risiko-Investitionen bekannten Unternehmensgeflecht konfrontiert. Auf der ebenfalls heute tagenden Hauptversammlung von Rocket Internet schwörte CEO Oliver Samwer die Aktionär/innen auf den künftigen Kurs ein: „Alles geht in Richtung Profitabilität.“ (Gründerszene). Dass ein solche Grundverständnis des wirtschaftlichen Agierens auf für Investitionen in den Immobilienmarkt maßgeblich ist, scheint naheliegend und bedeutet für die Mieter/innen nichts Gutes.

Zumindest die Geschichte des bisherigen Erwerbs der Immobilie zeigt, dass die Beteiligten gewillt und in der Lage sind, die legalen Möglichkeiten maximal für die eigenen Interessen zu nutzen. Mirjam Hecking recherchierte für das Manager-Magazin und beschreibt die Vorgehensweise wie folgt:

Bei ihren Akquisitionen auf dem Immobilienmarkt gehen die Samwers und ihre Verbündeten extrem clever vor. Sie kaufen sich zum Teil offenbar in Erbengemeinschaften ein, um – zum Teil über die Erzwingung von Teilungsversteigerungen – Zugriff auf attraktive Immobilien zu bekommen. … Das durch wiederholte Umbenennungen, Umschichtungen und Neugründungen schwer durchschaubare Konstrukt hat für das Trio einen erheblichen Vorteil: Unerkannt und über Mittelsmänner können sie glaubhafter mit Niedrig-Offerten um die Immobilien mitbieten. (Manager-Magazin)

Ob diese Strategie auch in Neukölln aufgeht, wird sich am Montag zeigen. Am 13. Juni um 9:00 Uhr findet die erste der insgesamt vier Zwangsversteigerungen im Amtsgericht Neukölln (Saal 128) statt.

Die Logik der Erbschafts-Investition

Die am Beispiel der Neuköllner Häuser dargestellte Strategie, sich in Erbengemeinschaften einzukaufen um dann eine selbst herbeigeführte Teilungsversteigerung zum Vollerwerb zu nutzen, ist keine Einzelfall. In mindestens zwei weiteren Fällen sollen die Samwers in ähnlicher Konstellation Mietshäuser erworben haben. Da wir bei profitorientierten Akteuren wie den Samwers ein rationale Abwägung der Investitionsstrategien annehmen können, liegt die Frage nahe, warum sie den eher kompliziert klingenden Weg über die Erbengemeinschaft und Zwangsversteigerung gehen, statt wie andere Spekulanten einfach nur die Grundstücke und Wohnhäuser kaufen, wenn sie angeboten werden.

Um zu verstehen was an diesem Modell des Immobilienerwerbs  so „extrem clever“ ist, lohnt sich Blick auf das Wohnungsmarktsegment der Erbengemeinschaften. Ausgangspunkt sind naheliegend Erbschaftsfälle, bei denen der meist private Nachlass unter den Erben aufgeteilt wird. Bei den im Grundbuch mit ihren jeweiligen Anteilen eingetragen Erbengemeinschaften ist in der Regel von privaten Hausbesitzer/innen auszugehen, die einen relativ geringen Professionalisierungsgrad aufweisen (denn sonst wären die Unternehmen im Grundbuch eingetragen, und die Erbfolge würde auf der Ebene der Unternehmensanteil und nicht des Grundbuches ausgetragen werden). Privateigentümer/innen mit einem geringen Professionalisierungsgrad wurden in früheren Wohnungsmarktuntersuchungen gerne als „inaktive Einzeleigentümer/innen“ beschreiben, weil sie anders als profitorientierte Wohnungsunternehmen keine Investition gewinnbringend verwerten wollen, sondern aus einem bestehenden Vermögen eine langfristige und angemessene Verzinsung erwarten. Entsprechend ist die Neigung zu umfassenden und kapitalintensiven Investitionen eher gering und die Gebäude weisen oft einen einfachen Standard auf. In Wohnhäusern mit einfacher Ausstattung und ohne Investitionsdruck sind die Mieten meist günstig. In den Neuköllner Beispielhäusern liegt der durchschnittliche Mietpreis mit 4,20 Euro/qm etwa ein Drittel unter dem Mietspiegeldurchschnitt in Berlin.

Für eine immobilienwirtschaftliche Verwertungsstrategie bieten sich solche Häuser in besonderer Weise an, weil die Lücke zwischen den momentanen Erträgen und den potentiellen Einnahmen besonders groß ist. Günstig erworbene Erbschaftshäuser mit geringen Mieten bieten das volle Programm:

Je geringer die Miete, desto höher Spielräume für mögliche Mieterhöhungen. Je einfacher der Standard, desto größer die Spielräume für modernisierungsbedingte Mietsteigerungen. Je geringer der Kaufpreis, desto höher der Gewinn bei einer möglichen Umwandlung in Eigentumswohnungen.

Der Erwerb von Anteilen einer Erbengemeinschaft bietet aber noch weitere Vorteile. Da es für den Verkauf von Erbschaftsanteilen keinen etablierten Markt gibt, erfolgen die Käufe in der Regel durch ein proaktives Angebot durch die Erwerber/innen. Ohne eine Konkurrenz von Mitbewerber/innen verfügen diese über das Preisbildungsmonopol und werden die Anteile nur erwerben, wenn es wirklich günstig ist.

Letztendlich wird also das Geschäftsmodell von Rocket Internet auf den Wohnungsmarkt übertragen: Günstiger Erwerb von Anteilen in Projekten mit einem hohen Entwicklungspotential. Die Ertragsaussichten der Immobilienspekulation können mit den Investitionen in Internetprojekten nicht mithalten, dafür ist das Risiko deutlich geringer. Im Fall der erfolgreich provozierten Teilungsversteigerung sind Verluste sogar weitgehend ausgeschlossen. Läuft die Versteigerung wie gewünscht, erfolgt der Vollerwerb der Immobilie zu Konditionen unterhalb des Marktpreises. Erfolgt der Verkauf an höherbietende Konkurrent/innen können die Investor/innen mit einem Verkaufsanteil rechnen, der deutlich über den Erwerbskosten des Erbschaftsanteils liegt. Aus Sicht der Investor/innen eine win-win-Situation: Egal also, wie die Zwangsversteigerung verläuft, die Investition in die Anteile der Erbengemeinschaft wird sich lohnen.

Ganz anders stellt sich die Situation für die Mieter/innen dar. Sie können eigentlich nur verlieren. Gelingt den Erbschaftsinvestor/innen der Vollerwerb, werden die Mieter/innen zum Spielball der Renditeerwartungen. Erfolgt der Verkauf an ein anderes Gebot zu einem höheren Preis, werden auch diese Käufer/innen versuchen, den Kaufpreis durch Mieteinnahmen oder den Verkauf von Eigentumswohnungen zu refinanzieren.

Der durch den gezielten Einstieg in die Erbengemeinschaft ausgelöste Verkauf durch die Zwangsversteigerung beendet die sozialen Langfristeffekte der Immobilienbewirtschaftung und unterwirft die zinstragende Wertanlage den Verwertungslogiken einer Investition. Während die Erben sich mit den kontinuierlichen Mieterträgen auf dem bisherigen Niveau zufrieden geben könnten, muss sich jede neue Investition amortisieren und die gewünschte Rendite erbringen. Mit der Strategie des Ankaufs von Erbschaftsanteilen verändert sich auch der Charakter der Zwangsversteigerung selbst. Eigentlich ein Instrument um gescheiterte Geschäftsmodelle zu beenden wird sie in der Gestalt der Teilungsversteigerung zum Ausgangspunkt eines neuen Verwertungszyklus.



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