Ich bin letztens im Internet auf den Begriff "autonome Kinder" gestoßen, der von Jesper Juul geprägt wurde, und wurde sofort hellhörig. Schon immer erlebte ich meinen Großen als extrem unabhängig, kompromisslos selbstbestimmt, nahezu allergisch gegen "Erziehungsversuche", nicht manipulierbar, sehr auf seine Würde und Integrität bedacht. In dem Artikel wurde auf Juuls Buch Elterncoaching: Gelassen erziehen verwiesen, in dem er auf das Thema "autonome Kinder" eingeht. Obwohl der Titel und die Aufmachung mich überhaupt nicht ansprachen, besorgte ich es mir und begann zu lesen.
Anhand von konkreten Fallgeschichten coacht Juul Eltern mit schwierigen Kindern/ Babys. Schon im ersten Kapitel über ein Baby mit starkem Willen, immerzu wach, neugierig und aktiv, nicht kuschlig, aber sehr anhänglich, sehr weit entwickelt und "überhaupt nicht so, wie wir uns ein Baby so vorgestellt hatten" (S. 15), ein Baby, das die Eltern an den Rand eines Nervenzusammenbruchs und schlimmer Beziehungsprobleme brachte, habe ich die Parallelen zu der Babyzeit des Großen gesehen.
Im zweiten Kapitel ging es dann um die 3,5-jährige Ella, ein sehr schwieriges Mädchen, das Juul als "autonomes Kind" einordnet. Beim Lesen der Juulschen Aussagen über solche Kinder bin ich dann mehrfach in Weinen ausgebrochen, weil einfach soviel auf meinen Großen passte. Ich fasse mal einige der Charakteristika zusammen (ab S. 30):
"Ich nenne sie autonome Kinder. Wenn sie zur Welt kommen, haben sie oft schon so einen reifen Gesichtsausdruck." - Ich weiß noch, wie wir Freunde besuchten, als der Große gerade 3 Wochen alt war, und die Freundin als erstes sagte, dass er wie ein weiser alter Mann aussehen würde.
"Dieses Kind lässt sich einfach nicht lieben." - Ich habe oft das Gefühl, dass der Große meine Liebe nicht will. Meinen Trost, mein Auffangnetz schon, aber Liebe mit lieben Worten, Körperkontakt etc. nicht. Auch haben wir schon, als er noch ein Baby war, immer gedacht, wir stecken soviel in ihn hinein und es kommt so wenig zurück.
"Kinder brauchen Nahrung: in Form von Fürsorge, Erziehung, Liebe. Den meisten Kindern kann man das einfach vorsetzen. Autonome Kinder dagegen benötigen diese Nahrung vom Buffet, damit sie sich davon nehmen können, wann immer sie wollen." - Man kann den Großen kaum zu etwas animieren, was er nicht will. Er muss es selbst wollen.
"Sie lassen sich nicht korrumpieren. Man kann ihnen auch nicht drohen oder sie bestechen. Sie besitzen eine außerordentlich stark ausgeprägte Integrität." - Von jeher deutlich zu erkennen beim Großen. Grundsätzlich ein sehr positiver Charakterzug. Aber im Zusammenleben mit einem solchen Kind ein ganz schwieriges Problem.
"Diese Kinder wollen selbst bestimmen. Sie lassen sich nicht manipulieren. Sie sind vollkommen bei sich, aber dadurch natürlich auch ab und zu sehr einsam." - Ich glaube, er fühlt sich dann einsam, wenn wir ihn nicht verstehen. Deshalb versuche ich immer, wenn ich die Kraft habe, zu ergründen, warum er etwas nicht möchte und wie ich ihn vielleicht zur Kooperation bewegen kann.
"Mit diesen Kindern muss man anders sprechen, nicht wie mit einer 3,5-jährigen, sondern wie mit einer 35-jährigen. Diese Kinder haben eine schreckliche Allergie gegen Pädagogik." - Unvergessen der Nachmittag bei Freunden, als der befreundete Papa etwas im Sinne von "Das macht man aber nicht!" zum Großen sagte und dieser in untröstliches Weinen ausbrach, so dass wir ihn aus der Situation nehmen mussten. Diesem Freund ist er auch lange danach noch mit Zurückhaltung begegnet. Er hasst es einfach, wenn er zurechtgewiesen wird.
"Die meisten autonomen Kinder kommen sehr gut im Kindergarten zurecht oder wenn sie mit anderen Kindern spielen. Aber sie reagieren allergisch auf pädagogisches Süßholzraspeln." - Paradebeispiel: Der Große ist in der Kita ein Vorzeigekind. Seine Erzieherin war von Anfang an begeistert von ihm. Auch das Spielen bei Freunden funktioniert hervorragend.
"Kinder wie Ella benötigen keine Strafen. Es geht vielmehr darum, dass man ihr sagt: "Ich bin dabei, zu lernen, wie ich mich verhalten muss, damit es dir gut geht." Dann muss sie nicht soviel Energie darauf verwenden, ihren Willen durchzusetzen." - Ich versuche immer wieder, seine Bedürfnisse zu verstehen und ihm entgegenzukommen bzw. die Konfliktpunkte schon im Ansatz zu vermeiden. Das klappt natürlich nur bedingt.
"Worauf man vorbereitet sein muss,..., ist, dass Kritik von außen kommt. Auf die kann man antworten: "Ja, so ist sie, so ist sie schon immer gewesen, seit ihrer Geburt. Unser Fehler war, dass wir versucht haben, sie zu ändern, wir haben alles versucht, damit sie so wird wie alle anderen." - Kritik bzw. implizite Schuldzuweisungen kamen bei uns auch. Niemand wollte verstehen, dass der Große schon so, wie er ist, zur Welt gekommen ist, und dass alles, was wir tun können, ist, ihn darin zu begleiten und zu akzeptieren.
Ich erlebe in meinem privaten Umfeld keine anderen "autonomen Kinder". In meiner virtuellen Blase dagegen schon, aus Erzählungen von Dritten, wo ich aber die Kinder nicht kenne, und aus solchen Büchern wie Elterncoaching: Gelassen erziehen. Ist es so schwer, darüber zu sprechen? Aber wir sprechen doch auch darüber. Wenn jemand ähnliches erleben würde, müsste man sich doch darüber austauschen können! Es macht wirklich traurig, dass man nicht nur kein Verständnis erlebt und keine Hilfe bekommt, sondern nicht einmal ein Austausch möglich ist. Dabei wäre gerade das so therapeutisch für alle Beteiligten.
Ich bin gespannt, was mich in dem Buch noch erwartet, und werde sicherlich weiter berichten.
Fortsetzung hier:
Autonome Kinder Teil 2
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Anhand von konkreten Fallgeschichten coacht Juul Eltern mit schwierigen Kindern/ Babys. Schon im ersten Kapitel über ein Baby mit starkem Willen, immerzu wach, neugierig und aktiv, nicht kuschlig, aber sehr anhänglich, sehr weit entwickelt und "überhaupt nicht so, wie wir uns ein Baby so vorgestellt hatten" (S. 15), ein Baby, das die Eltern an den Rand eines Nervenzusammenbruchs und schlimmer Beziehungsprobleme brachte, habe ich die Parallelen zu der Babyzeit des Großen gesehen.
Im zweiten Kapitel ging es dann um die 3,5-jährige Ella, ein sehr schwieriges Mädchen, das Juul als "autonomes Kind" einordnet. Beim Lesen der Juulschen Aussagen über solche Kinder bin ich dann mehrfach in Weinen ausgebrochen, weil einfach soviel auf meinen Großen passte. Ich fasse mal einige der Charakteristika zusammen (ab S. 30):
"Ich nenne sie autonome Kinder. Wenn sie zur Welt kommen, haben sie oft schon so einen reifen Gesichtsausdruck." - Ich weiß noch, wie wir Freunde besuchten, als der Große gerade 3 Wochen alt war, und die Freundin als erstes sagte, dass er wie ein weiser alter Mann aussehen würde.
"Dieses Kind lässt sich einfach nicht lieben." - Ich habe oft das Gefühl, dass der Große meine Liebe nicht will. Meinen Trost, mein Auffangnetz schon, aber Liebe mit lieben Worten, Körperkontakt etc. nicht. Auch haben wir schon, als er noch ein Baby war, immer gedacht, wir stecken soviel in ihn hinein und es kommt so wenig zurück.
"Kinder brauchen Nahrung: in Form von Fürsorge, Erziehung, Liebe. Den meisten Kindern kann man das einfach vorsetzen. Autonome Kinder dagegen benötigen diese Nahrung vom Buffet, damit sie sich davon nehmen können, wann immer sie wollen." - Man kann den Großen kaum zu etwas animieren, was er nicht will. Er muss es selbst wollen.
"Sie lassen sich nicht korrumpieren. Man kann ihnen auch nicht drohen oder sie bestechen. Sie besitzen eine außerordentlich stark ausgeprägte Integrität." - Von jeher deutlich zu erkennen beim Großen. Grundsätzlich ein sehr positiver Charakterzug. Aber im Zusammenleben mit einem solchen Kind ein ganz schwieriges Problem.
"Diese Kinder wollen selbst bestimmen. Sie lassen sich nicht manipulieren. Sie sind vollkommen bei sich, aber dadurch natürlich auch ab und zu sehr einsam." - Ich glaube, er fühlt sich dann einsam, wenn wir ihn nicht verstehen. Deshalb versuche ich immer, wenn ich die Kraft habe, zu ergründen, warum er etwas nicht möchte und wie ich ihn vielleicht zur Kooperation bewegen kann.
"Mit diesen Kindern muss man anders sprechen, nicht wie mit einer 3,5-jährigen, sondern wie mit einer 35-jährigen. Diese Kinder haben eine schreckliche Allergie gegen Pädagogik." - Unvergessen der Nachmittag bei Freunden, als der befreundete Papa etwas im Sinne von "Das macht man aber nicht!" zum Großen sagte und dieser in untröstliches Weinen ausbrach, so dass wir ihn aus der Situation nehmen mussten. Diesem Freund ist er auch lange danach noch mit Zurückhaltung begegnet. Er hasst es einfach, wenn er zurechtgewiesen wird.
"Die meisten autonomen Kinder kommen sehr gut im Kindergarten zurecht oder wenn sie mit anderen Kindern spielen. Aber sie reagieren allergisch auf pädagogisches Süßholzraspeln." - Paradebeispiel: Der Große ist in der Kita ein Vorzeigekind. Seine Erzieherin war von Anfang an begeistert von ihm. Auch das Spielen bei Freunden funktioniert hervorragend.
"Kinder wie Ella benötigen keine Strafen. Es geht vielmehr darum, dass man ihr sagt: "Ich bin dabei, zu lernen, wie ich mich verhalten muss, damit es dir gut geht." Dann muss sie nicht soviel Energie darauf verwenden, ihren Willen durchzusetzen." - Ich versuche immer wieder, seine Bedürfnisse zu verstehen und ihm entgegenzukommen bzw. die Konfliktpunkte schon im Ansatz zu vermeiden. Das klappt natürlich nur bedingt.
"Worauf man vorbereitet sein muss,..., ist, dass Kritik von außen kommt. Auf die kann man antworten: "Ja, so ist sie, so ist sie schon immer gewesen, seit ihrer Geburt. Unser Fehler war, dass wir versucht haben, sie zu ändern, wir haben alles versucht, damit sie so wird wie alle anderen." - Kritik bzw. implizite Schuldzuweisungen kamen bei uns auch. Niemand wollte verstehen, dass der Große schon so, wie er ist, zur Welt gekommen ist, und dass alles, was wir tun können, ist, ihn darin zu begleiten und zu akzeptieren.
Ich erlebe in meinem privaten Umfeld keine anderen "autonomen Kinder". In meiner virtuellen Blase dagegen schon, aus Erzählungen von Dritten, wo ich aber die Kinder nicht kenne, und aus solchen Büchern wie Elterncoaching: Gelassen erziehen. Ist es so schwer, darüber zu sprechen? Aber wir sprechen doch auch darüber. Wenn jemand ähnliches erleben würde, müsste man sich doch darüber austauschen können! Es macht wirklich traurig, dass man nicht nur kein Verständnis erlebt und keine Hilfe bekommt, sondern nicht einmal ein Austausch möglich ist. Dabei wäre gerade das so therapeutisch für alle Beteiligten.
Ich bin gespannt, was mich in dem Buch noch erwartet, und werde sicherlich weiter berichten.
Fortsetzung hier:
Autonome Kinder Teil 2
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