Bahnhof Zoo

Ich habe mir Suzanne Vega in den iPod geladen. Alte Stücke natürlich, von 1987, die ich mit Berlin (West) verbinde. Denn seit dem Herbst liegt mein Büro nun in Charlottenburg und mein Arbeitsweg kreuzt Ku'damm und Bahnhof Zoo. Das "neue" Charlottenburg, muss man fast sagen, denn hier ist gründlich renoviert worden. Ich marschiere das seit Dezember täglich ab, weil die U2 zwischen Wittenbergplatz und Zoo gesperrt wurde. Jammern auf hohem Niveau ist, wenn Du vom Kurfürstendamm zum Bahnhof Zoo laufen musst.

Daraus folgt, dass ich am Bahnhof Gleisdreieck noch eine Etage höher steigen muss, in die U1.

Bahnhof Zoo


Um am Kurfürstendamm aus dem Keller zu steigen...

Bahnhof Zoo


Bahnhof Zoo


.. und am Bahnhof Zoo in den Bus zu steigen.

Bahnhof Zoo

Die alten versifften Baracken mit den Kabinenkinos und der billigen Currywurst - abgerissen, neu gemacht. Das Alte Schimmelpfennig-Haus - schon vor Jahren abgerissen, alles neu gemacht. Zwei Hochhäuser überragen nun die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.

Mir gefällt es ausnahmsweise. Denn anders als in so vielen anderen Ecken hat hier offenbar mal jemand mit Geschmack drauf geschaut, bevor er es genehmigt hat. Nicht, dass hier das Bauhaus neu erfunden wurde. Aber es ist halt nicht so geschmacklos wie z. B. an der Heerstraße, an der ja jeder bauen darf, wie er will. Wo Sozialdemokraten regieren, da wird es auch architektonisch geschmacklos.

Da wir über Architektur sprechen: Meine wichtigste Lektion der letzten zwei Jahre lautet: Sie kann nicht überschätzt werden. Und sie muss von Spezialisten gemacht werden. Und sie muss verstehen, was sie unterstützen oder befähigen soll. Und erfahrene Architekten, die nicht nur wissen sondern auch zuhören und sprechen sind ja so selten.

Hat eine Softwarelösung - Plattform oder Anwendung- keine vernünftige Architektur, kann man sie nicht weiterentwickeln, oder nicht mal "entlausen". Hat ein Auto keine vernünftige Architektur, dauert jede Reparatur länger als nötig.

Und nichts finden (junge) Programmierer langweiliger, als einer Architektur zu folgen. Eine Schicht, und noch eine Schicht und noch eine. Und nichts passiert außer eine Anfrage nach unten oder eine Antwort nach oben zu senden. Und von Hardware zu abstrahieren - die wir eh nicht haben.

"Hardware agnostisch" heißt eine Architektur bzw. bis zu einer bestimmten Schicht (wenn man von "oben" kommt), wenn man sich als Entwickler nicht um die Details der Hardware kümmern muss. Was könnte angenehmer sein? Jedenfalls für App-Entwickler.

Kompliziert wird es hingegen, wenn die Hardware, von der man abstrahieren will, nicht gar nicht verfügbar ist. Solange wir also wissen, DASS sie NICHT DA ist - sind wir da "agnostisch" oder nicht eher "atheistisch"?

Halten wir uns an die Fakten, während wir auf den Bus warten. Das Problem sind vor Vor- und Zurück-Überlegungen wie wir mit der Lieferverzögerung umgehen. Auf Nummer sicher gehen, und die Vorgängerversion verwenden? Dafür auf ein paar Innovationen verzichten? Also, den gleichen funktionalen Score bringen, auf gleicher Hardware aber mit einer besseren Architektur? Schon das müsste sich besser "anfühlen": schneller und stabiler. Das wichtigste scheint mir, dass sich die Architekturen nun entscheiden, das zweitwichtigste scheint mir, für was sie sich entscheiden.

Daraus folgt, dass wir immer noch ein architekturgetriebenes Projekt sind, obwohl wir uns als "Feature getrieben" bezeichnen. Ist das außerplanmäßig, oder lügen wir uns selbst etwas in die Tasche..?

Am Busbahnhof ist es voll geworden. Die Busse rollen ein, darunter auch meiner. Wer vorne einsteigt, zeigt seine Fahrkarte - aber nur wenn er eine hat. Wer hinten einsteigt, zeigt keine. Das ist so in Berlin. Seitdem der Senat lauf darüber nachdenkt, Schwarzfahren nicht mehr als Straftat anzusehen, kaufen viele ihre Fahrkarte nur noch aus Gewohnheit. 81 EUR pro Monat, die man sich sparen kann...

Ich frage mich, warum ein kurzer Bus kommt, denn schon an der nächsten Haltestelle, unter der Bahnbrücke, steigen die Studenten ein und dann wird es richtig voll. Aber die Studenten von heute beklagen sich nicht, wenn die Verwaltung sie schlecht behandelt. Sie akzeptieren hohe Preise, niedrige Qualität, schlechte Fahrer. Alles was sie persönlich angeht, wo es um ihre Interessen geht, das interessiert sie nicht. Denn seit wann sind sie für ihr eigenes Leben verantwortlich? Sie sind gegen rechts, und das genügt...

Sogar die BVG selbst macht sich schon lustig über uns Kunden und twittert und facebookt Witze darüber, wie in der Kälte auf U-Bahnen und Busse warten oder hin und her geschüttelt werden, von den neuen arabischen und afrikanischen Fahrern (kein Witz). Wir gewöhnen uns im öffentlichen Raum, ob bei der BVG oder bei Bäcker Kamps oder sonst wo daran, nicht verstanden zu werden.

Westliche Touristen fragen höflich nach dem Weg und entschuldigen sich, wenn sie nur englisch sprechen. Arabische Busfahrer "kennen das Netz noch nicht" und haben "woanders" Busfahren gelernt. Und das Marketingteam der BVG macht sich über die, die dafür 81 EUR zahlen, lustig.

Innensenator Geisel hat ja neulich wieder eine Razzia gegen arabische Clans gemacht. Als Vergeltung haben vorige Nacht mehrere Dienstfahrzeuge der Verwaltung gebrannt. Oder wie Dilek Kolat sagt: "haben die Jungs Mist gebaut".

Wozu eigentlich noch studieren, frage ich mich, während ich die Gesichter der schneeflockigen Studenten studiere. Ihr träumt eh nicht von der Aufklärung und Befähigung, sondern davon, Vorzeigegutmenschen zu werden. Davon, "Recht zu haben". Auch der Steinplatz ist neu gemacht worden. Erst dachte ich, die bauen den jetzt auch noch zu, aber irgendwer muss das blockiert haben. Am Ernst-Reuter-Platz dann wieder Baustelle. Seit Jahren sind hier mehrere Zugänge zur U-Bahn gesperrt, geht es nicht voran. An den Verteilerkästen hängen aber keine Flugblätter gegen den schlampigen Senat und die abgewirtschaftete BVG, sondern -richtig- "gegen rechts".

Durch den Kreisverkehr fährt uns der Zugereiste als legte er gerade eine Prüfung im Driften ab. Bin ich froh, wenn es an der Universität der Künste endlich leerer wird. Da steigen die Studentinnen mit den dicken Pudelmützen aus. Ja, die sind ja so knuffig, diese eine Nummer zu groß und zu grob gestrickten Pudelmützen. Aber nichts drückt so schön die eigene Reifeverzögerung aus, die Ablehnung der eigenen Verantwortung für das eigene Leben.

Jetzt noch zwei Stationen, dann bin ich auch ich am Ziel. Im neuen Viertel der Autoingenieure, oder wie man hier sagt: Der "Autonomen".


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