Berlin: Die Macht der Eigentümer-Lobby

Die Unabhängigkeit von Gerichten und Politik gilt gemeinhin als wichtige Voraussetzung für die Herausbildung und den Fortbestand eines demokratischen Gemeinwesens. Interessengeleitete Gerichtsurteile und die allzu offene Einflussnahme von Lobby-Gruppen werden in den Berichterstattungen über Russland, die Ukraine oder irgendwelche Regime im Nahen Osten völlig zu Recht kritisiert – doch es gibt keinen Grund für eine demokratische Hochnäsigkeit. Auch in der Bundesrepublik Deutschland  versteht es beispielsweise die Lobby die Eigentümer/innen immer wieder, ihre Wünsche und Forderungen am meinungsbildenenden Prozess vorbei in Gesetzen und Gerichten durchzusetzen.

So rühmt sich aktuell der stellvertretende Generalsekretär des Eigentümerverbandes Haus & Grund für die erfolgreiche Lobby-Arbeit am gerade beschlossenen Mietrechtsänderungsgesetz (ARD: “Sieg für die Vermieterlobby“) und in Berlin entscheidet ausgerechnet eine regelmäßige Referentin von Immobilienverbänden als Richterin am Landgericht über strittige Mietrechtsfragen (Mieterecho: “Abseits vom Richtertisch“).

Der  Einfluss der Eigentümer -Lobby auf das Mietrecht 

Immobilienwirtschaftliche Verwertungsinteressen und Mieterinteressen nach guten Wohnungen zu angemessenen Preisen geraten immer wieder in Konflikt, kein Wunder, haben wir es hier ja auch mit einem strukturellen Widerspruch zu tun, bei dem der Vorteil der einen Seite unmittelbar die Zufriedenheit der anderen Seite schmälert. Im internationalen Vergleich gilt das deutsche Mietrecht als ein sehr weitgehendes Instrument zum Schutz der Mieter/innen. Doch jedes Gesetz ist nur soviel wert, wie seine Reformen und seine tatsächliche Praxis. Auf beiden Ebenen (Gesetzgebung und Rechtspraxis)  ist ein erheblicher Einfluss der Eigentümer-Lobby zu verzeichnen.

Beispiel Gesetzgebung: Das Ende April beschlossene “Mietrechtsänderungsgesetz” wird u.a. Zwangsräumungen erheblich vereinfachen und Mieter/innen können künftig ohne Gerichtsurteile auf der Basis von einstweiligen Verfügungen aus ihren Wohnungen geräumt werden. Das “Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln” (so der etwas sperrige Titel des Mietrechtsänderungsgesetzes) sieht neben einer Reihe von anderen Benachteiligungen von Mieter/innen auch eine Erleichterung von Zwangsräumungen vor. Unter bestimmten Voraussetzungen können Eigentümer/innen ihre Mieter/innen nun mit einer einstweiligen Verfügung – also noch vor dem Gerichtstermin zur Streitsache – aus der Wohnung räumen lassen. Selbst im Falle eines gerichtlichen Erfolges dürften unter diesen Voraussetzungen die wenigsten Mieter/innen in ihre zwangsgeräumten Wohnungen zurückkehren können.

Die entsprechenden Passagen des Gesetzes sind Ergebnis einer langjährigen Propagandaschlacht von Eigentümerverbänden, die keine Gelegenheit ausgelassen haben, die Angst vor den “Mietnomaden” zu schüren. Report Mainz (“Zwangsräumung leichtgemacht”) unterstellt sogar eine direkte Einflussnahme der Eigentümer-Lobby auf den jetzt verabschiedeten Gesetzestext:

 In der „Haus-und-Grund“-Zeitschrift heißt es, das Gesetz gehe auf die eigene erfolgreiche Lobbyarbeit zurück. Stolz vermeldete Haus und Grund: „Wenn es so beschlossen wird, ist es unser Gesetz, sagte Warnecke.“ Und er ist der stellvertretende Generalsekretär des Verbands.

Beispiel Landgericht Berlin: Die seit Jahren schikanierten Mieter/innen der Calvinstr. 21 in Berlin Moabit stehen nach sechs erfolgreichen Amtgerichtsentscheidungen am 7. Mai 2013 vor dem Landgericht Berlin und befürchten einen juristischen Rückschlag, denn die zuständige Richterin Paschke gilt als eigentümerfreundlich und ist über regelmäßige Seminare und Vorträge mit den Eigentümerverbänden verbandelt. Selbst der ansonsten in wohnungspolitischen Fragen eher zahme Tagesspiegel fragt:

Ein Fall von Befangenheit? Sie schreibt für eine Grundeigentümerzeitschrift und gibt Vermietern Seminare. Deshalb ist die Richterin Regine Paschke umstritten: Sie sitzt einer Mietberufungskammer vor.

Einen Einblick in die aktuellen Geschehnisse rund um die Calvinstraße 21 bietet die kürzlich ausgestrahlte Talkshow von Maybrit Illner: “Mieter, Makler, Spekulanten – Wird Wohnen unbezahlbar?“

 

Die Frage der Befangenheit würde ich gern auf den Bereich der politischen Entscheidungsträger/innen erweitert wissen: Wenn wir von strukturellen Interessenskonflikten zwischen Eigentümer/innen und Mieter/innen ausgehen, wer kann da unabhängig und frei von eigenen Interessen über Mietrechtsfragen entscheiden? Die Bundestagsabgeordneten müssen sich seit ein paar Jahren den gewachsenen Transparenzkriterien unterwerfen und beispielsweise biografische Eckdaten, Ausbildungsabschlüsse und Nebeneinkünfte offenlegen. Wie viele der Abgeordneten und Ausschussmitglieder Mieter/innen und wie viele Eigentümer/innen sind, ist leider nicht bekannt.  Ebenso wenig wissen wir, wie hoch der Eigentümer-Anteil von Richter/innen ist. Zumindest all jene, die regelmäßig über Mietfragen zu entscheiden haben, sollten diese Informationen offenlegen.

 



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