Wenn eine Regisseurin durch feministische Pornos Aufmerksamkeit erlangt, dann werden auch die Ohren gespitzt, wenn sie abermals das Genre wechselt und ihren neuen Dokumentarfilm veröffentlicht. Mia Engberg überzeugt bei Belleville Baby durch Zurückhaltung und hält das Publikum trotzdem gefangen.
Mia bricht aus der schwedischen Einöde in die Stadt der Liebe auf. Dort verliebt sie sich in Vincent und nach einer spannenden, aufregenden Zeit gehen sie wieder getrennte Wege. Er landet im Knast und sie wird Filmemacherin. 10 Jahre vergehen bis er sich bei ihr meldet. Nach seinem Gefängnisaufenthalt in Paris sucht er ihre telefonische „Nähe“ und schwelgt mit ihr in Erinnerungen.
Durchzogen von stillen Momenten und schwarzem Bild wird der Film durch Momentaufnahmen der Vergangenheit (oder auch nicht) zum Leben erweckt. Die gesamte Zeit wird mit voice-over gearbeitet. Telefongespräche zwischen Mia und Vincent lassen Vergangenes Revue passieren und erläutern Erlebtes. Die Bilder wirken wie Urlaubsaufnahmen: verwackelt, verschwommen, beobachtend. Sichtbar gemacht wird dabei nie das Gesagte, was dem Ergebnis aber überhaupt nichts ab tut.
Eine kriminelle Vergangenheit von Vincent’s Seite wird aufgegriffen, ebenso wie das Schicksal einer Freundin und die Aufstände in Paris. Hierfür wird Originalmaterial verwendet mit Frankreichs damaligen Präsidenten Sarkozy. Vincent wurde im Knast übel zugerichtet. Aus dem Ghetto stammend hatte er von vornherein keine blühende Zukunft vor sich. Ist das Schicksal vorherbestimmt?
Dieser Frage widmet sich die Geschichte. Philosophische Ansätze könnte man unterstellen. Engberg beschäftigt sich mit der Klassenfrage. Durch die Geburt in eine gewisse Gesellschaftsschicht steht es entweder besser oder schlechter um einen. Das ist Tatsache. Deshalb haben Mia und Vincent wahrscheinlich auch andere Reminiszenz an die Vergangenheit. Bei Mia treten schlechte, bei Vincent schöne Dinge ins Gedächtnis. Das mag daran liegen, dass sie ein behütetes Leben führte und er ein Gangster war.
Inwiefern die Handlung Realität oder Illusion ist, erfährt man nicht. Muss man aber auch nicht. Rückblick und Imagination verfließen ineinander. Melancholische Klänge unterstreichen die ernsten Gespräche und entführen den Zuschauer in eine andere Welt. Gesellschaftskritische Dokumentation mit Innovation. Man muss die Gesichter der sprechenden Personen nicht kennen und auch nicht die Bilder zum Gesagten sehen, da sich die Geschichte vor den Augen des Zuschauers sowieso entfaltet. Engberg schuf ein Kunstwerk, das aus der Masse sticht.
Regie: Mia Engberg
Filmlänge: 73 Minuten, gezeigt im Rahmen von this human world 2014
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