Berichte aus Detroit oder Ein neoliberaler Tacitus

 

Kurzer Blick ins ARD-Morgenmagazin. Bericht aus Detroit. Eine abgerissene, eine verwahrloste Stadt, eine Skyline der Zerrüttung. Obama hat, anders als es sein Vize als Wahlslogan verkündete, diese Stadt doch nicht retten können, heißt es im Bericht. Arbeitsplätze sind hier Mangelware, schön anzusehende Häuserfassaden wohl auch. Dorthin schickt man Reporter, denn zwischen eingeworfenen Scheiben und Bauten im Brutalismus gibt es immer etwas zu berichten. Erst fährt der Mann durch eben diese verlotterten Häuserschluchten, nennt die eingefangenen Ruinen Detroit, als gäbe es nicht das andere Detroit, als gäbe dort keine Stadtteile, in denen der Reichtum residiert, dann widmet er sich der Armut und ihrer Fürsorge, die nicht staatlich organisiert ist, sondern auf christliche Nächstenliebe gründet.

Als der Reporter eine Ehrenamtliche aus einer Suppenküche befragt, was die von staatlicher Hilfe halte, erklärt sie argumentativ, sie halte wenig davon, weil dann die Armen gar nichts mehr arbeiten wollten, sich nur noch ausruhten. Der Fragensteller ist, so sein Orginalton, "tief beeindruckt" von dieser Einstellung, von diesem urwüchsigen Pragmatismus. Obschon des Elends, trotz schwieriger Lage und übersichtlicher Zukunftsaussichten, schreien da Menschen nicht nach dem Sozialstaat, sondern engagieren sich zivilgesellschaftlich. Einige weitere Ehrenamtliche und Wohltätige äußerten sich gegenüber dem Reporter ähnlich. Der ARD-Mann findet das jedesmal imposant.
Wie gesagt, ein kurzer Blick nur. War ja auch nur ein kurzer Bericht. Gedankenschwanger wiederholte der Reporter mehrmals, dass "nach dem Staat [...] nicht gerufen" wird. Der Staat, der Staat ... als sei das der große Moloch, der absahnt, der es sich einschiebt und nichts als Ärger und Ungerechtigkeit dafür entrichtet. Da präsentiert man Detroiter Stadtteile, die total abgerissen sind, suggeriert indirekt, dass das auch eine Leistung staatlicher Intervention sein könnte und schiebt das schlüssige Urteil gleich nach: Kein Staat bitte! Es geht besser ohne!
Es war nur ein kurzer Bericht. Warum auch immer, mit welcher Stoßrichtung, kann allerdings bloß schwer erläutert werden. In einem Verbund mit anderen thematisch passenden Reportagen stand das Stück jedenfalls nicht. Wohl ein Funken Erbauungsjournalismus für den Anti-Etatismus marktradikaler Seelenhirten. So lose und zusammenhanglos ausgestrahlt und doch ein Bekenntnis zur Suppenküche, ein Lob auf eine Gesellschaft, die Hilfe austeilen kann - Betonung auf Kann. Denn Rechtsansprüche sind Verpflichtung, Charity ist Möglichkeit, die man einhalten kann, wenn einem die Laune gerade mal danach ist als wohlständiger Mensch. Es war ein Bekenntnis zur Suppenküchengenerosität, das man untermauert mit betenden und Gott preisenden Freiwilligen, die Staat und Kommuismus begrifflich gleichsetzen und die Weisheiten schwafeln wie jene, dass das private Engagement alles besser regeln würde.
Und überall Optimismus in diesem ramponierten Detroit, es stinkt an allen Ecken nach Zuversicht und besserer Zukunft. Denn der Staat, der sich raushält, er macht Hoffnung. Darüber kann man ja durchaus berichten, über Mentalitäten kann man sprechen. Warum man davon aber "tief beeindruckt" sein will, ist jedoch schon spannend. Und warum kein Reporter beispielsweise von der traditionellen Hilfsbereitschaft innerhalb islamischer Gesellschaft beeindruckt ist, erklärt das auch nicht.
Fast möchte man auch an Tacitus denken, wie er die Germanen idealisierte, um sie der römischen Dekadenz als Typus Mensch vor Augen halten zu können, der so viel besser und lebenstüchtiger sei. Der ARD-Tacitus hält uns Armut ohne nennenswerte Rechtsansprüche vor die Nase, zeigt uns die edle Hilfsbereitschaft besserer Menschen auf, sagt indirekt, dass uns das als Beispiel dienen kann. Während wir hier spätrömisch und dekadent Gelage fordern, sehen wir den Ausweg nicht, den man in Detroit bereits zu kennen scheint.


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