"Hinter Sibirien", von Katerina Polodjan und Henning Fritsch - ein Buchtipp

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Hinter Sibirien oder Hintersibirien? Sie fliegen acht Stunden nach Osten, landen in Wladiwostok und sind immer noch in Russland. Von dort kommt Katerina Poladjan (die seit ihrer Kindheit in Deutschland lebt), mit ihrem deutschstämmigen Mann reist sie in ihre "Urheimat". Beide arbeiten sonst (auch) als Schriftsteller, ein glücklicher Umstand: Sie berichten hier im Wechsel, das macht den Text lebendiger. „Hinter Sibirien“ wirkt wie ein locker geschriebenes, unterhaltsames Gegenstück zu den Büchern von Swetlana Alexijewitsch, vor allem „Secondhand-Zeit“ (s. Die Drei 12, 2013). Bei mehr oder weniger dokumentarischen Büchern ist oft die Danksagung aufschlussreich, so auch hier: Die Reise nach Hintersibirien haben wir wahrscheinlich wirklich unternommen“, heißt es darin, „denn ganz real und greifbar ist uns die warme Erinnerung an die Begegnungen, die Gastfreundschaft, Hilfsbereitschaft und Offenheit, ohne die dieses Buch nicht möglich gewesen wäre.“ Entsprechend bilden die menschlichen Begegnungen das Grundgerüst dieses Reiseberichts.  Bei einigen hat Katerina Poladjan den Anstoß gegeben, die persönliche Geschichte zu erzählen - Henning Fritsch, der die russische Sprache noch nicht ausreichend gelernt hat, ist darauf angewiesen, dass höfliche Gastgeber sie mit Englisch oder Deutsch sprechenden oder aus Deutschland stammenden Menschen bekannt machen.

Die Reise führt von Wladiwostok nach Chabarowsk, Blagoweschtschensk, Tschita bis Ulan-Ude und an den Baikalsee. (Auf den Vorsatzblättern vorne und hinten ist eine Kartenskizze mit Reiseroute abgedruckt.) Transportmittel zwischendurch ist die Transsibirische Eisenbahn.
In Wladiwostok hat Katerinas Großmutter Ljudmila gelebt; im Anblick der – marode gewordenen - Holzhäuser, in denen es gewesen sein könnte, ruft Katerina sie an. Die Großmutter möchte, dass sie an eine der Türen klopfen und fragen, ob sich jemand an ihre Familie erinnert, aber es ist zu spät am Abend. Mit einigen Businessmen treffen sie sich im Anticafé und gehen zusammen in ein nordkoreanisches Restaurant. Artjom, dessen Vater die jährlichen internationalen Filmfestspiele in Wladiwostok leitet, meint, die Situation in Russland sei ja nicht die beste, „eine Tragödie. Eine Katastrophe. Kunst ist wichtig. Kunst ist pluralistisch.“ Für die Avantgarde sei die Zeit gut, „Lichtstrahlen im finsteren Reich“.

Mit einigen weiteren Beispielen möchte ich zur Lektüre des ganzen Berichts anregen. Nachrichten vom Umbruch in der ehemaligen Sowjetunion können wir immer noch nicht genug bekommen:
In Chabarowsk werden sie auf der Suche nach „der Natur“ auf das Heimat- und Naturkundemuseum hingewiesen. Die Aufseherin sitzt am liebsten vor dem Mammut (seit der Verbannung ihres Vaters lebt sie im Fernen Osten). Sie habe immer das Leben geliebt, doch einen Wunsch habe sie noch: „Ich würde gern nach Marokko reisen. Eine alte Frau in Afrika.“
Polina ist unweit von Berlin in Deutschland aufgewachsen, bis ihr Vater 1994 wegen Auflösung der Arbeitsstelle nach Chabarowsk zurückging. Die junge Frau hat gerade in Moskau ihren Doktortitel zum Thema Genderforschung verteidigt. „Die Geschlechterbilder in Russland sind wirklich ein Thema für sich, und persönlich muss ich zugeben, dass mir die russischen Männer oft ziemlich auf die Nerven gehen. Sie tun so stark, aber die Entscheidungen treffen am Ende die Frauen, und dabei müssen wir Frauen immer so tun, als würden die Männer entscheiden ...“ „Die Russen konzentrieren sich nicht gern auf ihre Probleme. Wir denken: 'Ach, es gab doch schon schlimmere Zeiten. Wir werden auch das durchstehen, warten wir ab, dann geht es vorbei.'“
In Blagoweschtschensk „kommt Katerina ins Radio“. Nachdem Albina sie für Echo-Moskau interviewt hat, befragt Katerina sie umgekehrt. Albina liebt ihre Rundfunkarbeit. Dabei ist sie eigentlich Meteorologin. Ihre Eltern waren durch Zuweisung einer Arbeitsstelle hierher gekommen; sie hatten sich hier kennengelernt, „die ganz große Liebe“. „Heute mutet es seltsam an, aber die Zuweisung der Arbeitsstelle hatte für den Einzelnen auch Vorteile, weil ihm viel Verantwortung abgenommen wurde. Es ging nicht um Selbstverwirklichung, man musste sich arrangieren … Ich habe Angst, allein zu sein. Mit mir zu sein. Bis heute. Vielleicht vertraue ich mir nicht. Vielleicht denke ich immer noch im Stillen: 'Das, was Du denkst, hat keine Bedeutung, weil es niemanden gibt, der es bestätigt.' Aber ich versuche mich zu ändern. Ich habe auch versucht, meine Kinder zu Individuen zu erziehen. Und was hat es gebracht? Mein älterer Sohn ist in die Ukraine gegangen, um zu kämpfen. Mein Sohn, den wir pazifistischer nicht hätten erziehen können, ging freiwillig in den Krieg! Das hat mir das Herz gebrochen. Die Zeit ist stehengeblieben … Vielleicht ist uns eine ideelle Orientierung verlorengegangen. Es geht immer nur um Geld, Geld, Geld ...“
Oder es dreht sich alles um das Essen: Den Weltfrauentag, 8. März, feiert Katerina in Blagoweschtschensk ausgelassen mit vielen anderen in einem Restaurant hoch oben auf einer sich drehenden Plattform, in der feststehenden Mitte das üppige Buffet. Zu trinken gibt es grünes oder blaues Bier. Auf der anderen Seite des Amur blinkt und flackert es in allen Farben. Dort liegt die chinesische Stadt Hei-He. „Die Chinesen lieben Lichtspiele“, erklärt Affisja.
Diesmal, kurz danach, kommen sie doch noch mehr oder weniger in die Natur: Sie sind in eine Turbaza eingeladen - „eine Erholungsstätte am See, eine Mischung aus Jugendherberge, Gasthaus und Datscha.“ Unterwegs machen sie Halt an einem Badehaus: eine Holzhütte über einem Loch im Eis. Katerina: „Niemals werde ich dort hinuntersteigen.“
Am Ende der Reise können sich die Autoren ihren Traum erfüllen: einmal auf dem Eis des gefrorenen Baikalsees zu gehen.
Das Buch ist kein Reisebildband. Es gibt immerhin Bilder: kleine Schwarzweißfotos, von den Autoren aufgenommen.

Noch ein Hinweis: Katerina Polodjan schreibt auch Belletristik pur. Bisher sind die Romane „In einer Nacht, woanders“ und „Vielleicht Marseille“ erschienen.

Katerina Poladjan, Henning Fritsch: Hinter Sibirien. Eine Reise nach Russisch-Fernost. Rowohlt Berlin, Berlin 2016, 272 Seiten, 19,95 EUR. Text der Besprechung: Dr. Helge Mücke, Hannover. Der Text wird in ähnlich Form in der Zeischift "Die Drei" erscheinen, voraussichtlich Oktober 2017.


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