Berlin: Armut an den Rand gedrängt

Berliner Banleiu-Baromter in der Morgenpost

Berliner Banlieus-Baromter in der Morgenpost

Die Tageszeitung Neues Deutschland hat mich zu meiner Einschätzung des kürzlich veröffentlichten Monitoring Soziale Stadtentwicklung. Neben einem Vorabbericht “Stadtforscher warnt vor Banlieues in Berlin” veröffentlichte das Neue Deutschland das Interview “Innenstadt wird Hartz IV-frei“.  Die Warnung vor einer zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung wurde von verschiedenen anderen Medien aufgegriffen:

  • Berliner Morgenpost: “Stadtforscher warnt: Berlin drohen Banlieues wie in Paris“
  • tageszeitung (taz): “Stadtforscher warnt vor Banlieues
  • Kölner Stadt Anzeiger: “Soziologe: Mieten öffentlicher Wohnungen festschreiben“
Interview im ND vom 04.04.2016 Innenstadt wird Hartz IV-frei. Stadtsoziologe Andrej Holm im Interview zum »Monitoring Soziale Stadtentwicklung« Die Kurzfassung des Sozialstrukturatlas 2015 ist soeben erschienen. Was ist ihr erster Eindruck, Herr Holm? Der Bericht zeigt sowohl in einzelnen Nachbarschaften als auch stadtweit, dass sich Berlin sozial entmischt. Im Vergleich zu früheren Zahlen zeigt sich ein deutlicher Rückgang der Armutsindikatoren in Neukölln, Kreuzberg, Wedding und Moabit, die jahrzehntelang als soziale Problemgebiete galten. Gemeinsam ist diesen Gebieten, dass dort die Mieten extrem stark gestiegen sind. Wenn wir in die West-Berliner Außenbezirke und nach Lichtenberg schauen, wird deutlich, dass die Armut nicht verschwunden ist, sondern innerhalb der Stadt verschoben wurde. Der Tenor liest sich doch eigentlich positiv. Die Zahl der Arbeitslosen ist gesunken, statt 51 gibt es nur noch 43 Gebiete, in denen sich soziale Problemlagen kumulieren. Allerdings ist die Zahl der Empfänger sozialer Transferleistungen unverändert hoch. Es ist nicht direkt aus den Zahlen herauszulesen, aber eine berechtigte Annahme, dass sich die Problemlagen in diesen »Gebieten mit besonderem Aufmerksamkeitsbedarf« noch stärker konzentrieren. Wenn man sich die Gebiete anschaut, sieht man, dass viele Großsiedlungen darunter sind. Es entwickelt sich eine ziemlich klassische Konzentration von Armen in Großsiedlungen am Stadtrand, die wir bisher vor allem aus anderen Städten wie Paris kannten. Letztendlich ist das die stadträumliche Quittung für 10 Jahre Gentrification in Berlin. Ist damit die für Berlin typische Mischung von Menschen verschiedener Einkommensklassen ein Auslaufmodell? Wenn die Wohnungspolitik wie bisher weitergeführt wird, dann ja. Es gibt für die vielen armen Haushalte in Berlin einfach nicht genügend leistbare Wohnungen. Bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften liegt die Fluktuation bei unter 20 000 Haushalten pro Jahr. und auch den Genossenschaften werden pro Jahr nur ein paar tausend Wohnungen vermietet. Haben Menschen mit niedrigem Einkommen überhaupt noch die Möglichkeit, umzuziehen? Bisher war der Leerstand in den Großsiedlungen ein Puffer, der nun aufgebraucht ist. Große Teile der Stadt haben sich zu Hartz-IV-freien Zonen entwickelt. Die Menschen sparen häufig an anderer Stelle, um in der bisherigen Wohnung zu bleiben. Die Kinder können zum Beispiel nicht mehr ins Kino gehen oder der Urlaub wird gestrichen. Oder es ziehen weitere Verwandte ein. Solche Überbelegungen sind vor allem in der Innenstadt zu beobachten. Manche vermieten Zimmer unter, auch als Ferienapartment. Andererseits gibt es auch unterbelegte Wohnungen. Die sehr hohen Neuvermietungsmieten, die verlangt werden, führen zu einer völligen Dysfunktion des Marktes. Er zeigt sich in einer angespannten Lage nicht als Verteilungsinstrument geeignet. Große Wohnungen erlauben den Menschen aber auch mehr Kompensationsmöglichkeiten, wie durch Untervermietung. Was müsste der Senat tun? Er muss alles dafür tun, die 120 000 bestehenden Sozialwohnungen in den Bindungen zu halten. Es wird immer argumentiert, dass das zu teuer wäre. Im Vergleich zu neuen Sozialwohnungen bleibt der Erhalt der alten immer noch billiger, trotz der hohen Kosten, die durch die absurde Wohnungsbauförderung der Vergangenheit entstanden sind. Ohne diesen Schritt kann die Entwicklung nicht aufgehalten werden. Es ist ein Skandal, dass gerade in der Innenstadt Wohnungen schnell aus der Bindung entlassen worden sind. Aber auch stadtweit hinkt der Neubau den Verlusten hinterher und es werden pro Jahr in Größenordnungen mehr Bindungen aufgegeben als durch die neuen Förderprogramme hinzu kommen. Der Neubau von Wohnungen ist keine Hilfe? Der überwiegend private Neubau schafft keine preiswerten Wohnungen. Wegen der stark gestiegenen Grundstückspreise können auch soziale Vermieter keine Alternativen bieten. Die meisten Neubauwohnungen erzeugen momentan im Ergebnis zwei teure Wohnungen, weil bei der Neuvermietung auch im freiwerdenden Altbau die Miete extrem steigt. Was können die Wohnungsbaugesellschaften tun? Ein erster Schritt wäre ein komplettes Mietmoratorium für die 300 000 öffentlichen Wohnungen, das Erhöhungen sowohl bei Bestandsmietern als auch bei Neuvermietung ausschließt. Eine Stadt mit einem so großen Versorgungsproblem für arme Mieter müsste mit gutem Beispiel voran gehen und sagen: »Hier werden keine Mieten erhöht.« Bisher wird eine soziale Vermietungspolitik nicht als zentrale Aufgabe wahrgenommen. Was könnte bei den Altbauten in privater Hand gemacht werden? Kurzfristig könnte ein Anti-Spekulations-Fonds helfen, mit dem die Stadt Häuser mit offensichtlichen Entmietungsstrategien aufkaufen kann. Auf lange Sicht kann eine soziale Wohnungsversorgung jedoch nur mit einer Einschränkung der Immobilienverwertung gelingen. Eine Erhöhung der Grunderwerbssteuer könnte den schnellen Weiterverkauf bremsen. Die Erfahrung zeigt, dass der Verdrängungsprozess fast immer mit einem Eigentümerwechsel beginnt. Doch eine solche Einschränkung der Ertragsaussichten für Investitionen steht dem ehrgeizigen Wohnungsbauprogramm entgegen, zumindest solange die Politik weiterhin auf den Wohnungsbau durch Private setzt. Die Berliner Politik versucht immer am Ende der Verwertungsketten eine Regulierung hinzubekommen, gehen aber nie an Ursachen heran.

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