Behinderte, hört endlich auf Leistungsstarke zu behindern!

Seit Wochen macht die »Frankfurter Allgemeine« Politik gegen die Inklusion behinderter Kinder in Schulen. »Hehres Ideal« nennt sie diese Absicht. Aber überall entstehe nur Überforderung. Nicht zuletzt bei den behinderten Kindern selbst. An dem Versuch des bürgerlich-konservativen Blattes, dem Land eine solche Debatte aufzudrängen, sieht man: Der Rechtsruck an den Urnen war sicher kein Zufall. Rechte Vorstellungen können wieder ganz ungeniert verbreitet werden.

Behinderte, hört endlich auf Leistungsstarke zu behindern!

Quelle: Aktion Mensch

Man kann die vorgebrachte Kritik ja durchaus nachvollziehen. Sie klingt so schlüssig und menschlich richtig. Natürlich ist inklusive Pädagogik, gerade von geistig-behinderten Kindern, ein Ideal, das leicht zu Überforderung führen kann. Sowohl des Lehrers als auch des Kindes. Und es gibt auch wissenschaftliche Belege, die das bestätigen. Im letzten großen Artikel der »Frankfurter Allgemeine« zum Thema Inklusion erwähnt man aber auch, dass es gleichwohl »Belege [...] für Pro und Contra« gibt. Der Artikel heißt aber dennoch erstaunlicherweise »Die große Illusion« - warum eigentlich, wenn es doch auch Wissenschaft gibt, die Inklusion befürwortet und für machbar hält? Weshalb ist, was Vergleichsstudien als sinnvoll erachten, trotzdem eine große Illusion?

Weil drei Viertel aller Lehrer der Inklusion kritisch gegenüberstehen, wie es der Artikel behauptet? Drei Viertel aller Lehrer waren aber vielleicht auch mal gegen geschlechtergemischte Schulklassen. Und ich manchen Landstrichen mögen drei Viertel der Lehrerschaft auch behaupten, dass der hohe Ausländeranteil in Klassen den Intelligenzquotienten des Klassenkollektivs herabsetzt. Das Argument ist also fadenscheinig. Das Empfinden der Lehrerschaft ist aber menschlich verständlich, denn sie baden eine teils völlig unterfinanzierte Inklusionspolitik aus.
Weiter unten im Text geht der Text dann nochmals so richtig in medias res. Das Problem mit der Inklusion ist dort so definiert: »Die Leistungstarken kommen zu kurz«. Behinderte, hört endlich auf Leistungsstarke zu behindern? Wer ist also überforderter, die nicht-behinderten Kinder oder die behinderten, die dem Stoff nicht folgen könnten, die nicht ruhig sitzen bleiben, die die ganze Aufmerksamkeit des Lehrers auf sich ziehen? Überhaupt ist diese Mitleidsnummer a la »die armen Kinder« heuchlerisch. Die Gegner der Inklusion, die den nicht-behinderten Nachwuchs (vielleicht ihr eigener Nachwuchs?) für die wirklichen Opfer dieser schulischen Vielfalt und Buntheit wähnen, erklären stets ganz abgeklärt, dass dieses Modell doch auch nichts für die betroffenen Kinder sei. Man dürfe aus ideologischen Gründen nicht Behinderte opfern, sagen sie so, als sei dieses Modell etwas, was nun endlich aufzuhören habe. Ideologische Zeiten sind schließlich vorbei. Und sie meinen es nur gut, lassen sie ganz humanistisch durchschimmern.
Über Geld wird dann eher weniger gesprochen. Nur darüber, wie teuer uns die inklusive Pädagogik kommt - pekuniär ebenso wie ideell. Richtig gemachte Inklusion kostet. Das fängt bei Räumlichkeiten und Einrichtungen an und hört bei ausreichend Lehr- und Fürsorgepersonal auf. Mit dem Lernstoff, dem die behinderten Kinder nicht folgen können, hat die Debatte allerdings weniger zu tun. Auch wenn der ein wesentliches Element der rechten Kritik am inklusiven Ideal ist. Behinderte Kinder könnten auch im Klassenverband gesonderten Lehrstoff erhalten. In hessischen Schulen kommt es vor, dass Hauptschüler und Realschüler in einem Klassenraum sitzen, einen Klassenlehrer haben und dennoch zwei verschiedenen Lehrplänen folgen. Dort geschieht es aus Mangel ans Räumen und Personal. Bei der Inklusion könnte das kalkuliert geschehen, was in hessischen Schulen aus der Not geboren wird. Wichtig ist letztlich doch nur, dass Behinderte und Nicht-Behinderte sich den Alltag teilen, zusammenkommen, voneinander lernen und das als Normalität erleben, was früher schroff in zwei Sphären geteilt wurde.
Letzteres ist das eigentliche Grundelement der ganzen Sache. Ob das behinderte Kind in der Klasse die völlige Lehrplangleichheit erlebt oder nicht, ist nicht von Relevanz. Dass sich Behinderte völlig normal unter Nicht-Behinderten bewegen können und dass Nicht-Behinderte Behinderte als jemanden ansehen, der eben nicht exotisch ist, das ist die Absicht dahinter. Nicht mehr und nicht weniger.
Aber der rechte Zeitgeist wirkt schon länger. Nicht erst, seitdem Europa sich nach rechts gewählt hat. Diese letzte Europawahl war doch nur das zwischenzeitlich angefertigte Balkendiagramm einer schon lange herrschenden Stimmung. Linke Ideen werden zurückgerollt und allesamt verächtlich als »Ideologie« diffamiert. In einem Klima, in dem man humanistisch angesäuselt von überforderten Behinderten in einem ideologisch falschen egalitären Klima spricht oder in dem man wissenschaftlich verbrämt von der fehlenden Intelligenz bestimmter Volksgruppen rezitiert, da sind dementsprechende Wahlergebnisse und Rechtsrücke nicht mehr weit.
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