Berlin: Hauswächter statt Hausbesetzer

Immer wieder dieser Leerstand. Alte Häuser, geschlossenen Schulen, ehemalige Krankenhäuser. Weil es mit der Anschlussverwertung nicht immer klappt, stehende hunderte Gebäude in der Stadt leer. Früher gab es dafür eine Lösung: Hausbesetzung. Berlin die Stadt der Hausbesetzer. Das war einmal. Der Trend heute geht zum Hauswächter.

Die Morgenpost beschriebt das in Deutschland relativ neue Phänomen: So wohnen Sie in einem Berliner Klassenzimmer für 180 Euro. Der Bericht beschriebt an mehreren Beispielen in Berlin die Strategie der holländische Firma Camelot. Mit zeitlich befristeten Verträgen werden Räume in den leerstehenden Immobilien an Nutzer/innen gegeben, die dort nicht nur preiswert wohnen können, sondern mit ihrer Anwesenheit den Wachschutz überflüssig machen:

Hauswächter sind Bewohner auf Zeit. (…) Bewachung durch Bewohnung heißt die Formel, um leer stehende Immobilien vor Verfall und Vandalismus zu schützen. Und Menschen mit einem Sinn für alternative Wohnformen ein ganz besonderes Zuhause beschert.

Statt vergitterter Fester und Spezialtechnik setzt die Firma Camelot mit den Hauswächtern auf menschliche Schutzschilder. In den Niederlanden hat sich das Konzept seit Ende der 1990er Jahre bereits durchgesetzt: Hauswächter statt Hausbesetzer. In Berlin – nach Angaben der Morgenpost mit zurzeit über 100 Hauswächtern –  hat es etwas länger gebraucht, bis das Konzept angenommen wurde. Der Hintergrund sind mal wieder die steigenden Mieten. erst durch die drastisch gestiegenen Wohnkosten sind einzelne Bereit befristete und in der Wohnsicherheit prekäre Wohnkonditionen zu akzeptieren.

Dass der Morgenpostartikel die Effekte der Wohnungsnot in eine hippe Life-Style-Angelegenheit umdeutet, passt irgendwie in Bild der fortschreitenden Depolitisisierung der Stadtpolitik. Wenn alles so schön bunt ist, brauchen wir über Verwertungsstrategien und Bewirtschaftungskalküle nicht mehr diskuitieren.

Ebenfalls in der Morgenpost gibt es auch ein kleines Interview mit mir: “Die Zwischennutzung kann ganze Quartiere aufwerten“.

 

“Die Zwischennutzung kann ganze Quartiere aufwerten“

Berlin war schon immer ein Labor für alternative Wohnformen. Andrej Holm, Stadt- und Regionalsoziologe an der Humboldt-Universität, erklärt, warum.

Berliner Morgenpost: In den 80er- Jahren galt Berlin als Hauptstadt der Hausbesetzer. Heute ist sie die Hauptstadt der Hauswächter. Ist das ein Zufall?

 Andrej Holm: Nein, so ein Modell setzt ja Leerstand voraus. Deshalb finden wir Zwischennutzungen vor allem dort, wo es infolge einer massiven Deindustrialisierung viele leer stehende Gebäude und Brachen gibt. In dicht bebauten Städten wie Frankfurt, München oder Stuttgart wäre das nicht möglich.

Von Hausbesetzern zu Hauswächtern: Würden Sie als Soziologe von einer Trendwende sprechen?

 Nein, das sind zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Hauswächter werden von den Eigentümern gewünscht und von der Politik gefördert. Hausbesetzer wurden in Berlin stets kriminalisiert. Seit den Häuserkämpfen Anfang der 90er- Jahre gibt es in Berlin mit ganz wenigen Ausnahmen keine erfolgreichen Hausbesetzungen mehr.

Was haben die einen mit den anderen gemein?

Beide akzeptieren eine improvisierte Wohnsituation und lassen sich auf experimentelle Wohnformen ein. Aber bedeutsamer erscheinen mir die Unterschiede: Besetzungen schränken die Verwertung von Immobilien ein und werden von Eigentümern gefürchtet, während eine Zwischennutzung durch Hauswächter den Wert einer Immobilie sichern oder steigern soll.

Dann war der Kampf der Hausbesetzer in West und Ost umsonst?

Nein, es gibt ja aus beiden Phasen immer noch eine große Anzahl von Hausprojekten. Trotz der Aufwertungstendenzen in den Innenstadtbezirken kann man in vielen ehemals besetzten Häuser auch heute noch preiswert wohnen. Und einige Häuser übernehmen wichtige soziokulturelle Funktionen in den Bezirken. Nehmen Sie zum Beispiel das Frauenzentrum in der Schokofabrik in Kreuzberg.

Früher als andere Städte hat Berlin Industriebrachen an Zwischennutzer vermietet. Ein Konzept, das sich bewährt hat?

Viele Künstler würden die Frage sicher bejahen. Sie sind auf günstige Arbeitsräume angewiesen. Die Eigentümer haben etwas länger gebraucht, die Zwischennutzung als Instrument zur Wertsteigerung anzuerkennen. Und die Stadt verspricht sich von der Zwischennutzung positive Impulse fürs Standortmarketing: Berlin als kreative Metropole und Tourismusstadt.

Waren die Zwischennutzungen Fluch oder Segen für die Stadtentwicklung?

In Gebieten wie Neukölln waren Zwischennutzungen ein wesentlicher Motor für die Ansiedlung neuer Gewerbe und haben die Aufwertung tatsächlich beschleunigt. In der Folge sind die Mieten gestiegen. Das freut die Eigentümer, aber die Verlierer dieser Entwicklung mussten wegziehen. Die Beurteilung hängt also von der Perspektive ab.

Stichwort: Gentrifizierung. Fördern Zwischennutzungen durch Künstler oder neuerdings auch durch Hauswächter nicht noch die Teilung in arme und reiche Wohngegenden?

Da gibt es keinen ursächlichen Zusammenhang. Aufwertung und Verdrängung gibt es auch ohne Kunst und Zwischennutzung. Und das Kalkül der Zwischennutzung geht auch nicht überall auf. Das zeigt das Beispiel der Kolonie Wedding, wo die Degewo als städtisches Wohnungsbauunternehmen Ateliers an Künstler vergibt. Die erwartete Aufwertung des Quartiers lässt bis heute auf sich warten.

Was sagt es über das urbane Lebensgefühl aus, dass leer stehende Gebäude jetzt nicht nur als Arbeits-, sondern auch als Wohnraum genutzt werden?

Wir beobachten, dass der Anteil junger und hoch qualifizierter Menschen in den Städten wächst. Sie ziehen nur für ein bestimmtes Projekt in die Stadt und können sich nicht dauerhaft binden, weil ihr Job eine hohe Mobilität erfordert. Für sie ist so ein Angebot geeignet, auch wenn die Bedingungen auf dem regulären Markt inakzeptabel sind. Wer würde denn schon eine Wohnung mieten, die er unter Umständen nach sechs Wochen wieder verlassen muss?

Sind die Hauswächter die Spitze des Trends: Umziehen mit leichtem Gepäck, heute hier, morgen da?

Der Flexibilisierungsdruck in der Gesellschaft wird zwar zunehmen, und die Gruppe der hoch qualifizierten Berufsanfänger wächst. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist sie aber relativ klein. Das Gros der Bewohner wünscht sich auch in Zukunft stabile Wohnverhältnisse.

 



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