Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit - Buchtipp (noch LiteraTour Nord 2016-17)

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit - Buchtipp (noch LiteraTour Nord 2016-17)

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Dieses hochgelobte Buch gefällt mir nicht, ehrlich gesagt. Ich kann gar nicht einmal genau sagen, warum.Vielleicht, weil es so von Lebenserfahrung gesättigt scheint - aber der Autor ist noch jung, 1984 in München geboren. (Bei seinem Debütroman "Becks letzter Sommer", 2008, wurde er als eine Art literarisches Wunderkind gefeiert.) Wahrscheinlich ist das überhaupt der Punkt: der Altersunterschied zwischen mir, dem Leser, und dem Autor ist einfach zu groß. Oder sind es die vielen Unwahrscheinlichkeiten, von denen dieser Roman geprägt wird, die mich stören?
Der Titel ist gut, weil er zu Fragen anregt, die nicht vollständig beantwortet werden (können). Wann oder wodurch endet die Einsamkeit in einem Lebenslauf? (Durch Heirat und Kinder oder gerade dann nicht?) Wie unterschiedlich ist das und warum?

Jules (der Ich-Erzähler) und seine beiden Geschwister Marty und Liz sind grundverschieden, aber ein einschneidendes Ereignis während der Kindheit wird ihr weiteres Leben prägen: Sie verlieren ihre Eltern durch einen Autounfall. Die Kinder kommen auf ein Internat, werden aber getrennt gehalten. Die Trauer um die Eltern verbindet sie, doch driften sie ansonsten mehr und mehr auseinander. Der eher introvertierte Jules träumt vom Schreiben und verliebt sich in die rothaarige Mitschülerin Alva. Dass ihm sein Vater, der als Fotograf gearbeitet hatte, kurz vor dem Tod eine Kamera schenkte, sieht er als Verpflichtung, auch diesen Beruf zu ergreifen, doch bleibt er erfolglos. Marty, der einzelgängerische Streber, wird hingegen zu einem erfolgreichen Manager. Seine seelischen Unebenheiten verschleiert er mit klaustrophobischen Ticks. Liz wiederum droht völlig abzusacken, dem Erwachsenwerden begegnet sie mit Alkohol und anderen Drogen. Sie heiratet überstürzt und fängt sich erst spät, ohne ihr abweichendes Eigenleben aufzugeben. Jules begegnet Alva wieder, sie scheinen eine zweite Chance zu bekommen. Doch ist Alva mit dem deutlich älteren Schriftsteller Alexander Nikolaj Romanow verheiratet - der sich, als er todkrank ist, zu einem väterlichen Freund von Jules (und Alva) entwickelt. Jules wird in Zukunft als Schriftsteller arbeiten, die Begegnung mit Romanow, dessen erste Förderung haben ihm zur Klarheit der Entscheidung verholfen.

Gibt es einen Wesenskern in jedem Menschen, der bleibt, durch alle Höhen und Tiefen hindurch? Das ist die grundlegende Fragestellung, mit der sich Benedict Wells in diesem Roman beschäftigt. Wenn ja, werden wir es erst spät erkennen. Schon früh äußert sich seine Hauptfigur: "Das hier ist alles wie eine Saat. Das Internat, die Schule, was mit meinen Eltern passiert ist. Das alles wird in mir gesät, aber ich kann nicht sehen, was es aus mir macht. Erst wenn ich ein Erwachsener bin, kommt die Ernte, und dann ist es zu spät." Viel später fragt Jules Alva: "Was wäre das Unveränderliche in dir? Das, was in jedem Leben gleich geblieben wäre, egal, welchen Verlauf es genommen hätte?" Hier bekommt der Roman eine Tiefe, die ich - bei der leichtfüßigen Erzählweise - nicht erwartet hätte. Umgekehrt gesehen: Es ist erstaunlich, wie es dem Autor gelingt, die tiefe philosophische Fragestellung in eine locker erzählte Geschichte zu verpacken.

Der Roman hat letztlich doch einen guten Nachklang hinterlassen - ich habe es erst spät bemerkt -, weil er zugleich unterhält und zum Nachdenken anregt.

Benedict Wells: Vom Ende der Einsamkeit. Roman. Diogenes: Zürich 2016.

Text der Besprechung: Dr. Helge Mücke, Hannover; Abbildung: Titelgestaltung des Verlages.

Benedict Wells: Ende Einsamkeit Buchtipp (noch LiteraTour Nord 2016-17)

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